Das Katar-Syndikat
Auch wenn man sich nicht für Fußball interessiert und den Sport für eine sterbenslangweilige Angelegenheit hält, die viel Trübsinn in die Welt bringt, ist die Fußballweltmeisterschaft in Katar eine gute Gelegenheit, sich ein paar der zahlreichen Dokumentationen und Serien anzuschauen, die zu diesem Anlass gemacht wurden. Zwei Vierteiler ragen bei den Dokumentationen heraus: »FIFA Uncovered« auf Netflix und die WDR-Produktion »Katar – WM der Schande«, die man in der ARD-Mediathek findet.
»FIFA Uncovered« zeichnet die Geschichte des Weltfußballverbands nach. 1904 in Paris gegründet, dümpelte die Fifa die ersten 70 Jahre ihres Bestehens vor sich hin. Höherklassiger Fußball war ein Spiel der weißen Europäer und der südamerikanischen Oberschicht, aber mit Afrikanern und Asiaten wollte man nach Möglichkeit nichts zu tun haben. Bei der WM in Deutschland 1974 traten neun Mannschaften aus Europa an, vier aus Südamerika und jeweils eine aus Afrika, Asien, Ozeanien, Nord- und Mittelamerika sowie der Karibik.
Ob Dokumentation oder Serie – ein Aspekt wird bei der kritischen Berichterstattung über Katar vollständig ausgeblendet: der Antisemitismus.
1974 sollte allerdings das Jahr sein, in dem das globalisierte Fußballbusiness geboren wurde, als der Brasilianer Jean-Marie »João« Havelange gegen den Willen der in der Uefa organisierten Europäer zum Fifa-Präsidenten gewählt wurde. Er legte zusammen mit den deutschen Schuh- und Textilherstellern Adolf und Horst Dassler (Adidas) den Grundstein für die wirtschaftlich erfolgreiche und korrupt-mafiöse Fifa, wie wir sie heute kennen. Havelanges Nachfolger Sepp Blatter perfektionierte dessen System. „FIFA Uncovered“ zeichnet die Machenschaften hinter den Kulissen und die großen Skandale nach und erklärt, wie es zur WM in Katar kam und warum das FBI im Jahr 2015 korrupte Fifa-Funktionäre festnahm. Ein Krimi in vier Teilen.
Vier Teile hat auch die WDR-Dokumentation »Katar – WM der Schande«. Sie konzentriert sich ganz auf die Vorgeschichte der laufenden WM. Es wird gezeigt, wie der reiche Zwergstaat sich bewusst auf Sport konzentrierte, um weltweit politisches Gewicht zu erlangen. Erst Tennis, dann Handball und schließlich die Krönung, die Fußball-WM, das größte Sportereignis der Welt. Deutlich wird, dass Katar sich dabei der bei der Fifa vollkommen üblichen Methoden bediente: Korruption, Absprachen in Hinterzimmern und Vermengung sportlicher, geschäftlicher und politischer Interessen. Im Zentrum der Dokumentation stehen allerdings die grauenhaften Bedingungen, unter denen die Arbeiter, eigentlich eher Sklaven, leben, welche die Stadien in Katar errichteten. So zeigen Videoaufnahmen Hungerrevolten aus der Zeit des Beginns der Covid-19-Pandemie, als die Arbeiter in Lagern eingesperrt waren und kaum etwas zu essen bekamen.
Auch die französische Dokumentation »Die Skandal-WM – Wie Katar den Fußball kauft« (unter ihrem deutschen Titel zu sehen in der ZDF-Mediathek) berichtet über das Elend der dortigen Arbeiter, stellt aber die Mitarbeiter von Hotels und Sicherheitsdiensten ins Zentrum, die in den kommenden Wochen die Gäste und Spieler versorgen und bewachen werden.
Der ehemalige Profi-Fußballer Thomas Hitzlsperger ist als Reporter für die ARD in der Dokumentation »Katar, warum nur?« unterwegs. Hitzlsperger besucht unter anderem die Witwe eines verstorbenen nepalesischen Arbeiters, die mit ihren beiden Söhnen in einer kleinen Hütte wohnt. Ihre Aussagen bilden einen harten Kontrast zu denen einer im Luxus lebenden Katarerin, die alle Berichte über das Sterben auf den Baustellen selbstbewusst lächelnd als »Fake News« bezeichnet.
»Geheimsache Katar« von Jochen Breyer und Julia Friedrichs legt indes den Fokus auf die Beteiligung deutscher Funktionäre am Zustandekommen der WM. Unter anderem wird die Affäre um die beiden Rolex-Uhren beleuchtet, die Karl-Heinz Rummenigge, heute Mitglied des Uefa-Exekutivkomitees, 2013 als »Geschenk« aus Katar mitbrachte und nicht verzollte, was ihm eine so hohe Geldbuße einbrachte, dass er seither als vorbestraft gilt.
Nicht nur um Katar geht es in der Kurzdokumentation des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNBC »Why Hosting the World Cup Is a Bad Idea for Countries«, die man sich auf Youtube anschauen kann. Dort wird belegt, dass die Rede von den großartigen Wirkungen der mit einer WM verbundenen Investitionen in der Regel Mumpitz ist – und es auch bei Katar aller Wahrscheinlichkeit sein wird. Mal ganz abgesehen von den acht Stadien, die extra für die WM gebaut wurden und schon bald kaum noch gebraucht werden.
Aber nicht nur Dokumentationen beschäftigen sich derzeit mit der Fifa und der WM. Die beiden Staffeln der Amazon-Serie »El Presidente« schildern sowohl den großen Fifa-Skandal von 2015 (Staffel 1: 2020) als auch den Aufstieg von Jean-Marie Havelange als Mafia-Epos. Exzellent recherchiert und faktenreich zeigt »El Presidente« das Fifa-Milieu von innen. Im Zentrum steht der ehemalige korrupte Präsident des chilenischen Fußballverbandes ANFP, Sergio Jadue, der von Andrés Parra gespielt wird.
In der ersten Staffel erlebt man den Aufstieg Jadues, seine Zusammenarbeit mit dem FBI und seinen Sturz. Jadue will an das große Geld ran und Parra stellt ihn als jemanden dar, der ständig zwischen Unsicherheit, Bösartigkeit und Trotteligkeit schwankt. In der zweiten Staffel, die zeitlich vor der ersten spielt und dem Wirken von Havelange gewidmet ist, übernimmt Jadue die Aufgabe des Erzählers. Er begleitet, in der Regel für die Beteiligten unsichtbar, Havelange zum Beispiel bei der WM in Argentinien 1978, wo dieser eng mit der Militärjunta kooperierte.
Alle 16 Folgen der beiden Staffeln führen mit bösem Humor, phantastischen Schauspielern und magischem Realismus durch die Welt der Fifa. Immer wenn man denkt, die Phantasie sei mit den Autoren durchgegangen, stellt man mit etwas Recherche fest, dass alles eher noch schlimmer war, als es in der Fiktion dargestellt wird.
Ob Dokumentation oder Serie – ein Aspekt wird bei der kritischen Berichterstattung über Katar vollständig ausgeblendet: der Antisemitismus. Das Land finanziert die Terrororganisation Hamas. Israelis dürfen das Land nur zur WM besuchen und der in Doha ansässige Fernsehsender Bein, mit dem Katar sich mit so viel Geld in die Budgets der obersten europäischen Ligen eingekauft hat, dass deren Vertreter sogar eine WM im Winter akzeptierten, übersieht bei Berichten über die Auslosung zur Uefa Champions League die teilnehmenden israelischen Vereine.