Der Klimawandel sorgt für immer weitere Katastrophen

Heiße Sommer für immer

Hitzewellen und Waldbrände werden wegen der menschengemachten Erderwärmung in Zukunft häufiger werden. Europa gehört zu den Welt­- regionen, die sich besonders schnell erwärmen.

In diesem Jahr erleben viele Millionen Menschen in weiten Teilen Europas die heißesten Sommertage seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Ein Großteil der Fläche der Europäischen Union wird zugleich von einer langanhaltenden Dürre erfasst. Mitte Juli erreichte die Hitzewelle Deutschland.

Großbritannien erlebte am 19. Juli den bislang heißesten Tag seit Beginn der Aufzeichnungen, erstmals wurden die 40 Grad Celsius überschritten. In Frankreich wurden in derselben Woche vielerorts Temperaturen zwischen 40 und 42 Grad gemessen, hohe Temperaturen in Kombination mit starken Winden führten zu riesigen Waldbränden an der südwestlichen Atlantikküste. Auf der kroatischen Halbinsel Istrien wurden Mitte Juli strenge Beschränkungen für den Wasserverbrauch in Kraft gesetzt, ebenso in Norditalien rund um den Gardasee und in der Po­ebene, wo der große Fluss über weite Strecken ausgetrocknet ist.

Die gefährlich hohen Temperaturen, unter denen jetzt auch Nordeuropa leidet und die Südeuropa bereits seit einigen Jahren erreichen, herrschen in Teilen des Nahen Ostens, Afrikas und Südasiens mittlerweile an den küh­leren Tagen während der Hitzeperioden. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis diese Hitzetage auch in bisher noch gemäßigten Klimazonen g­ewöhnlich sind.

In seinem Weltklimabericht von 2021 betont der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Inter­governmental Panel on Climate Change, IPCC), dass Hitzeextreme in den meisten Regionen der Welt seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts häufiger und intensiver geworden seien. Die Forscherinnen und Forscher erwarten für die Zukunft, dass extreme Hitzewellen fast dreimal so häufig auftreten werden als in einem »Klima ohne menschliche Einflüsse«. Die höheren Breiten und insbeson­dere die Arktis erwärmen sich stärker als die niederen, zudem zeigen die Nordhalbkugel und damit auch Europa wegen ihres hohen Landmasseanteils eine stärkere Erwärmung als die Südhemisphäre.

Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre liegt global so hoch wie nie zuvor in der Menschheits­geschichte, 44 Prozent über dem vorindustriellen Niveau.

Die Klimaforscherin Friederike Otto, die am Grantham Institute for Climate Change and the Environment des Imperial College London forscht und auch zum jüngsten Sachstandsbericht des IPCC beigetragen hat, sagte der Taz Mitte Juli: »Schon in der Theorie würde man (…) auf die Idee kommen, dass Hitzewellen zunehmen. Wir haben aber auch Klimamodelle, also sozusagen unser physikalisches Verständnis in Gleichungsform, wo man einen ganz starken Anstieg sieht.« Otto betreibt Attributionsforschung: Sie untersucht, welchen Anteil Kohlendioxidemis­sionen bei der Entstehung bestimmter Wetterphänomene haben, ordnet also zu, attribuiert. Diese Forschung bewegt sich zwischen Meteorologie und Klimatologie. Ottos 2019 erschienenes Buch »Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme« ist eines der einschlägigen Sachbücher zum ­Thema.

Eine im Auftrag des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson erstellte Studie mit dem Titel »Restoring the Quality of Our Environment« sagte bereits 1965 für den Jahrtausendwechsel deutliche Klimaänderungen voraus, »die uns lokal und national überfordern werden« – die erste offizielle Expertenwarnung vor der kommenden globalen ­Erwärmung durch Kohlendioxidemissionen. Mittlerweile liegt der Kohlen­dioxidgehalt in der Atmosphäre global so hoch wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, 44 Prozent über dem vorindustriellen Niveau.

Die Erwärmung der Atmosphäre führt auch dazu, dass sich das Temperaturgefälle zwischen dem Äquator und den Polen abschwächt, was wiederum den Jetstream, die wetterbestimmenden Westwindströme auf der Nordhalbkugel, beeinflusst. Die Störung des Jetstreams blockiert die bisher gewohnten Wetterwechsel und begünstigt Extremwetter. Folgten früher Hoch- und Tiefdruckgebiete einander in schneller Abfolge, so sitzen die Wetterlagen heutzutage oft lange fest. Das hat zu manchen Zeiten Starkregen zur Folge, zu anderen und vor allem aber lange Hitze- und Trockenperioden. ­Erste Studien belegen, dass Herzinfarkte und Schlaganfälle in Hitzeperioden häufiger auftreten. Hitzesommer schädigen Wälder und Böden, viele Tier- und Pflanzenarten sind betroffen. Es kommt zu großen Ernteausfällen und Einschränkungen von industrieller Produktion und Infrastruktur.

Expertinnen und Experten warnen davor, dass das Weltklima in naher Zukunft sogenannte Kipppunkte erreichen werde. Der Klimawandel kann also schon bald eine unkalkulierbare, hochgefährliche und nicht mehr umzukehrende Dynamik entwickeln, wenn nicht schnell gegengesteuert und radikal anders gewirtschaftet wird. Nur durch eine drastische Reduktion der Treibhaus­gas­emissionen ist es möglich, den Klimawandel und seine Folgen in einem noch ­erträglichen Rahmen zu halten.

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 ist dafür der Ausgangspunkt. Es steht in der Nachfolge des Kyoto-Pro­tokolls von 1997, des ersten völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzabkommens. Im Pariser Abkommen verpflichteten sich die unterzeichnenden Staaten, die Erhöhung der Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche durch eine Verringerung des Treibhausgasausstoßes auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Bis heute hat sich die Erde bereits um 1,2 Grad Celsius erwärmt.

Die Unterzeichner des Pariser Klimaabkommens erklären zwar per Selbstverpflichtung, wie stark sie ihre Emissionen bis 2030 zu begrenzen gedenken. Doch bei Nichteinhaltung drohen bisher keine Sanktionen, nur Image-Probleme. Man darf gespannt sein, ob dieses Problem zum Thema der nächsten UN-Klimakonferenz in Ägypten in vier Monaten erhoben wird. Zwar sanken dem Umweltbundesamt zufolge innerhalb der EU die Kohlendioxidemis­sionen von 1990 bis 2019 um 1 109 Millionen Tonnen (26 Prozent), größtenteils infolge der Deindustrialisierung in Osteuropa nach dem Ende der ­Sowjetunion. Doch zuletzt stiegen die Emissionen eher, als zu fallen, und weltweit wachsen sie ohnehin unvermindert. Es sieht ganz danach aus, dass die sogenannte Staatengemeinschaft das Zwei-Grad-Ziel verfehlen wird und sogar auf dem Weg in eine »Drei-Grad-Welt« ist. Da hilft auch das Klimagesetz der EU nicht viel, das sich auf den »Eu­ropean Green Deal« stützt und einzelne Emissionsminderungsprogramme ­auflegt.

Wenn die reichen Industriestaaten der EU schnell den Weg der Dekarbonisierung gehen wollten, müssten sie ihre Politik zwangsläufig gegen die traditionelle Industrie richten, die auf ­fossilen Brennstoffen und Viehzucht beruht, sie müssten gegen die Agrar­industrie, die Autohersteller, Baukonzerne und Fluggesellschaften vorgehen, was die mit diesen Branchen verbandelten etablierten Parteien jedoch nicht tun werden. Die Forderung nach einer Dekarbonisierung der Wirtschaft stellt die alte Wirtschaftsordnung in Frage.

Was das konkret heißen könnte, zeigt ein Blick nach Schweden und Norwegen. Schweden deckt bereits 55 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen. Hier wurden Kohlendioxidemissionen früh hoch besteuert und jedes zweite Auto hat inzwischen einen Elektroantrieb. In Norwegen gibt es nur noch ein Kohlekraftwerk und man will Neuwagen mit Verbrennungsmotor schon 2025 verbieten. Das Land fördert zwar Öl und Gas, der dabei verwendete Strom kommt jedoch inzwischen ausschließlich aus erneuerbaren Quellen. Die Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung wandern fast komplett in einen Staatsfonds, der für die Allgemeinheit da ist.

Ein Bremser in der EU ist immer noch Deutschland. Zwar wurde 2020 erstmals mehr Strom aus Windkraft als aus Kohle produziert und der Anteil der Erneuerbaren am Energiemix steigt langsam, aber kontinuierlich an. Doch das groß angekündigte sogenannte Sommerpaket der Bundesregierung für den Klimaschutz ist so gut wie gescheitert. Die FDP lehnt Vorgaben, Verbote und Verzicht für den Klimaschutz ab und hat schon aus dem vorangegan­genen »Osterpaket« zur Energiewende streichen lassen, dass der deutsche Stromsektor im Jahr 2035 klimaneutral sein soll. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schmückt sich damit, auf EU-Ebene das Verkaufsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 verhindert zu haben.

Klimaschutz ist vornehmlich kein physikalisches Problem, wie es Wirtschaftsliberale gerne sehen, das sich demnächst stellen würde und dann ­irgendwie technisch zu lösen wäre. Die Klimakrise ist längst da und verlangt nach einer umfassenden Transformation der Ökonomie, insbesondere der Energiewirtschaft. Ein Systemwandel, der dem Ausmaß der Klimakrise gerecht würde, benötigte den Druck vieler Gruppen, die fernab der Staatsmacht stehen und sich aller ihnen verfügbaren Machtmittel bedienen: in ­sozialen Bewegungen, Streiks und Protestmärschen, bei Wahlen und vor ­Gericht. Sie werden sich auf Dauer wohl nicht zufriedengeben mit einer Politik des Klein-klein, hier mal ein Förderprogramm für Energiesparhäuser und ökologische Wärmepumpen, dort eines für neue Ladesäulen und Lastenfahr­räder.