Die Kolumnisten wandern weiter und hadern mit der »trail family«

Die wandernden (Un-)Toten

Walk on the Wild Side. Zwei Schwule – ein Wanderweg Von

Wenn man zum Wandern in die USA reist, kann man sich an den positiven Effekten des digital detox erfreuen, denn auf dem Trail ist der Empfang meist nicht besonders gut. Prima, endlich mal Ruhe und einfach die Natur genießen. Wären da nicht die anderen tausend Hiker, denen man täglich begegnet und die einen ­unweigerlich in ein Gespräch verwickeln wollen. Viele der US-Amerikaner sind an den Beweggründen interessiert, weshalb man sich auf ebenjene Reise begeben hat. Dabei kommt man nicht um das Gefühl herum, dass die Gesprächspartner schlichtweg mit einer guten, in diesem Fall rührseligen Story unterhalten werden wollen. Leider können wir nicht damit ­auftrumpfen, einen Spendenlauf für bedrohte Meeresbewohner zu machen oder für eine Krebseinrichtung, weil ein enger Verwandter kürzlich an einer seltenen Krebsart verstorben ist und man nun charity work leisten möchte (alles schon gehört). Nope, wir wollen einfach nur wandern und unsere Ruhe haben.

Wer die Einsamkeit sucht, ist allerdings mit dem Pacific Crest Trail falsch beraten. So ist es schwer, sich dem Gruppengefüge zu entziehen. Gleich zu Beginn bilden sich Banden, aber nur wenige Allianzen. Das Ganze nennt sich dann Trail Family. Wer gehört dazu, wer wird ausgeschlossen? Was an den Sportunterricht erinnert, an den so mancher noch schlechte Erinnerungen haben wird, weil er immerzu als Letzter in eine Gruppe gewählt wurde, wird hier gewissermaßen retraumatisiert, findet sich nicht schnell eine Clique, der man angehören darf.

Das Konzept der Trail Family erinnert ein wenig an Szenen aus der US-Zombie-Serie »The Walking Dead«, in der jede Gruppe um ihr Überleben kämpft. Nicht nur sehen die meisten Hiker nach kürzester Zeit auf dem Trail so verwahrlost aus wie manche der Protagonisten der Serie (oder gleich wie einer der Zombies), auch der dargestellte Ehrgeiz einzelner Gruppen, die stets darum bemüht sind, ihren Vorteil herauszuholen, kann man live und in Farbe beobachten. Sei es beim Trampen in die nächste Stadt oder beim Aufschlagen der Zelte. Subtiles Konkurrenzverhalten lässt sich feststellen: Wer bekommt noch einen Platz in einem der schäbigen Hostels? Wer darf mit wem an einem Platz zelten? Wer geht dafür über Leichen?

Aber auch die individuelle Dummheit einzelner Hiker ohne zugehörige Family scheint keine Grenzen zu kennen. Eine Wanderin erzählt stolz, dass sie ihr verschwitztes Hemd in einem der raren Wasserbecken, die in der Wüste aufzufinden sind, ­gewaschen hat, wovon andere wiederum ihr Trinkwasser holen. Vielleicht eine subversive Protestaktion gegen die herrschenden Strukturen?

Auf jeden Fall macht sich die Egozentrik mancher oft an Wasserquellen bemerkbar. So konnte man beobachten, dass eine andere Wanderin (übrigens diejenige, die den besagten Spendenlauf für bedrohte Meerestiere macht) ihre Beine mit dem Wasser eines Regentanks in der Wüste säubert.

Aber all dies passt ja auch ganz gut zur subjektiven journey, zur extrem wichtigen Reise, die man da unternimmt. Me, myself and I. Dazu noch ein hübsches Selfie, und die Likes sind sicher.

Natürlich geht es auch anders, doch möchten die Kolumnisten aus aktuellen und emotionalen Gründen gerade nicht reflektiert und sachlich argumentieren, sondern einfach mal gepflegt auf den Gehsteig kotzen und vielleicht zu anderer Gelegenheit besagtes Thema erneut aufgreifen: »One of these days these boots are gonna walk all over you.«