Deerhoof bedienen sich auf ihrem neuen Album der DIY-Attitüde

Können wir?

Auf ihrem neuen Album lassen Deerhoof die Ideale der Do-it-yourself-Kultur aufleben und schrammen damit haarscharf an einem naiven Utopismus vorbei.

18 Studioalben in 27 Jahren zu veröffentlichen, ist eine ordentliche Leistung für eine Band, EPs, Seitenprojekte und Live-Alben nicht mal mitgerechnet. Die Band Deerhoof aus San Francisco, die der Gitarrist und Bassist Rob Fisk und der Schlagzeuger Greg Saunier 1994 gründeten, kommt nun mit »Actually, You Can« auf diese Zahl. Kurz nach ihrer Gründung wurde die Band um die aus Japan stammende Sängerin und Bassistin Satomi Matsuzaki erweitert; 1999 verließ Fisk die Band. Mit wechselnden Gitarristen erspielte sie sich den Ruf, einer der Größen im US-amerikanischen Underground zu sein. Ihre enorme Kreativität mag zwar beeindrucken, die jüngsten Alben litten aber doch unter einer Abnutzung des Schockeffekts, den die früheren mit ihren abrupten Tempowechseln, den noisigen Gitarren­attacken und den fröhlich-eklektischen Stilkombinationen, irgendwo zwischen Lightning Bolt, Dirty Pro­jectors und John Cage, zu erzeugen vermochten. Hinzu kam Matsuzakis schräg-hohe Singstimme, deren Elan in letzter Zeit häufiger nach­zulassen drohte.

Deerhoof setzen ihre Hoffnung auf Ideen, deren revolutionäre oder zumindest schockierende Kraft sich längst erschöpft hat, die aber nun anscheinend wieder Lösungsmöglichkeiten für die Aufhebung gesellschaftlicher Antagonismen bieten sollen.

Dieser Qualitätsverlust lässt sich ­sicherlich auch mit der deprimierenden Gesamtlage in den USA in den vergangenen Jahre von Trump bis Covid-19 erklären. Denn auch wenn Deerhoof in ihren surrealistisch-dadaistischen Texten nie explizit politisch werden, verstehen sie sich als politische Band. Das neue Album »Actually, You Can« (der Titel weckt nicht ganz zufällig Assoziationen zu Barack Obamas Wahlslogan »Yes, we can«) ist sicherlich keine Agitpop-Platte geworden, aber es lassen sich unschwer Hinweise darauf finden, dass hier künstlerische Ideen der ­Do-it-yourself-Szene der achtziger und neunziger Jahre wieder politisch fruchtbar gemacht werden sollen.

Gerade weil die alten Konzepte unter dem neuen Regime der Streaming-Dienste, der Gentrifizierung und des Herabsinkens von Kunst zur Kreativarbeit ihren Stachel verloren zu haben schienen, wirkt »Actually, You Can« erstaunlich erfrischend und lebendig. Sauniers Schlagzeug ist präsenter denn je und wirbelt aufs Feinste die Takte durcheinander, Matsuzakis Bass ist im Vergleich zu den vorherigen Alben grooviger und voller. John Dieterichs und Ed Rodríguez’ Gitarren tänzeln kon­zentriert umeinander; und auch auf »Actually, You Can« ist mit Anleihen beim traditionellem englischen Folk, über Barockklänge hin zum karnevalesken Math Rock à la Battles ein weites Klangfeld abgesteckt, ohne dass die Musik in Beliebigkeit abrutscht.

Das Album eröffnet mit einem ­Titel biblischen Ursprungs (»Be Unbarred, O Ye Gates of Hell«), dessen banal scheinender Text über Zwiebeln, Tomaten und einen gut gefüllten Kühlschrank hintergründig Einkommensunterschiede behandelt. Dieser Thematik bleibt der Folgetrack »Scarcity is Manufactured« treu, der eine barocke Note einbringt, um letztlich mit »Divine Comedy« und Dante Alighieri im Übergang vom Mittelalter in die Renaissance zu enden.

Die bevorzugte Ästhetik passt zu den politischen Einlassungen der Bandmitglieder (vor allem Sauniers) in Interviews jüngeren Datums. Saunier äußerte mehrmals Vorstellungen, die stark an Kommunitarismus erinnern, also eine politische Philosophie, der zufolge Sozialität auf moralischen, aktivistischen, ­kulturellen (Klein-)Gemeinden und Netzwerken beruht, in denen der moderne, zentralistische Sozialstaat recht wenig Beachtung findet. Und wenn, dann vor allem und das keineswegs unbegründet als Gewaltapparat, etwa in Form von rassistischer Polizei und abstrakter, entfremdender Bürokratie.

Das Album ist gespickt mit Songs, die auf das Mittelalter verweisen, mit seinem dezentralen, religiös fundierten Feudalismus, der auf bäuer­licher Selbstversorgung fußte. Und zwischen diesen Songs steht so­zusagen der barocke Anklang. Es war eben die Epoche des Barocks, in der die materiellen und diskursiven Anfänge jenes staatlichen Souveräns zu finden sind, der sich im heutigen globalen Kapitalismus vielleicht in Auflösung, jedenfalls aber in einer Transformationsphase befindet. ­Natürlich wollen Deerhoof keine neoliberale Propaganda verbreiten, aber hier knüpfen sie klanglich wie textlich an Vorstellungen an, die sich bis in die Romantik zurückverfolgen lassen und sich am radikalsten in der klassischen Avantgarde äußerten, die sich das Ziel setzte, die Kunstsphäre zu kritisieren und zu sprengen und Kunst durch ästhetische Schocks in die ­Lebenspraxis zu überführen. Dieser Hintergrund ist für das Verständnis von Deerhoof wichtig, die ja vor allem enorm vielfältig, auch eklektisch mit Musikgattungen spielen.

Mit nur wenig Polemik könnte man sagen, dass mittlerweile über die Entfaltung und Globalisierung der US-amerikanischen Counter Culture der sechziger Jahre dieses Ziel auf eine sehr spezielle und verdrehte Weise erreicht geworden ist: Im Spätkapitalismus unter dem Zeichen des Neo­liberalismus sind romantische und künstlerische Diskurse in die politische Ökonomie integriert worden und bilden neue Imperative der ­Subjektivierung aus. Innerlichkeit, das Pflegen persönlicher Beziehungen, Netzwerken und Kreativität sind längst unter das Verdikt der Ver­wertung gestellt oder geben diesem sogar Impulse.

Ebenso bedenklich kann man die Begeisterung für eine »gute« Gemeinschaft finden, die in der Musik von Deerhoof auch zu finden ist, zum Beispiel wenn es im Song »Ancient Mysteries, Described« heißt: »Old gangs, cash only / Mid gangs, card only / New gangs, hearts only«. Solche Vorstellungen von der organischen, natürlichen Struktur des menschlichen Zusammenlebens sind letztlich immer reaktionär und kleinbürgerlich. Kunst muss zwar ein höherer Grad an Vieldeutigkeit zu­gestanden werden als vielleicht dem Politischen oder dem Ökonomischen (dessen Bedeutung sich in sich selbst erschöpft). Dass aber im von San Francisco nicht weit entfernten Silicon Valley – allerdings nicht nur dort und nicht nur in den USA – solche Ideologeme integraler Bestandteil des vorherrschenden Unternehmensgeists sind, müsste Künstlerinnen und Künstlern die Frage nahelegen, ob ihre Mittel und ihre Kritik noch angemessen sind – oder, ernüchternder, jemals waren.

So setzen Deerhoof Hoffnung auf Ideen, deren revolutionäre oder zumindest schockierende Kraft sich längst erschöpft hat, die aber nun anscheinend wieder Lösungsmöglichkeiten für die Aufhebung gesellschaftlicher Antagonismen bieten sollen. Längst herausgestellt hat sich aber: Diese Ideen können genauso gut zur Kontrolle und Regulierung der Subjekte dienen wie repressiv-disziplinarische, vielleicht sogar besser.

Deerhoof lassen ihre »Divine Comedy« nicht wie Dante im Paradies enden, sie führt vielmehr von speedinduzierten Led-Zeppelin-Reminiszenzen zu einem melancholischen Gesangspart und zu guter Letzt zu ­einem sirenenartigen, repetitiven, recht abrupt endenden Gitarren-­Instrumental. Das finale Stück des Albums ist das längste und stärkste der Platte; es besticht durch seine Ambivalenz. Als triumphale Siegeshymne auf das neue Präsidentengespann aus Joe Biden und Kamala Harris oder gar als Äußerung eines naiven Utopismus taugt der Song wie auch der Rest des Albums nicht, dafür sind Deerhoof dann doch zu klug. So ist das neue Album eine erstaunlich starke (und tanzbare) Manifestation lange schon in die unheimliche Realität inkorporierter Ideen geworden.

Deerhoof: Actually, You Can (Joyful Noise)