Der »Klimastreik« von Fridays for ­Future zwei Tage vor der Bundestagswahl

Predigten an den Chor

Zwei Tage vor der Bundestagswahl gelang es Fridays for Future mit dem »Klimastreik«, ihre Forderungen prominent zu platzieren.

In Merseburg, einer Stadt in Sachsen-Anhalt mit knapp 34 000 Einwohnern, bekommt man eine Kugel Eis noch für einen Euro. Das ist das erste, was beim Betreten der Kliaplatte, einem kleinen Platz im Stadtzentrum, auffällt. Auf den zweiten Blick bemerkt man am frühen Nachmittag des 24. September eine Gruppe junger Menschen. Alice, Astrid und Mika studieren Green Engineering beziehungsweise Soziale Arbeit an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg. Anfang des Jahres haben sie eine Ortsgruppe von Fridays for Future gegründet und nun zwei Tage vor der Bundestagswahl zum »Klimastreik« auf­gerufen. Ihrem Aufruf folgten etwa 50 Personen, so viele wie noch nie.

Kurz vor der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag hat der »Klimastreik« mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregt, auch wenn der ganz große Wahleffekt für die Grünen ausblieb.

Gleichzeitig demonstrierten in Hamburg laut Polizei 26 000 Menschen, in München und Leipzig jeweils etwa 12 000. Deutschlandweit fanden in über 470 Orten Protestaktionen vorwiegend junger Menschen für eine vehementere Klimaschutzpolitik statt. Der deutsche Ableger von Fridays for Future spricht von bundesweit 620 000 Teilnehmenden. Die Zahl lässt sich nicht überprüfen, doch klar ist: In vielen deutschen Städten war der »Klimastreik« die bislang größte Demonstration in diesem Jahr. Weltweit gingen nach Schätzungen von Fridays for Future vier Millionen Menschen auf die Straße.

Hierzulande enthielten Redebeiträge und Plakate häufig mindestens indirekte Wahlempfehlungen. »Dieser süße Planet stirbt, wenn Armin Kanzler wird«, war in Leipzig zu lesen. In Merseburg forderte eine Rednerin, am Sonntag eine Partei zu wählen, »die Klimaschutz ernst nimmt«. Wie in Merseburg war damit oftmals Bündnis 90/Die Grünen gemeint; die Partei erhielt bei der Bundestagswahl auch 23 Prozent der Zweitstimmen in der Altersgruppe der 18- bis 24jährigen, mehr als jede andere Partei.

Während Bewegungsgründerin Greta Thunberg in Berlin vor 40 000 Menschen beklagte, dass keine der Parteien auch nur annähernd einen Plan hätte, wie die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen seien, hielten wenige Meter vor der Bühne Demonstrierende ein Plakat mit der Aufschrift »Baerbock for Future« in die Höhe. Die Kanzlerkandidatin der Grünen selbst ließ es sich kurz vor Ende des Wahlkampfs nicht entgehen, sich bei der Großdemonstration von Fridays for Future in Köln zu zeigen.

Kurz vor der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag hat der »Klimastreik« mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregt, auch wenn der ganz große Wahleffekt für die Grünen ausblieb. Das zeigte sich schon daran, dass sich rechtsgerichtete Medien auf skurrile Art über den »Klimastreik« mokierten. Der Programmchef des Fernsehsenders Bild TV, Claus Strunz, echauffierte sich während einer Live-Sendung am Demonstrationstag über die »Parteinahme für die Grünen vor dem Reichstag, der ­Kulisse Deutschlands«. Die Veranstaltung hätte nicht genehmigt werden dürfen, so Strunz.

Neben den Grünen und vielen offensichtlich mit dieser Partei Sympathisierenden beteiligten sich vielerorts auch weitere Organisationen an den Protesten. Die wegen ihrer esoterischen und antisemitischen Tendenzen sehr umstrittene Bewegung Extinction Rebellion war ebenfalls prominent vertreten, in Nürnberg besetzten ihre Anhängerinnen und Anhänger das Rathausdach. Aber auch Kirchenverbände riefen zum »Klimastreik« auf. Die Evangelische Kirche Deutschlands reihte sich in Hannover, wo sie ihren Hauptsitz hat, mit einem »Schöpfung erhalten«-Plakat in die Demonstration von Fridays for ­Future ein.

Mit dem Verweis auf die Schöpfungsverantwortung warb auch die katho­lische Kirche an verschiedenen ­Orten für die Teilnahme an den Demonstra­tionen. Und mancherorts waren die Kirchen die einzigen Institutionen, die ­einen »Klimastreik« organisierten, beispielsweise im sächsischen Pegau bei Leipzig, wo die katholische und die evangelische Gemeinde gemeinsam eine Klimaandacht mit anschließender Fahrradausfahrt organisierten. Fridays for Future bewarb auch diese Aktion auf ihrer Website.