Regierung und Opposition ­Venezuelas wollen miteinander verhandeln

Nullen streichen reicht nicht

Regierung und Opposition Venezuelas verhandeln wieder miteinander. Die wirtschaftliche Lage des Landes bleibt jedoch schwierig.

Anfang September werden unter Vermittlung Norwegens Vertreter der venezolanischen Regierung und der dortigen rechten Opposition in Mexiko über Möglichkeiten verhandeln, die tiefgreifende politische und wirtschaftliche Krise in Venezuela zu beenden. Präsident Nicolás Maduro zeigte sich vergangene Woche optimistisch. »Die Friedensdialoge zwischen Venezuela und den extremistischen Sektoren der Rechten haben gut begonnen«, befand er, nachdem beide Verhandlungsparteien am 13. August eine »Absichtserklärung« (Memorandum of Understanding) unterzeichnet hatten. Darin verpflichten sie sich unter anderem dazu, die Verfassung und die Menschenrechte zu achten und auf Gewalt zu verzichten. Zudem einigten sie sich auf insgesamt sieben Verhandlungsthemen, darunter politische Rechte und Wahlen, Sanktionen sowie politisches und soziales Zusammenleben.

Der Opposition geht es bei den Verhandlungen vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihr als politische Gefangene betrachteten Personen.

Der Opposition geht es bei den Verhandlungen vor allem um Garantien für freie Wahlen und die Freilassung der von ihr als politische Gefangene ­betrachteten Personen. Für die Regierung steht ein Ende der Sanktionen ­gegen Venezuela und die Anerkennung der bisherigen Machtverhältnisse im Mittelpunkt. Am 15. August wurde als direkte Folge der Absichtserklärung der Oppositionspolitiker Freddy Guevara aus der Haft entlassen. Er war am 12. Juli von der Geheimdienstpolizei Sebin verhaftet worden, weil er Verbindungen zu kriminellen Banden in Caracas unterhalten soll.

Ob die Verhandlungen Erfolg haben können, hängt auch von der Haltung der US-Regierung ab, denn nur sie kann die Sanktionen aufheben. Im August 2019 endeten die bislang letzten Gespräche zwischen Regierung und Opposition auf Barbados damit, dass die Regierung von Donald Trump die Sanktionen verschärfte. Der damalige US-Präsident hatte sich beharrlich geweigert, zu akzeptieren, dass Maduro zunächst weiter im Amt bleibt. Nach den gescheiterten Verhandlungen suchten weniger konfrontative Teile der Opposi­tion auf eigene Verantwortung Gespräche mit der venezolanischen Regierung; als Fortschritt wird angesehen, dass im Nationalen Wahlrat (CNE) nun zwei von fünf Mitgliedern der Opposition angehören, zuvor war das Verhältnis jahrelang vier zu eins zugunsten der herrschenden chavistischen Kräfte.

Die gerade für September vereinbarten Verhandlungen haben aus Sicht vieler Venezolanerinnen und Vene­zolaner allerdings ein Legitimitätsproblem. Neben der Regierung nehmen die vier größten venezolanischen Oppositionsparteien teil. Die zwei wichtigsten Flügel, der unter Juan Guaidó und der unter Henrique Capriles, unterstützen die Gespräche. Es fehlt bei den Verhandlungen jedoch die mode­rate rechte Opposition, die sich an der von Capriles und Guaidó boykottierten Parlamentswahl 2020 beteiligt hatte und in deren Augen deshalb von der Regierung korrumpiert ist. Ein radikaler Oppositionsflügel um María Corina Machado und Antonio Ledezma lehnt ohnehin jegliche Gespräche ab. Auch die kleine linke Opposition sowie zivilgesellschaftliche Gruppen sind in Mexiko nicht dabei.

An den für den 21. November geplanten Regional- und Kommunalwahlen könnte sich die kommende Strategie der rechten Opposition entscheiden. Nachdem sie die Parlamentswahl im vergangenen Dezember größtenteils boykottiert hatte (Sieg ohne Gegner), mehren sich die Forderungen, eigene Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen. Die Wahlen böten »eine große Chance, sich zu organisieren und Unzufriedenheit auszudrücken«, sagte der zweifache Präsidentschaftskandidat Capriles am Freitag vergangener Woche. Er war im vergangenen Jahr auf Distanz zu Guaidó gegangen und hatte, entgegen dessen Boykott­aufrufen, zunächst an der Parlamentswahl teilnehmen wollen. Die Opposition solle politische Räume nicht kampflos aufgeben, argumentierte er. Aus Protest gegen die Wahlbedingungen schloss er sich aber später dem Wahlboykott an.

Das Lager von Guaidó, der mit Unterstützung der US-Regierung noch immer beansprucht, legitimer Interims­präsident Venezuelas zu sein, lehnt eine Teilnahme an den Regional- und Kommunalwahlen bisher hingegen ab. Die regierende Vereinte Sozialis­tische Partei Venezuelas (PSUV) versucht derweil, ihre Anhängerschaft wieder stärker zu mobilisieren. Am 8. August hielt sie erstmals seit Jahren interne Vorwahlen ab. Es ging darum, die Kandidaten für die Gouverneurs- und Bürgermeisterämter zu bestimmen. In den meisten Fällen setzten sich dabei die Wunschkandidatinnen und -kandidaten der Parteiführung durch.

Die gespaltene Opposition wird die Regierung bei Wahlen zurzeit nicht ablösen können. Sollte sie sich jedoch in ihrer Mehrheit einigen und für eine Teilnahme an den Regional- und Kommunalwahlen entscheiden, könnte sie dort unter Umständen doch einige Erfolge erzielen. Dann könnte sie ab Anfang kommenden Jahres einen neuen Versuch unternehmen, Unterschriften für ein Abberufungsreferendum gegen Maduro zu sammeln.

Bei den Verhandlungen muss neben den Wahlbedingungen aber vor allem die wirtschaftliche Lage im Vordergrund stehen. Während unter den US-Sanktionen in erster Linie die ärmere Bevölkerung leidet, ist die Regierung Maduro in den vergangenen Jahren wirtschaftlich von chavistischen Vorstellungen abgerückt. Die Rhetorik bleibt zwar sozialistisch, doch werden Staatsunternehmen mal offen, mal unter der Hand privatisiert und Investitionsanreize für private Organisationen geschaffen. Die Regierung rechtfertigt dies als tak­tischen Zug angesichts der durch die Sanktionen gehemmten Wirtschaft. Linke Kritikerinnen und Kritiker bemängeln indes einen Ausverkauf des Landes, der sich nach einem möglichen Ende der Sanktionen kaum umkehren ließe.

Die Regierung ist nicht in der Lage, die Wirtschaftskrise aus eigener Kraft zu beenden. Aufgrund der hohen Inflation wird die Zentralbank bei der Landeswährung Bolívar im Oktober sechs Nullen streichen. Zuletzt waren 2018 fünf Nullen gestrichen worden, die erhoffte wirtschaftliche Erholung blieb jedoch aus. De facto zählt im Bargeldverkehr längst nur noch der US-Dollar, auch das Preisniveau orientiert sich daran. Ohne Zugang zur US-Währung, zum Beispiel durch Rücküberweisungen ausgewanderter Familienmitglieder, wird das tägliche Überleben für die Mehrheit immer schwieriger. Der Mindestlohn beträgt derzeit zehn Millionen Bolívares pro Monat, das entspricht umgerechnet gut zwei Euro; daran, dass der Bolívar als Landeswährung nicht funktioniert, wird die Währungsreform nicht ändern.