Ein Gespräch mit Carsten Friedrichs von der Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen

»Wenn ich die Four Tops höre, bin ich stolz, zur Gattung Mensch zu gehören«

Carsten Friedrichs ist Sänger und Songwriter der Hamburger Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, die im Juli mit »Gschichterln aus dem Park Café« ihr sechstes Album veröffentlicht hat. Zuvor war er Sänger und Gitarrist der 2012 aufgelösten Band Superpunk. Mit der »Jungle World« sprach er über Seidentücher, Wolfgang Pohrt und Männer mit schönen Haaren.
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Seit bald einem Jahrzehnt liefert Die Liga der gewöhnlichen Gentle­men unermüdlich neue Hymnen aus der Welt zwischen Eckkneipe und Trabrennbahn. In den vom Northern Soul inspirierten Songs setzt ihr gern gesellschaftlichen Außenseitern ein Denkmal – oder ketterauchenden Typen mit Drink in der Hand, von Robert Mitchum bis Werner Enke. Auch das neue Album wartet mit eher unzeitgemäßen Betrachtungen auf: Im Zeitalter von Abstandsregeln, Flugscham und Birkenstock singst du in Bestlaune von einer Boeing 747 auf dem Flug in den Süden oder den Schwierigkeiten, in Hamburg ein gestreiftes Hemd zu bekommen. Provokation oder Eskapismus?

Wenn das Singen über Kettenraucher oder gute Laune von irgendwelchen Ökos als Provokation aufgefasst wird – umso besser. Da stehen wir noch in der guten alten Punktradition. Aber das ist eher ein Nebeneffekt, denke ich mal. Ich singe einfach gern über Sachen oder Leute, wo ich mich ein bisschen auskenne – und das ist bei Robert Mitchum und Werner Enke der Fall. Und es gibt nicht so viele Stücke über Robert Mitchum und Werner Enke. Zudem: Wenn an Corona schon niemand mehr denkt, die Hemden-Problematik, die wird bleiben.

Fred Perry oder Lacoste?

Gute Frage! Ich habe vier Lacoste-Hemden und zwei von Fred Perry. Also steht es 4:2. Matchball: René!

Täuscht der Eindruck, dass der Sound der neuen Platte sauberer klingt als sonst, weniger krachig? Konntet ihr als Band wie gewohnt ins Studio?

Tatsächlich konnten wir diesmal nicht im Studio aufnehmen. Aber mit der Technik heute, das ist ja phantastisch. Unser Schlagzeuger hat bei sich im Proberaum aufgenommen und die Spuren geschickt. Dann hat unser Bassist in Berlin den Bass eingespielt – so hat jeder seinen Kram einzeln aufgenommen und wir haben das zusammengemischt. Dadurch, dass wir nicht den Zeitdruck hatten, in ein oder zwei Wochen im Studio alles fertig haben zu müssen, konnten wir viel mehr rumprobieren und arrangieren. Deswegen klingt es vielleicht ein bisschen cleaner. Ich bin auch ein Freund von so cleaner, produzierter Popmusik – und allmählich kommen wir der Sache näher.

Musiker finanzieren sich heute kaum noch mit dem Verkauf von Tonträgern, sondern durch die Live-Konzerte. Wie geht es euch nach über einem Jahr Auftrittsverbot?

Wir hatten da noch Glück im Unglück, weil wir aufgrund von chronischer Erfolglosigkeit immer noch Amateurstatus haben und alle noch andere Jobs haben. Daher hat es uns nicht so hart erwischt. Musiker, die das hauptberuflich machen, ­haben es derzeit viel schwerer, auch die Tontechniker und Roadies, die bei den Touren mitfahren. Wir sind so kleine Lichter, dass wir von der Musik schon nicht leben konnten, als wir noch live gespielt haben.

In Éric Rohmers Film »Die Sammlerin« sagt der Protagonist: »Ich habe es immer bedauert, nicht reich zu sein. Aber dann hätte mein Dandytum nichts Heroisches mehr.« Gesprochen wie ein gewöhnlicher Gentleman?

Mit Heroismus haben wir eher wenig am Hut, wir sind ja mehr Komfortisten. Aber wenn Dandytum und Die Liga in einem Atemzug genannt werden, dann freut uns das schon mal – dann haben wir nicht alles falsch gemacht.

»Männer mit schönen Haaren« heißt ein doppelbödiger Ohrwurm auf dem neuen Album: vordergründig eine beschwingte Hommage an die gutaussehenden Playboys der Boomer-Generation, die ihren Lebensabend am Pool genießen – zugleich ein melancholischer Rückblick auf das Glücksversprechen einer vergangenen Epoche. Der Text ließe sich sogar als höhnischer Sarkasmus jener »Abgehängten« lesen, für die das Bild vom guten Leben, das der Westen in seinen Trente Glorieuses vermitteln konnte, längst verblasst ist. Sollte Carsten Friedrichs uns hier sein größtes Vexierbild aufgetischt haben?

Ach, da hatte ich den Film »Die drei Tage des Condor« mit Robert Redford gesehen und dachte: Der hat wirklich schöne Haare! Und dann dachte ich: »Männer mit schönen Haaren«, das ist doch mal ein Songtitel, den gibt’s so noch nicht! Über die schönen Haare von Männern wurde bisher wenig gesungen. Dabei sind Haare doch ein wichtiges Thema.

Ich ahnte, dass so eine Antwort kommen würde.

Na ja, dieses Uneindeutige – ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht, wie ich’s meine. Manchmal total affirmativ, manchmal tatsächlich auch als Abgesang. Allerdings, dieses Glücksversprechen steht ja immer noch im Raum – und irgendwie wollen wir das doch noch einfordern.

Als Sehnsuchtsort taucht München in mehreren deiner Texte auf, angefangen beim Titel der ersten Superpunk-Platte »A bisserl was geht immer«. In »Parties in München« vom fünften Superpunk-Album »Why Not?« reimst du: »Eisner, Mühsam, ich spüre es noch / Ein Hauch von Freiheit, irgendwie doch«. Auch der Titel der neuen Platte klingt nicht sehr hanseatisch. Woher kommt die für einen Hamburger ungewöhnliche Liebe zur »nördlichsten Stadt Italiens«?

Das kommt tatsächlich durch »Monaco Franze«, »Kir Royal« und solche Serien. Musik aus München fand ich immer toll, Giorgio Moroder, die Discomusik, die da produziert wurde. Dann war ich großer Fan der Band Merricks und natürlich der Filme von Werner Enke. Auch für die Münchner Räterepublik hatte ich immer ein Faible. Das ergab so ein Bild von München, das – wenn man da als Tourist ist – erstaunlich der Realität entspricht. Wenn man da wohnt, ist das vielleicht anders. Aber immer, wenn ich mal da war, war das Wetter gut. Unser Bassist Tim hat früher länger in München gewohnt, der meinte zu mir: »Für dich ist München ja so ’ne Art Disneyland.« Und die Leute sind tatsächlich anders als in Hamburg. Dieses »Passt scho«, diese Mentalität fand ich ­immer gut. Und »Geschichten aus dem Park Café« hätte so bedeutungsschwanger geklungen, »Gschichterln« trifft es eher, das ist ein bisschen leichter.

Gleichzeitig mit dem Album ist einer deiner Texte an ungewohnter Stelle erschienen, nämlich in der ersten Ausgabe der »Hallischen Jahrbücher« in der Edition Tiamat, die unter dem Titel »Die Untiefen des Postkolonialismus« kritische Beiträge zum Thema versammelt. Wie kam es dazu?

Das kam über Jörg Folta, den ich seit Jahren auch als Veranstalter des Felsenkellers in Leipzig kenne. Der brachte dieses Fanzine Bonjour Tristesse raus, das habe ich immer sehr gern gelesen. Jörg hat mich angefragt, ob ich Lust hätte, was zum Jahrbuch beizusteuern – und ich habe ein Gedicht geschrieben über einen Second-Hand-Laden vom Roten Kreuz, wo man Klamotten abwiegt und nach Gewicht bezahlt. Später wurde daraus der Song »Kilo Shop Mod«. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass es um Kritik am Postkolonialismus geht – aber umso besser. Das Buch war vorgestern bei mir im Briefkasten und ich habe schon mit großem Gewinn reingelesen. Und da ich immer gern Wolfgang Pohrt gelesen habe, dessen Bücher ja auch in der Edition Tiamat rauskamen, freut es mich, dass da auch mal eine Seite von mir erschienen ist.

Viele der beteiligten Autoren sind für ihre scharfe Polemik auch gegen die Linke bekannt. In der Vergangenheit fielen in deinen Songtexten mitunter klassenkämpferische Untertöne auf, gerade bei deiner früheren Band ­Superpunk. Was hat dich von der heutigen Linken entfremdet?

Das reicht schon weiter zurück, das ist gar nicht nur die heutige Linke. Mit der Linken vor 20 oder 25 Jahren wollte ich eigentlich auch schon nichts mehr mit zu tun haben. Das fing damit an, dass an den besetzten Häusern in der Hafenstraße »Boykottiert Israel« draufstand, und ich dachte, das ist schon seltsam, dass die sich von 200 Ländern jetzt ausgerechnet dieses eine aussuchen. Da bin ich ins Grübeln gekommen und habe, wie es damals hieß, antideutsche Publikationen gelesen. An der Linken war mir auch vom Style irgendwie alles zu öde – diese Mischung aus Hippies, Israel-Boykott und infantiler Gewalt, damit wollte ich nichts mehr zu tun haben. Aber so ein gewisses Klassenbewusstsein, oder was Klassenkämpferisches, das kann man davon abkoppeln, da habe ich immer noch kein Problem mit. Wird halt von der Linken nicht mehr so vertreten.

Stilfragen spielen auch in deinen Songtexten eine Rolle. Wo kaufst du deine Seidenhalstücher?

Tatsächlich viel in Second-Hand-Läden, früher fand man die da noch ­relativ häufig. Wobei ich zugeben muss, die sind meistens aus Kunstseide. Einmal hat mir meine Freundin eines aus England mitgebracht. Eigentlich brauche ich mal wieder Nachschub.

Drake’s hat ja sehr schöne.

Ja, aber Drake’s ist vor allem in England – und letztens hab ich ein Hemd in England bestellt und da bin ich echt wahnsinnig geworden mit diesen ganzen Zollformalitäten und was man da draufzahlen muss. Nach diesem Hemdenkauf wurde ich zum »Brexit«-Gegner.

Du bist nicht nur ein großer ­Popmusik-Nerd, sondern warst auch lange in der Hamburger Mod-Szene als DJ aktiv. Was würdest du Einsteigern empfehlen?

Was ich im Moment gern höre, sind brasilianische Bands wie Os Mutantes, zum Beispiel. Die haben sich echt mal was ausgedacht, das klingt anders! Tropicalismo-Bewegung, Gilberto Gil, Jorge Ben und so. Großartige Musik! Als Genre für mich relativ neu, ich habe erst vor anderthalb Jahren Zugang dazu gefunden und jetzt bestimmt schon 30 brasilianische Platten, die ich mit großem Vergnügen anhöre. Und natürlich mein Haus- und Hofheiliger Jonathan Richman. Nicht jedermanns Sache, aber für mich ist das der Aller­größte.

Auch jemand mit guter Laune.

Ja, und meine Lieblings-Soulband sind noch immer die Four Tops. Auf jedem Flohmarkt gibt es bestimmt zehn Four-Tops-Platten, die man preiswert erwerben kann. Wenn man sich da eine Best-of-Platte besorgt, hat man gute Chancen, angefixt zu werden. Die perfekte Einstiegsdroge ins Genre! Bei mir war es damals so. Und jedes Mal, wenn ich die alten Platten wieder rauskrame, entdecke ich noch was Neues – unglaublich, was die hingekriegt haben! Wenn ich die Four Tops höre, bin ich stolz, zur Gattung Mensch zu gehören.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen: Gschichterln aus dem Park Café (Tapete Records)