Timo Lange, Mitarbeiter von Lobbycontrol, über den Gesetzentwurf für ein Lobbyregister auf Bundesebene

»Ein kurioser Prozess«

Ein Lobbyregister wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Lobbykontrolle, sagt Timo Lange, Mitarbeiter von Lobbycontrol, würde aber nicht alle Probleme lösen.
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Vergangenen Sommer haben SPD und CDU/CSU auf Bundesebene begonnen, über ein sogenanntes Lobbyregistergesetz zu verhandeln, was vor allem als Reaktion auf die Affäre um den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor verstanden wurde. Insbesondere die Union hatte sich jahrelang gegen ein Lobbyregister ausgesprochen. Was sollte sich mit dem geplanten Gesetz ändern?
Bei dem Gesetz geht es darum, alle Lobbyisten, die auf Politik Einfluss nehmen wollen, zu verpflichten, sich in ein Register einzutragen. Sie müssten offenlegen, für wen sie arbeiten, zu welchen Themen und mit welchem eingesetzten Budget. In der Tat hatte sich für so ein Register eigentlich noch nie eine politische Mehrheit gefunden. Es gab immer großen Widerstand, vor allem aus der Union, aber auch von anderen Parteien, und das hat sich im vergangenen Jahr doch geändert. Ich fand es sehr erfreulich, dass nicht nur die Regierungskoalition, sondern eigentlich alle Bundestagsfraktionen im Grundsatz gesagt haben: Ja, mehr Transparenz beim Lobbyismus ist für uns zentral. Das ist ein wichtiges Signal auch an die Bevölkerung – in dem Sinne, dass Interessenvertretung zwar zur Politik dazugehört, aber doch klaren Regeln unterworfen sein sollte.

Waren Sie mit dem ersten Gesetzentwurf zufrieden?
Der erste Gesetzentwurf, der nach der Sommerpause des Bundestags vorgestellt wurde, war sehr, sehr schwach und sehr enttäuschend. Diesen Entwurf haben wir scharf kritisiert. Problematisch ist beispielsweise, dass das Register nur für die Lobbyarbeit beim Bundestag gelten sollte und nicht bei den Ministerien und der Regierung. Das ist eine ganz große Lücke, weil die allermeisten Gesetze in den Ministerien geschrieben werden und entsprechend ein Großteil der Lobbyarbeit dort stattfindet.

Eigentlich hatten die Koalitionsparteien angekündigt, das Gesetz noch im vergangenen Jahr zu verabschieden, dazu ist es aber nicht ­gekommen. Wieso?
Das war ein recht kurioser Prozess. Eigentlich bereits in dem Moment, in dem die erste Lesung im Bundestag stattfand, haben die Koalitionsparteien gesagt, dass sie den Entwurf jetzt doch gar nicht mehr so meinen und die Kritik aufgreifen wollen, die von Lobbycontrol und anderen Organisationen kam, und dass sie zumindest die Lobbyarbeit bei der Regierung auch in diesem Lobbyregister drin haben möchten.
Das hat sich in der Folge allerdings als gar nicht so einfach herausgestellt. Es gab dann weitere Verhandlungen über einen neuen, überarbeiteten Gesetzentwurf, und da gingen die Vorstellungen innerhalb der Regierung und zwischen den Koalitionspartnern an einigen Stellen doch wieder sehr weit ­auseinander.

Inwiefern?
Ein großer Streitpunkt war der sogenannte legislative Fußabdruck. Dabei geht es darum, dass zusätzlich zum Lobbyregister bei einzelnen Gesetzen noch einmal genau nachgezeichnet wird, welche Interessenvertreter daran beteiligt waren, welche Stellungnahmen in das Gesetz eingegangen sind und wer sich mit wem getroffen hat. Das müsste dann von Seiten der Ministerien genau dokumentiert und veröffentlicht werden. Das war ein großer Streitpunkt, an dem sich der ganze Prozess lange aufgehalten hat.

Noch sind die Verhandlungen nicht endgültig gescheitert. Angenommen, die Koalitionsparteien einigen sich auf den überarbeiteten Gesetzentwurf inklusive legislativem Fußabdruck. Entspräche ein solches Register den Forderungen von Lobbycontrol?
Wir hatten an dem ersten Gesetzentwurf unter anderem kritisiert, dass Profilobbyisten, die im Auftrag von verschiedenen Unternehmen oder Verbänden arbeiten, also beispielsweise Lobbyagenturen oder auch Anwaltskanzleien, ihren Auftraggeber dem Entwurf zufolge gar nicht genau nennen sollten. Das wurde inzwischen geändert, auch an diesem Punkt gibt es also eine Verbesserung. Aber es gibt viele weitere Punkte, die noch kritisch sind. Es sind beispielsweise große und weiträumige Ausnahmen für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände und für Kirchen vorgesehen. Auch bei den Finanzangaben gibt es noch Lücken, die möglichst geschlossen werden sollten. Die Frage, wie viel Geld da im Spiel ist und wie Organisationen sich finanzieren, ist ja auch ein wichtiger Teil von Lobby­transparenz.

Vergangenes Jahr wurde bekannt, dass ein Formulierungsvorschlag des Bundesverbands deutscher Banken nahezu wörtlich in das Jahressteuergesetz 2007 übernommen worden war – eine Formulierung, die die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte, bei denen Aktienhändler sich eine Kapitalertragsteuer, die sie nur einmal gezahlt hatten, mehrfach zurückerstatten ließen, zu großen Teilen erst ermöglicht haben soll. Hätte ein Lobbyregister das verhindern können?
Um es gleich vorweg zu sagen: Ein Lobbyregister wäre ein ganz großer und wichtiger Schritt hin zu mehr Lobbykontrolle, würde aber nicht alle Probleme lösen. Bei einem Lobbyregister in Kombination mit einem legislativen beziehungsweise einem exekutiven Fußabdruck hätte in dem Jahressteuergesetz von 2007 aber vermerkt werden müssen, dass wesentliche Teile der Gesetzesbegründung vom Bundesverband deutscher Banken stammten. Dann hätte sicherlich das Parlament, das ja am Ende die Gesetze verabschiedet, doch noch mal sehr viel genauer hingeschaut; möglicherweise wäre dieser Skandal damit anders abgelaufen.
Um noch ein aktuelles Beispiel zu nennen: Bei dem Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard werden gerade im Rahmen eines Untersuchungsausschusses und durch andere Recherchen immer mehr Details darüber zutage gebracht, welche Lobbyisten für diesen Konzern tätig waren. Das war ja wirklich eine große Zahl an illustren Herren, darunter ein ehemaliger Minister und ein hoher ehemaliger Beamter aus dem Kanzleramt. Dieses Netzwerk hätte ein Lobbyregister offengelegt und damit möglicherweise auch den Ausgang oder den Fortgang des Skandals beeinflusst.

Lassen sich ungefähre Angaben darüber machen, wie viele Lobby­istinnen und Lobbyisten in Berlin tätig sind und in welchen Bereichen sie arbeiten?
Es ist immer von 5 000 bis 6 000 Lobbyisten die Rede, das sind aber wirklich ganz grob über den Daumen gepeilte Schätzungen, bei denen man sich anschaut, wie viele Verbände es gibt und wie viele Unternehmen ein Hauptstadtbüro haben. Das könnten auch noch deutlich mehr sein. Besonders aktiv sind natürlich die großen Konzerne in Deutschland, auch internationale Konzerne, wie die US-Tech-Unternehmen Google, Facebook und Co., die inzwischen gerade in Deutschland als größtem EU-Mitgliedsland sehr aktiv sind. Insgesamt kann man sagen, dass eigentlich all die Branchen, die stark von staatlicher Regulierung betroffen sind – ob nun die Energiebranche, die Automobilbranche oder auch die Pharmaindustrie –, entsprechend viel Lobbyarbeit betreiben.

Auf EU-Ebene gibt es bereits seit einigen Jahren das sogenannte Transparenzregister, daher weiß man recht genau, dass etwa 70 Prozent der dort tätigen Lobbyisten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände arbeiten. Ändert dieses Wissen etwas an der Praxis?
Es macht zumindest Ungleichgewichte deutlich und kann dazu beitragen, in der politischen Debatte für mehr Ausgewogenheit zu sorgen. Für die Politik ergibt sich daraus die Aufgabe, sich auch mit denjenigen zu treffen, die vielleicht nicht so gut vernetzt sind. Seit auf EU-Ebene die Kommissarinnen und Kommissare ihre Treffen mit Lobbyisten veröffentlichen müssen, sehen wir beispielsweise, dass sie sehr viel stärker unter Rechtfertigungsdruck stehen, wenn sie sich einseitig nur mit Lobbyisten einer bestimmten Branche treffen und andere Stimmen kaum zu Wort kommen.

In der Covid-19-Pandemie wird häufig beklagt, dass große Unternehmen hohe staatliche Zuwendungen erhalten, während die Politik Beschäftigte mit geringem Einkommen vernachlässige. Was müsste über ein Lobbyregister hinaus passieren, um etwas an diesem Ungleichgewicht zu ändern?
Ganz klar ist, dass wir uns als Gesellschaft mit Machtungleichgewichten auseinandersetzen müssen, dass wir Machtkonzentrationen kritisch in den Blick nehmen müssen. Vor allem auch bei den Digitalkonzernen, wo sich riesengroße Unternehmen gebildet haben, die mit ihrer Infrastruktur über erheblichen Einfluss verfügen, sowohl ökonomisch als auch politisch. Gleichzeitig müssen wir sehr genau darauf achten, dass es bei den Verteilungsfragen, die sich gerade auch im Zuge der Coronakrise stellen, nicht zu einseitigen politischen Entscheidungen kommt, die vor allem Vermögende und große Unternehmen bevorteilen.