»Verstrickt mit dem Auto«
Ursprünglich war eine Ausstellung im Berliner Haus der Statistik geplant. Aufgrund der Covid-19-Pandemie veröffentlichen Sie Texte und Bilder auf der Website carisover-saygoodbye.de. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Projekt gegen das Auto zu kuratieren?
Das Mobilitätsthema hat mich immer schon interessiert. Ausschlaggebend war für mich aber der Dieselskandal und der öffentliche Umgang damit, der mich wahnsinnig geärgert hat. In Deutschland wurde der Dieselskandal fast wie ein Kavaliersdelikt wahrgenommen, man hatte Mühe, den überhaupt als ein Verbrechen zu verstehen. Anders in den USA, wo es nach der Aufdeckung eine sofortige Strafverfolgung gab. Damals habe ich noch geraucht. Da kam ich auf die Idee, ob man nicht einmal Warnhinweise für Autos entwickeln müsste. Ich habe dann mit einem Freund Warnhinweisaufkleber gedruckt und verteilt.
»In einem Film wie ›Blue Collar‹ kann man gut sehen, wie die Arbeiter ihre Gesundheit ruinieren. Sie produzieren das Auto und kaufen es sich als Statusobjekt. Damit fahren sie dann zur Arbeit.«
Was stand auf diesen Warnhinweisen?
Das ging vom plakativen »Autos sind tödlich« bis hin zu »Kinder von Autofahrern werden oft selbst Autofahrer«. Wir haben einfach versucht, diese Warnhinweise, die es auf Zigarettenschachteln gibt, auf das Auto anzuwenden. Aus dieser Idee entstand vor zwei Jahren die Facebook-Seite »Warnhinweis Auto«, auf der wir versucht haben, den Diskurs über das Auto abzubilden. Schließlich haben wir Freunde und Bekannte angefragt, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen, so dass daraus das Projekt »Car is over – say good-bye« entstanden ist.
Wie lautet Ihre Kritik am Auto?
Auf unserer Homepage kritisieren wir weniger, dass das Auto so und so viele Verkehrstote pro Jahr produziert, in großem Maße am CO2-Ausstoß beteiligt ist oder sich die ganze Verkehrspolitik an ihm ausrichtet. Uns beschäftigt etwas anderes: Wie ist unser Verhältnis zum Auto auf den unterschiedlichen Ebenen: historisch, kulturell, biographisch, emotional? Wie weit gehen unsere Verstrickungen mit dem Auto? An dem, wie das Auto kulturell und in unseren Biographien verarbeitet wurde, kann man sehr viel darüber herausfinden, wie unterschiedliche Aspekte in unserer Gesellschaft funktionieren. So ist das Auto beispielsweise ein sehr patriarchal aufgestelltes Objekt.
In der Rubrik »Autokino« wird das Auto als kulturindustrieller Gegenstand in Kinofilmen untersucht. So erscheint es im Film »Vanishing Point« (»Fluchtpunkt San Francisco«, 1971) für den Outlaw Kowalski als Fluchtwagen und Waffe, in den »Dudu-Filmen« (1971–78) von Rudolf Zehetgruber kommt der VW-Käfer als verlässlicher Kumpel daher. In »Blue Collar« (1978) wird anhand der Autoproduktion gezeigt, dass der Kapitalismus nicht nur von den Kapitalisten, sondern ebenso von den Arbeitern und Gewerkschaftern am Laufen gehalten wird.
In einem Film wie »Blue Collar« kann man gut sehen, wie die Arbeiter ihre Gesundheit ruinieren. Sie produzieren das Auto und kaufen es sich als Statusobjekt. Damit fahren sie dann zur Arbeit. Wenn sie nach der Arbeit im Stau stehen, verlängert sich quasi die Produktionsstrecke von der Fabrik nach draußen auf die Straße. Der Abschied vom Auto fällt ungleich schwerer, wenn wie in diesen Filmen ein so inniges und existentielles Verhältnis zu ihm besteht.
Sie waren zu Besuch in den VW-Werken in Wolfsburg. Was waren Ihre Eindrücke?
Was man auf diesem großen Areal und in dieser imposanten alten Werkshalle vor allem sieht, sind Roboter. Es gibt erstaunlich wenig Arbeiter. Am ehesten findet man Arbeiter noch am Ende der Produktionsstrecke, wo überprüft wird, ob die Roboter alles richtig gemacht haben. Dabei hat der Guide, der die Besucherinnen und Besucher in einem offenen Wagen durch die Werkshalle fährt, keinen Hehl daraus gemacht, dass es das Unternehmensziel ist, noch mehr Arbeiterinnen und Arbeiter zu ersetzen. Ich habe vor kurzem noch einmal den Dokumentarfilm »Der VW-Komplex« von Hartmut Bitomsky gesehen. Darin spricht er Ende der achtziger Jahre vor Ort mit einem Arbeiter und befragt ihn nach der Zukunft der Arbeit. Und schon damals antwortete der Arbeiter, dass sie noch mehr Roboter bekommen würden. Heute gibt es da sogar eine Art ExoSkelett für die Arbeiter, damit alles ergonomisch gut abgesichert ist. Die müssen sich nicht mehr so ins Auto bücken wie früher.
Die Unterschiede bei der Verrichtung der Arbeit durch Automaten springen ins Auge, wenn man wieder an den Film »Blue Collar« denkt.
Der Film spielt in den siebziger Jahren in Detroit. Die Produktionsstrecke in der Werkshalle sieht noch vollkommen anders aus. Die Arbeiter arbeiten dort im Schweiße ihres Angesichts, hämmern auf den Autos herum, müssen richtig schwer heben. Mit dem, was wir heute im VW-Werk sehen, hat das nichts mehr zu tun. Ohne Frage ist das weiterhin eine sehr anstrengende Arbeit. Die Belastung ist im Vergleich zu damals aber weitaus geringer geworden – was gut ist.
Wenn man über die Ersetzung des Industrieproletariats im Zuge der Automatisierung spricht, stößt man auf die unterschiedlichen Interessen von Industriearbeitern, die ihren Arbeitsplatz sichern wollen, und Umweltschützern, die sich bereits auf der richtigen Seite der Geschichte wähnen. Spannend fand ich bei dieser Frage den Theorietext von Gaston Valdivia auf Ihrer Homepage. Er fordert, dass das Schicksal der Arbeiterinnen und Arbeiter die Umweltschützer nicht kaltlassen dürfe: »Ein ökologischer und sozial gestalteter Umbau der Gesellschaft ohne Verlierer kann nur dann stattfinden, wenn individuelle und gemeinschaftliche Handlungsweisen und Interessen in eine gemeinsame Strategie münden, die gegen die Gesetzmäßigkeiten des automatischen Prozesses angeht und ihn zum Stehen bringt.«
Wenn sich eine Industrie im Niedergang befindet wie die Kohlebranche oder in Umwandlung wie die Autoherstellung, hat das selbstverständlich eine direkte Auswirkung auf viele Menschen, die damit ihre Arbeitsplätze verlieren. Kritikwürdig ist, dass der Verlust dieser Existenzen gesellschaftlich hingenommen wird. Man sollte aber auch fragen, warum Menschen in Industrien arbeiten, die im Grunde schädliche Dinge für die Gesellschaft produzieren. Gewerkschaften ziehen da am falschen Ende des Seils. Zwar vertreten sie richtigerweise die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter. Gleichzeitig halten sie aber auch über lange Zeiträume schädliche Produktionszweige aufrecht, obwohl diese im gesellschaftlichen Diskurs vielleicht schon in Frage gestellt werden.
Sie haben einen Kommentar zu dem berühmten Lied »Autobahn« von Kraftwerk aus dem Jahr 1974 verfasst. Sie stellen sich vor, dass auf der rechten Spur die Arbeiter, auf der mittleren Spur die Mütter und Angestellten und auf der linken Spur die Angehörigen der herrschenden Klasse fahren, Manager, Politiker und Drogenbosse. Sollten die Arbeiter und Angestellten, wie viele klassenkämpferische Linke fordern, folglich auf die Überholspur wechseln?
Die müssen allesamt runter von der Autobahn!