Wie China die Epidemie mit Überwachung bekämpft

Etappensieg im digitalisierten Volkskrieg

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Zu den Aufgaben des Netzwert-Managements gehört es, statistische Informationen über die Bevölkerung zu aktualisieren und den Behörden zu übermitteln. Am 28. Januar rief das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei jedes Parteimitglied auf, in diesen Netzwerken tätig zu werden, um sich an der Eindämmung der Epidemie zu beteiligen. Parteimitgliedern überwachten nicht nur Eingänge, sondern meldeten auch Informationen über Rückkehrer aus Wuhan und Neuinfektionen.

Digitale Überwachung
Die improvisierten Passierscheine aus der von Ausgangssperren betroffenen Region wurden in der darauf folgenden Phase vorsichtiger Öffnung durch digitale Überwachung auf Big-Data-Basis ergänzt. Am 11. Februar begann in der Stadt Hangzhou ein Pilotprojekt mit einem digitalen Gesundheitsausweis für das Smartphone. Diese App wurde von der Firma Ant Financial Service Group entwickelt, die der IT-Firmengruppe Alibaba gehört. Sie registriert Name, Telefon- und Personalausweisnummer, außerdem müssen Fragen zur Krankengeschichte und letzten Aufenthaltsorten beantwortet werden.

Ein Algorithmus, der auch Kontakte zu Risikogruppen einbezieht, produziert einen QR-Code in Ampelfarben. Grün bedeutet eine geringe Gefährdung, damit kann man sich frei bewegen. Bei einem gelben Code muss man sich sieben und bei einem roten 14 Tage in Quarantäne begeben. An Eingängen zu öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln und teilweise auch Wohnblocks wird die Farbe des QR-Codes kontrolliert. Wenn die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, kann sogar ein digitales Ein- und Auschecken stattfinden. Die Benutzung der App soll zwar freiwillig sein, allerdings kann der Eintritt verweigert werden, wenn man den Code nicht vorzeigt. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, man habe den Ampel-QR-Code eine Woche nach Beginn des ­Pilotprojektes in 100 weiteren Städten eingeführt. Es gibt verschiedene lokale Varianten.

Die Stadtbevölkerung war schon zuvor an die tägliche Nutzung solcher QR-Codes des Chat-Dienstes Wechat und des Online-Bezahlsystems Alipay gewöhnt, eines weiteren Produkts der Ant Financial Service Group. Fast die gesamte Kommunikation in Unternehmen, Behörden, Bildungseinrichtungen und beim Konsum läuft in China über Apps. Wer heutzutage im urbanen China kein Smartphone besitzt, ist von wesentlichen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen. Das Bewusstsein für Datenschutz ist wenig ausgeprägt und wird von der Regierung nicht gefördert. Zwar beschweren sich viele bei den Behörden über falsche Einstufungen durch die Gesundheits-App, doch gilt dies den meisten als rein technisches Problem.

Es gibt weitere digitale Systeme, die noch nicht flächendeckend eingesetzt werden. Eine vom Staat zur Verfügung gestellte App zeichnet die Bewegung und die sozialen Kontakte der Benutzer auf. Unternehmen können anhand der Personalausweisnummern ihrer Angestellten erfahren, ob diese in den letzten zwei Wochen mit Covid-19-Infizierten in Kontakt waren. Die South China Morning Post berichtete, in der Stadt Wenzhou hätten die Behörden Daten der staatlichen Telefongesellschaft benutzt, um 3 615 Menschen zu informieren, die sich in die Nähe eines Restaurants aufgehalten hatten, dessen Besitzer als infiziert gemeldet worden war. Für die Stadt Shenyang entwickelt die Firma Meituan-Dianping ein System, mit dem Busse, Bahn und Taxis nur noch nach dem Einlesen von QR-Codes betreten werden können.

Schwarze Listen
Auch ein System sogenannter Schwarzer Listen wird im Kampf gegen die Epidemie eingesetzt. Chinesische Gerichte und Behörden haben generell Probleme, Geldstrafen, Schuldtitel, Gehalts- oder Schadenersatzforderung zu vollstrecken. Staatliche Internetseiten veröffentlichen daher die vollen Namen und Teile der Identitätsnummern von säumigen Unternehmen und Individuen. Wer auf einer Schwarze Liste steht, darf nicht mehr fliegen, ins Ausland reisen, Hochgeschwindigkeitszüge nutzen, in Fünfsternehotels übernachten oder Immobilien verkaufen, bis die Schuld beglichen ist. Ohne Personalausweis kann man in China kein Zugticket kaufen und in kein Hotel einchecken. Xinhua berichtet im Juli 2019, 14,5 Millionen Menschen stünden in China auf den Schwarzen Listen. Im Kampf gegen die Epidemie veröffentlichen die Behörden Schwarze Listen mit Namen und Daten von Menschen, die Quarantäneauflagen missachtet oder illegal mit medizinischen Waren gehandelt hätten. Den Regeln der Stadt Hangzhou zufolge bleiben Menschen, die ihre Krankengeschichte verheimlicht und deshalb eine Ordnungsstrafe bekommen haben, ein Jahr lang auf der Schwarzen Liste.

Nun lässt die chinesische Parteiführung die Eindämmung von Covid-19 im Stil alter maoistischer Parolen als großen »Sieg im Volkskrieg« feiern. In einem Land mit über 1,3 Milliarden Menschen war eine Strategie der »kontrollierten Durchinfizierung« der Bevölkerung ohnehin nie eine Option. Mittlerweile hat eine vorsichtige Öffnung der Städte begonnen. Wie dieser Etappensieg zu bewerten ist, wird sich daran zeigen, ob es in den nächsten Monaten zu einer zweiten großen Infektionswelle kommen wird oder nicht.