Patrick Süskind soll endlich wieder etwas schreiben

Lahme Literaten

Folge 28: Patrick Süskind
Kolumne Von

Dass jemand sein Schriftstellerleben hindurch im Grunde immer nur ein Buch geschrieben habe, ist ein Aperçu, das sich wahlweise im lobenden oder verächtlichen Ton auf Stehpartys krachöder Kultur- und Geistesmanager anbringen lässt. Dass ein Autor aber sein Leben lang tatsächlich nur ein Buch geschrieben oder zumindest sein Renommee auf ein einziges Buch ­gegründet hat, dieser Fall ist weitaus seltener. Zwar gibt es berühmte Ausnahmen sowohl in der Moderne (Proust) wie der ­Vormoderne (Gott). Doch die meisten Ein-Buch-Autoren sind deprimierende Gestalten, die mit ihrem ersten, selten großen Wurf entweder ihre Phantasie verausgabten oder sich derart ungeschickt anstellten, dass es für einen zweiten Anlauf nicht mehr gereicht hat. Patrick Süskind bildet in dieser Gruppe in zweierlei Hinsicht eine Ausnahme. Zum einen scheint er ein sympathischer, pfiffiger und witziger Typ zu sein, der allein schon wegen seiner seltenen Fähigkeiten und angenehmen Charaktereigenschaften der Welt mehr schuldet als die Geschichte eines Mörders mit überempfindlichem Riechorgan, die ihn 1985, als »Das Parfum« erschien, schlagartig bekannt machte und von deren Tantiemen er zehrt. Zum anderen eignet sich der Ein-Buch-Autor, der sich in einem einzigen Werk verschwendet hat und seither nichts mehr von sich hören lässt, seinerseits als Figur eines Süskind-Romans.

Warum Süskind seit Erscheinen von »Das Parfum« keinen Roman mehr veröffentlicht hat, ist unbekannt. Süskind meint es nämlich anders als Botho Strauß, dessen publizitätssüchtige Öffentlichkeitsscheu auf Hunderten Fotos dokumentiert ist, ernst mit der Verteidigung der Privatsphäre. Auf den wenigen ­Fotografien, die es von ihm gibt, sieht er nachdenklich oder lustig, aber nicht oberschriftstellermäßig aus, und die wenigen Texte, die er seit 1985 (meist bei Diogenes) publiziert hat, handeln von verlorenen, merkwürdigen, sanften Menschen, von denen man hofft, dass der Autor ist wie sie: von dem Pariser Wachmann Jonathan Noel, der durch die Begegnung mit ­einer Taube in eine ähnliche Krise gerät wie weiland Kleist durch seine Kant-Lektüre (»Die Taube«, 1987); von dem bei ­jedem Wetter durch die Straßen wandernden Herrn Sommer, dessen traurig-schöne Nichtbiographie der Erzähler in »Die ­Geschichte von Herrn Sommer« (1991, mit Zeichnungen von Sempé) als ungelöstes Rätsel der eigenen Kindheit erzählt; oder vom homme de lettres, der in der kurzen Erzählung »Amnesie in litteris« (1986) Rechenschaft darüber ablegt, warum er sich an die Bücher, von denen er weiß, dass sie sein Leben verändert haben, nicht mehr erinnert. Durch all diese Geschichten, ob sie in Frankreich oder Deutschland oder im schwebenden Nirgendwo angesiedelt sind, tönt leise eine Komik im Münchner Dialekt (Süskind ist in Ambach am Starnberger See geboren), die schon im Debütdramolett »Der Kontrabass« (1980) zu vernehmen war und später in Helmut Dietls TV-Serien »Monaco Franze« und »Kir Royal« nachklang, bei denen Süskind am Drehbuch mitarbeitete: eine freundliche Misanthropie und tiefe Trivialität, die sonst niemand in deutscher Sprache beherrscht. Das ist auch der einzige Grund, weshalb Süskind hier gewürdigt wird: Er ist kein Diogenes-Autor-Typ (siehe Folge 27), er ist weder durchschnittlich noch banal, und kein Mensch von Intelligenz und Feingefühl könnte sich durch seine Bücher ­beleidigt fühlen, außer durch die Tatsache, dass so selten welche erscheinen – während doch die Hohlheit dessen, was erscheint, ihm Raum genug ließe, zu schreiben, was nicht erscheint. Er sollte sich hinsetzen und arbeiten.