Ist die Sitcom »Friends« schwulenfeindlich?

Homophil statt homophob

Seite 5

Schon 1997, also drei Jahre nach dem Start von »Friends« und Jahre, bevor die Empörung begann, machte sich die Fernsehshow »Saturday Night Life« in einem Sketch über die Sitcom lustig. Niemand Geringeres als Matthew Perry, der Darsteller von Chandler, spielte mit, allerdings nicht diese Figur, sondern Joey. In der kurzen Sequenz tritt gleich nach ihm Chandler auf, der allerdings mit dem Charakter der Originalfigur nichts gemein hat, sondern in völlig übertrieben affektierter Weise einen klischeehaften Schwulen spielt, bis Perry erst in der Rolle als Joey, dann aus der Erzählung aussteigend den Schauspieler für seine Darbietung kritisiert, er selbst würde Chandler nicht wie einen »affigen Schwulen« spielen. Als ihm der Darsteller von Chandler entgegenhält, Perrys Darbietung würde aber genau dazu inspirieren und sogar an das Spiel des berühmten und heimlich homosexuellen Schauspielers Edward Everett Horton erinnern, gefällt das Perry so sehr, dass man ihn nach einem Schnitt in einer nächsten Szene sieht, in der er selbst tatsächlich affektiert spielt. Statt Reue zu zeigen, wie es heutzutage der Fall wäre, wird die Situation, wie schon in »Friends«, ­sogar noch zugespitzt. Der scheinbar homophobe Witz – die affektierte Darstellung eines Schwulen –, führt überhaupt erst dazu, das, was daran homophob ist, zu desavouieren. Oder, um es mit den Worten des Bloggers James Baldock auszudrücken, der in einem Beitrag die Serie verteidigte: »Warum sollte man kein Stereotyp darstellen, wenn man es dekonstruieren will?«

Erst kürzlich hatte Netflix 100 Millionen Dollar gezahlt, um »Friends« streamen zu dürfen. Doch 2020 wird die Sitcom schon wieder den Dienst wechseln und von da an bei dem neuen Streamingdienst HBO Max zu sehen sein. Net­flix gibt zwar keine offiziellen Zahlen bekannt, inoffiziellen Erhebungen zufolge aber ist sie auch 25 Jahre nach ihrer Erstausstrahlung die beliebteste Serie bei dem Streamingdienst. Das überrascht, ist sie doch nicht nur alt, sondern auch oft gescholten worden. Bestimmt spielt Nostalgie dabei eine Rolle, sicher ist es auch so, dass grade die Abwesenheit brutaler ökonomischer Unsicherheit im Plot für ein junges Pub­likum extrem attraktiv ist, das vor dem Bildschirm die eigenen Sorgen vergisst. Auch ist die Übersättigung an bombastischen Fantasy-Serien wie »Game of Thrones« bestimmt ein Faktor, der zur Beliebtheit von »Friends« beiträgt. Doch tatsächlich darf man auch mutmaßen, dass das, was heutzutage an »Friends« als politisch unkorrekt gilt, gerade die Attraktivität der Serie ausmacht: nicht nur die Tatsache, dass sich dort Menschen übereinander lustig machen, was ihrer engen Freundschaft aber gar nichts anhaben kann, sondern auch, dass die Figuren in der Lage sind, über sich selbst zu lachen – eine Qualität, die Millennials anscheinend vollkommen abhanden gekommen ist.

Dass eine solche Empörung überhaupt erst entstehen kann, weil das Streaming es ermöglicht, viele ­Folgen hintereinander zu schauen, wodurch Plots stärker auffallen, ­gehört ebenfalls zu der Geschichte dazu. Doch ganz allgemein erzählt »Friends« heute, wie schon bemerkt, sehr viel über die Gegenwart und ihre dauerbeleidigten Subjekte. Die angebliche Homophobie ist nur der gewichtigste einer Vielzahl von Vorwürfen. Fatshaming (Monica war als Jugendliche dick) wurde der Serie ebenso vorgehalten wie Rassismus aufgrund der wenigen schwarzen Figuren. Selbst der Vorwurf, die Serie sei antiintellektuell, da sich oft über Ross' Arbeit als Paläontologe lustig gemacht wird, lässt sich finden. Ja, es gibt alberne, blöde, nicht funktionierende Witze bei »Friends«, und die Fixierung auf Homosexualität kann ganz schön enervierend sein. Nur ist die Kritik daran wohlfeil, denn so oft die Sprechort-Karte derzeit ausgespielt wird, wird sie selten da gebraucht, wo es den Kritikern nicht in den Kram passt: Denn zusammen mit Martha Kaufmann ­erfand und schrieb der schwule David Crane die Serie. Und es scheint dann kein einfacher Zufall zu sein, dass das Appartement von Monica, der zentrale Ort der Serie, mitten im Greenwich Village liegt, nur eine Straße von der Christopher Street entfernt, wo sich 1969 aus Protesten ­heraus die Lesben- und Schwulenbewegung bildete.