Kate Mannes Streitschrift »Down Girl«

Himpathy for the Devil

Nicht der Sexismus, sondern die Logik der Misogynie ist nach Ansicht der Philosophin Kate Manne das Problem. In ihrer Streitschrift »Down Girl« beschreibt sie, wie Frauen, die sich auf das Terrain von Männern vorwagen, abgestraft werden.

Bei seinem Erscheinen im Oktober 2017 wurde Kate Mannes Buch »Down Girl. The Logic of Misogyny« in den USA hymnisch gefeiert, so dass man gespannt sein konnte, welche Debatten die Streitschrift der Philosophieprofessorin an der renommierten Cornell University in Deutschland auslösen würde. Sicherlich hatte der Zeitpunkt der Erstveröffentlichung – gerade hatte der Skandal um Harvey Weinstein seinen Höhepunkt erreicht und die MeToo-Debatte begonnen – den Erfolg des Buchs in den USA beeinflusst. Das Urteil über das seit kurzem auch in deutscher Übersetzung vorliegende Buch muss allerdings ambivalent ausfallen.

Mannes zentrale These lautet: Frauen, die sich auf das Terrain von Männern vorwagen, würden hierfür auch noch im 21. Jahrhundert hart abgestraft. Sexismus sei die Theorie der Frauenverachtung, Misogynie deren konkreter Ausdruck. Diese These versucht sie mit einigen instruk­tiven Beispielen zu belegen. Wer »Down Girl« aber mit der Erwartung liest, eine wie der Titel suggeriert schlüssige Analyse für die globale Kontinuität misogynen Verhaltens zu finden, wird enttäuscht.

Frauen, die gewalttätig werden, verlieren ihren Status als moralisch gute Person. Sie werden besonders schwer bestraft.

Manne breitet zwar einige lesenswerte, gut recherchierte Fälle aus, in denen Männer gesellschaftlich bevorzugt wurden. Nachzulesen, wie der Wahlkampf 2016 in den USA ablief, wie wenig die herabwürdigend-aggressive Bemerkung von Donald Trump, »Grab them by the pussy. And then you can do anything«, dem Kandi­daten geschadet hat und welcher Hass gegen Hillary Clinton geschürt wurde, ist durchaus erhellend. Erschreckend ist das Beispiel von Brock Turner, einem sportlichen, gutaussehenden, beliebten Studenten der Stanford University, dem Vergewal­tigung mit besonderer Gewaltanwendung (die junge Frau wurde bewusstlos in einer Mülltonne wiedergefunden) zur Last gelegt wurde. »Himpathy« nennt Manne die auffallend milde Behandlung, die den »guten Kerlen« zuteil wird, denen angeblich nur ein »Ausrutscher« unterlaufen sei. Es gebe jedoch keine »Herpathy« und damit kein weibliches Pendant zum »Golden Boy«. Mädchen und Frauen, die gewalttätig werden, verlieren Manne zufolge ihren Status als moralisch gute Person und werden als Hexen wahrgenommen. Sie werden oft besonders schwer bestraft, insbesondere wenn die Gewalt sich gegen Männer richtet.

Interessanter wäre die ­Betrachtung des Alltags vieler Frauen gewesen, deren Fälle kein mediales Echo hervorrufen.

Manne konzentriert sich auf prominente oder spektakuläre Beispiele wie Donald Trump beziehungsweise Brock Turner. Interessanter als die Darstellung von offenkundig haarsträubender Misogynie wäre die ­Betrachtung des Alltags vieler Frauen gewesen, die strukturelle Benachtei­ligung von unzähligen Frauen, deren Fälle kein mediales Echo hervorrufen. Nur sehr wenige Männer werden in ihrem Leben eine Frau vergewal­tigen und noch weniger kandidieren für das Amt des US-Präsidenten. Es fällt auf, wie oft die ­Autorin subjektive Formulierungen verwendet (»Ich denke«), vage bleibt (»Ich will zu dem Thema nur Vor­läufiges sagen«), oder Banalitäten äußert (»Das ist ein großes Problem«). Vielleicht sind diese Sätze auch der Übersetzung geschuldet, aber manchmal wären Zahlen und logisch-plausible Ausführungen hilfreicher gewesen.

Problematisch ist auch der selbst gewählte Gesichtspunkt, unter dem Manne das Feld der Misogynie untersucht: Es lassen sich zwar in verschiedenen gesellschaftlichen und privaten Bereichen viele Beispiele finden, die belegen, dass Frauen verbal oder auch physisch attackiert werden, wenn sie in männliches Terrain eindringen. Sich mit dieser spezifischen Form der Misogynie zu beschäftigen, ist durchaus wichtig, denn sie macht deutlich, wie schwer für Frauen trotz Quoten und anderen Gleichstellungsmaßnahmen der gesellschaftliche Aufstieg ist – wenn dieser von großen Teilen der Bevölkerung trotz anderslautender Bekundungen letztendlich nicht gewünscht ist.

Frauen werden auch dann Opfer von verbaler und physischer Gewalt, wenn sie den Rollenerwartungen entsprechen.

Aber Frauen werden auch dann Opfer von verbaler und physischer Gewalt, wenn sie den Rollenerwartungen entsprechen. Die Herabwürdigung trifft Frauen nicht erst dann, wenn sie wie Clinton ein hohes Amt anstreben. Frauen werden, so die traurige Realität, auf viel grundsätzlichere Weise Opfer von misogynem Verhalten. Mit dem konkreten Auftreten einer individuellen Frau hat das nichts zu tun. Frauen ernten ­abfällige Bemerkungen für kurze (nuttig) und für lange Röcke (tantig), für beruflichen Erfolg (karrieregeil) und für beruflichen Misserfolg (dumm), für selbstbewusstes (kaltherzig) und zurückhaltendes (mädchenhaft) Verhalten. Auch angepassteste Ehefrauen der fünfziger Jahre wurden verprügelt und vergewaltigt, unabhängig davon ob, sie den Wunsch äußerten, ihren Führerschein zu machen oder halbtags arbeiten zu gehen.

Daher ist der Titel von Mannes Buch irreführend, es geht darin nicht um Misogynie an sich. Zwar könnte man von einem an die 500 Seiten starken Buch eine tiefergehende, soziokulturelle Analyse erwarten, warum Männer sich so verhalten, wie sie es tun. Mannes »Down Girl« verbleibt jedoch größtenteils auf der deskriptiven Ebene von Fallbeschreibungen. Wenn die Autorin eingangs feststellt, dass Männer insgeheim immer noch der Auffassung seien, von Geburt an ein Anrecht auf besondere Zuwendung durch Frauen zu erhalten, dann wüsste man doch gern, warum dies so ist und warum sich daran bislang nichts geändert hat.

Warum ist die Frau aus männlicher Sicht noch immer »auf dem Gebiet der Fürsorge, des Trostes, der Pflege oder der sexuellen, emotionalen und reproduktiven Arbeit« eine »Gebende«? Manne unterscheidet zwischen »Menschen« und »­Gebenden« im Sinne von Funktionsträgerinnen. Und wie genau ist in ­einer modernen Gesellschaft das Verhältnis von psychischen Einzelerfahrungen, öffentlicher Wahrnehmung und den Regularien in Form von Gesetzgebung und Politik beschaffen? Wie berühren sich im Alltag das Individuell-Private und das Politisch-Administrative auf dem Gebiet der Misogynie? Und wo werden Männer von Frauen als Funktionsträger gesehen und ihrerseits »entmenschlicht«? Nicht weiter untersucht wurde leider der Einfluss, den Vorstellungen von Stolz und Ehre auf männliche Täter ausüben. Manne erwähnt zwar häufig die Kehrseite des traditionellen Männlichkeitsbilds – die Scham des »gescheiterten« Mannes, die sich in Form von Gewalt gegen Frauen äußert, und die narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, die bei Männern wesentlich häufiger zu finden sind als bei Frauen, geht dem aber nicht weiter nach.

Beinahe aufschlussreicher als der Inhalt des Buchs ist das Schlusswort von »Down Girl«: Ihr erstes großes Buch schließt die junge gefeierte Philosophin mit einem zutiefst pessimistischen Bekenntnis: »Also gebe ich auf. Ich wünschte, ich könnte eine hoffnungsvollere Botschaft verkünden.« Es folgen noch einige ­Ausführungen, die den Moll-Ton verstärken. Während bei Betty Friedan, Alice Schwarzer und Judith Butler kämpferisch-kraftvolle Töne bis hin zu Höhenflügen ins utopische Denken (Butler) vorherrschten, endet »Down Girl« resigniert. Wenn etwas deutlich macht, wie verbreitet Mi­sogynie auch heutzutage noch ist, dann wohl diese Weise, ein Buch zu beenden.

Kate Manne: Down Girl. Die Logik der ­Misogynie. Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp, Berlin 2019, 500 Seiten, 32 Euro