Aufräumen bei den eigenen Eltern

1 000 Dinge für die Zombie-Apokalypse

Aufräumen mit und ohne Marie Kondo: Nicht falten, sondern horten, lautet die Devise im elterlichen Haushalt. Wie Jacinta Nandi versucht, ihren Eltern Ordnung beizubringen, obwohl sie selbst viel lieber Aufräumvideos auf Youtube schaut, als Schränke auszumisten.

Ich zeige meinen Eltern eine Packung Kichererbsen. Die Haltbarkeit en­dete 1997.

»Kann ich diese Kichererbsen wegschmeißen?«

Meine Eltern gucken besorgt.

Meine Eltern, das sind zwei Frauen, die mich großgezogen haben. Aber eine wusste damals noch nicht, dass sie eine Frau ist. Ich nenne sie jetzt »Tante«, sie wollte den Titel »Mama« und die Mutterrolle nicht.

Meine Eltern sind Messies, glaube ich. Als ich im Sommer versuchte, Papierkram meiner Mama zu sortieren, fand ich einen britischen Bäfog-Antrag aus meiner Unizeit. Meine Tante hat Tausende Bücher, Zehntausende Zeitschriften, Hunderttausende Zeitungen, zwei Klaviere, unendlich viele Krimskrams, mindestens 30 Zangen, 40 Perücken und eine Million alte Dosen voller Nägel und Knöpfe. Wenn man fragt, warum sie diese behält, sagt sie: »Just in case.« Für den Fall der Fälle. Und was ist der Fall der Fälle? Eine Zombie-Apokalypse vielleicht oder der »no-deal Brexit«.

»Als diese Kichererbsen noch essbar waren«, sage ich, »war die Prinzessin von Wales noch am Leben«. Meine Mama lacht jetzt. Ich darf die Packung doch wegschmeißen. Ich bin für meine Eltern Marie Kondo. Ich frage sie aber nicht, ob die alte Kichererbsenpackung bei ihnen Freude weckt. Vielleicht sollte ich das mal.

Im Garten gibt es eine Sammlung von »perfekt adäquatem Holz«, das man niemals wegschmeißen soll, ein Bobby-Car, das meine Tante im Schrottcontainer gefunden hat, und eine rostige Babybadewanne, die mein Bruder mal benutzt hat. Mittlerweile ist er so alt, wie Amy Winehouse war, als sie gestorben ist. Nichts darf weggeschmissen werden, weil es irgendwann mal nützlich sein könnte. Vielleicht haben wir Verwendung dafür, sagen meine Eltern sehr oft.

Jetzt gucken mich meine Eltern an. Sie sehen besorgt aus.

»Kichererbsen werden nicht schlecht«, sagt meine Mama.

»Vielleicht finden wir eine Verwendung dafür«, sagt meine Tante.

Ich weiß, dass getrocknete Kichererbsen eigentlich nicht schlecht werden, aber diese müssen aus den achtziger Jahren kommen. Sie sehen runzelig aus. Ich denke an die Zombie-Apokalypse, auf die sich meine Eltern ihr Leben lang vorbereiten. Ich denke, sogar Rick Grimes würde diese Kichererbsen ablehnen.

»Als diese Kichererbsen noch essbar waren«, sage ich, »war die Prinzessin von Wales noch am Leben«.
Meine Mama lacht jetzt. Ich darf die Packung doch wegschmeißen.

Ich bin für meine Eltern Marie Kondo. Ich frage sie aber nicht, ob die alte Kichererbsenpackung bei ihnen Freude weckt. Vielleicht sollte ich das mal.

Es gab in Großbritannien in den frühen Nullerjahren schon ein Format, das ganz ähnlich wie »Tidying Up with Marie Kondo« war. In »How Clean Is Your House« traten zwei Putzexpertinnen auf, eine strenge Frau und eine schockierte, schnell angeekelte. Sie gingen in die Häuser und Wohnungen der Unterschicht. Die Haushalte, die dort gezeigt wurden, waren sehr schmutzig und versifft. Es wurden Proben vom Teppich genommen und ins Labor geschickt, es waren immer böse Bakterien drauf. Dann zeigten die zwei Frauen den Ärmeren, wie man richtig putzt. Die Sendungen waren unterhaltsam, aber die Unterhaltung basierte auf der Misere der Armut und der Erniedrigung der Armen.

Ich muss zugeben, bevor ich Marie Kondos Netflix-Sendung guckte, war ich gegen sie. Ich guckte lieber Putzexpertinnenvideo bei Youtube. Meine Lieblingsputz-Youtuberin ist Clutterbug, eine ADHS-betroffene Hausfrau aus Kanada. Ihre Videos sind lustig, pragmatisch und hilfreich. Sie geht davon aus, dass Männer nicht mithelfen und dass man Kinder hat. Sie geht außerdem davon aus, dass man das Putzen hasst. Wenn ich putze, stecke ich das Baby in den Laufstall und lasse Clutterbug bei Youtube quatschen.

Das Schlimmste am Hausfrauendasein ist die Einsamkeit und das Schlimmste am Putzen ist die Langeweile. Wenn Clutterbug neben mir quatscht, fühle ich mich nicht mehr so alleine und gelangweilt. Ich weiß, wie tragisch das klingt. Vielleicht ist das Schlimmste am Putzen: Du bist eine Schlampe, wenn du es nicht machst, und eine dumme Schlampe, wenn du es doch machst. Wenn eine Frau nicht aufräumt, ist sie eine schlechte Mutter und überhaupt unfähig, das Leben zu regeln. Wenn sie es doch macht, dann ist das fast schlimmer: Jetzt ist sie jemand, der gerne putzt, jemand, der die Geschlechterrollen akzeptiert, eine Frau, die sich selbst unterdrückt.

Kann es sein, dass Männer gerne die Hälfte der Hausarbeit übernehmen wollen, aber Frauen so krank im Kopf sind, und vor allem, so unambitioniert, dass sie die Mithilfe der Männer nicht erlauben? Diese perverse Selbstlüge hilft Männern dabei, sich gut zu fühlen, wenn sie im Haushalt nichts tun. Wenn Männer für ihr Nichtstun im Haushalt schärfer verurteilt würden, wäre diese Welt viel gerechter. Dann würde ich viel mehr schreiben können.

Ich würde Romane schreiben statt Kolumnen.

Bevor ich Marie Kondos Sendung schaute, dachte ich, dass sie die Anti-Clutterbug sei. Es ging nicht um Tipps, um die Haushaltsaufgaben erträglich zu machen, sondern darum, die Einstellung insgesamt zu ändern: Man musste so tun, als ob man gerne putzen würde. Das war mein Vorurteil.

Aber ich mochte Marie Kondos Sendung dann doch sehr, was ich nicht erwartet hatte. Der große Unterschied zum Boulevardformat ist, dass Marie Kondo nicht versucht, die Unterschicht zu erziehen. Sie ist eine höfliche, zierliche Frau, die nur in die Häuser der Mittelschicht geht. Ja, es nervt, zu hören, dass ziemlich reiche Menschen, die eine Putzhilfe bezahlen können, »überfordert« von der Hausarbeit sind. Und trotzdem respektiert Marie Kondo ihre Klienten. Sie respektiert sie und redet nicht von Ekel oder Bakterien, sondern spricht über Gemütlichkeit und Dankbarkeit. Und dann fängt sie an, auszumisten.

Ich habe zunächst darüber gespottet, dass man sich bei jedem Gegenstand fragen soll, ob sein Besitz Glücksgefühle auslösen kann. Alle haben darüber gelästert. Ich denke, ehrlich gesagt, dass latenter Rassismus dabei mitgespielt hat: Der weiße Bildungsbürger war beleidigt, dass eine nichtweiße Ausländerin seine heiligen Bücher angreifen wollte. Aber ehrlich gesagt, wenn man es anguckt, ist es nicht lächerlich.

Was ich außerdem sehr an Marie Kondo schätze, ist, dass es für sie selbstverständlich ist, dass Männer mithelfen und Verantwortung tragen sollen. Marie Kondo geht davon aus, dass die ganze Familie mitanpacken muss. Für sie ist Putzen nicht lächerlich.

Und dennoch: Marie Kondo lebt in einer anderen Welt als meine ­Eltern. Ich stelle mir vor, dass sie meine Tante fragt, ob das perfekt adäquate Holz oder die alte Badewanne Freude wecken. Ich kann es mir kaum vorstellen. Für meine ­Eltern ist das nicht wichtig. Sachen können nützlich sein, man könnte sie irgendwann mal gebrauchen; eine Verwendung dafür finden. Das Leben dreht sich nicht um Freude, sondern um den Nutzen und ums Überleben. In Marie Kondos Welt gibt es Raum für Freude, Raum zum Atmen, Raum für die Gleichberech­tigung. Und trotzdem habe ich nicht vor, mich auf 30 Bücher zu reduzieren. Vielleicht bin ich doch mehr Messie.