Keine typischen Mädchen: The Slits waren eine der ersten Punkbands, die nur aus Frauen bestand

Am Anfang war der Rhythmus

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Rockröhre? Frontfrau? Heulboje? Ja, es gab Rockbands, die nur aus Frauen bestanden: Fanny, die Runaways, aber hinter denen standen stets Männer, die die Strippen zogen. Dirty old men wie Kim Fowley, der sich die Runaways ausgedacht hatte, aber nicht verhindern konnte, ja ungewollt dazu beitrug, dass eine Joan Jett zur prollig-glamourösen großen Schwester von Riot Grrrl wurde – Kontingenz, Baby!

Im Zuge von Punk entstehen in England reihenweise Frauenbands beziehungsweise von Frauen geprägte Bands, die mit Rollenkonventionen brachen: X-Ray Spex, Delta Five, Essential Logic, The Modettes, The Au Pairs, The Raincoats, deren Mitgründerin Gina Birch sich im Film ausdrücklich auf die Slits beruft, auch Siouxsie & The Banshees, die dank Siouxsies Sexappeal die größte Reichweite hatten. Aber keine Frauenband war so früh so »outside of everything« wie die Slits, und das nicht nur was das Geschlecht, sondern auch was den Sound angeht. Tessa Pollitts Bass war die Basis, ansonsten galt für die Slits: »In the Beginning There Was Rhythm!« Mit diesem von Ari Up maximal alarmierend herausgerufenen Mantra beginnt der gleichnamige (Nicht-)Hit der Slits, und mit diesem Ausruf beginnt auch »Here to Be Heard«. Phonetisch korrekt ausgeschrieben müsste es allerdings heißen: »In the Beginning There Was Riddim!«

Die von Eingewanderten aus der ehemaligen britischen Kolonie Jamaika importierte Riddim-, Soundsystem- oder schlicht Bass-Culture gehört in Großbritannien seit den fünfziger Jahren zur schwarzen Subkultur, erreicht aber erst in den Sieb­zigern via Punk und New Wave ein breiteres, nichtschwarzes Publikum.

(Post-)Punkbands wie The Clash, The Members, The Mekons oder Gang of Four nahmen Reggaesongs auf und experimentieren mit Dub, britische Reggaegruppen wie Steel Pulse oder Matumbi feierten bescheidene Erfolge außerhalb der durchgängig ethnisch markierten Nische. In diesem Klima des Wandels machten die Schlitze einen Schnitt. »Cut«, das Debütalbum der Slits, erscheint 1979, für Kathleen Hanna, Sängerin von Bikini Kill und Le Tigre, ist es die Platte ihres Lebens, für die männlich-weiß dominierte Rock-Geschichtsschreibung ist »Cut« das possierliche Kuriosum neben den Punk-Monolithen »Never Mind the Bollocks«, »London Calling« oder »Entertainment!«. Don Letts kommt der Sache schon näher. Der 1956 in London als Sohn jamaikanischer Eltern gebo­rene Allrounder war es, der als DJ im Roxy die junge Punkszene mit Dub und Reggae bekanntmachte, später als Filmemacher und Entrepreneur den Influencer avant la lettre gab und Punk karibifizierte. Dieser Don Letts wird in einem hübschen Filmmoment vorgestellt als einer, der »versuchte, die Slits zu managen«. Es blieb beim Versuch. Letts wendet sein Scheitern als Manager der Unmanage­baren positiv: »They were this Avantgarde-Afro-Jazz-Punk-Motherfucking group that no one could touch.« Prosaischer gesagt: Mit »Cut« gelang den Slits ein Wunderwerk dubfeministischer Klangästhetik.

»Hätten die Slits weitergemacht mit Up-Tempo-Gitarrensongs wie ›Shoplifting‹, sie hätten groß werden können, aber das wollten sie nicht, sie wollten etwas ganz Spezielles«, sagt Adrian Sherwood, als Produzent eine der Schlüsselfiguren der »punky reggae party«, von der Bob Marley sang: »New wave, new rave / Wailers be there / The Dammed, The Jam, The Clash / May­tals will be there / Doctor Feelgood too, ooh / No boring old farts will be there / And it’s a punky reggae party.« Eine Herrenparty also. Vivian Goldman korrigiert: »In der ursprünglichen Version des Songs kamen die Slits vor«, weiß der Himmel, warum Marley sie wieder aus dem Song verbannt hat.

Aber was ist das, eine dubfeministische Klangästhetik? Wenn Gang of Four Dubelemente und die Augustus-Pablo-Gedächtnis-Melodica verwenden, dann gelten sie als eine Rockband, die Fremdes integriert. Wenn The Clash Reggaesongs spielen, dann sind sie immer noch eine Rockband, die mal was anderes probiert. Die Slits gehen freier um mit ihrer Liebe zur jamaikanischen Musik als andere Bands ihrer Zeit: sie spielen herum, singen dialogisch, fallen einander ins Wort und ließen mehr Lücken zu, ganz im Sinne ihrer nobelpreisverdächtigen oder besser John-Cage-preisverdächtigen Songzeile: »Silence is a rhythm too«. So bleibt »Cut« ein Paradox: Wie kein anderes Album spiegelt es seine Entstehungszeit, das wilde Durcheinander der Tribes and Styles, das sich erst rückblickend als das identifizieren lässt, was man gern als »Aufbruch« bezeichnet. Und wie kein anderes Album transzendierte es seine Entstehungszeit, auf ihm finden sich keine Punkrock-­Signatursounds, kein Stempel »Made in 1979«. Aber das lag natürlich alles nur an Dennis. Dennis ist Dennis Bovell, 1953 auf Barbados geboren, Bassist und Gitarrist von Matumbi und als Produzent verantwortlich für die besten Platten von so unterschiedlichen Leuten wie Linton Kwesi Johnson und Orange Juice. »Das hat Dennis gemacht«, zitiert eine resignierte Tessa Pollitt die Kommentare zu »Cut«.

Dass vier Frauen ohne männliche Hilfe so eine Musik hinbekommen, das wollte 1979 keiner so recht glauben.
Bei aller misogynen Geringschätzung ihrer Arbeit würden die überlebenden Slits – Sängerin Ari Up starb 2010 an Krebs – die Zuschreibung (dub-)feministisch aber vermutlich zurückweisen. Tessa Pollitt und Viv Albertine, die mittlerweile Buchautorin ist, sind im Verlauf ihrer gut 60 Lebensjahre diverse Feminismen begegnet. Der erste kam in den Siebzigern in Gestalt von weiblichen Hippies daher, und von denen mussten sich junge Punks distanzieren, gut möglich, dass das F-Wort dadurch bis heute kontaminiert ist. Möglich aber auch, dass Frauen, die vor 40 Jahren auf die Idee kamen, ihre Band »Die Schlitze« zu nennen, Erfahrungen mit Degradierungen, Verletzungen und Gewalt gemacht haben, die sie heute nicht im Namen eines Me-Too-Feminismus teilen möchten. Davon erzählt Viv Albertines großartige wie tragikomische Autobiographie »Clothes, Clothes, Clothes, Music, Music, Music, Boys, Boys, Boys.«

»Here to Be Heard: The Story of the Slits« ist kein kinematographisches Wunderwerk, aber ein gutes Gegengift. Hier kommt nicht das Manchester-Heldengefühl auf, oder das, was Jello Biafra mal »Nostalgia for an age that never existed« nannte – eher Wehmut. Was hätte sein können und was ist jetzt? Bei einem Auftritt der Slits tanzt ein 14jähriges Mädchen mit orangegefärbten Locken auf der Bühne. »Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft«, sagt Viv Albertine. »It was a dream come true«, sagt das Mädchen in Orange und preist heute die Pionierverdienste der Slits, der originalen »punky reggae party«. Ihr Name ist Neneh Cherry.

P.S.: In den Neunzigern gab es in den USA eine frauendominierte Band, die sich »Loch« nannte. Ihr Album »Live Through This« wurde ein Hit. Aber das lag natürlich alles nur an Kurt.

 

Here to Be Heard: The Story of the Slits. (GB 2017) Regie: William E. Badgley