Der Horrorfilm »Hereditary« erinnert an die gruseligen Geschichten von H. P. Lovecraft

Fluch der Familie

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Auch »Hereditary« weist viele ­Aspekte auf, die für Lovecrafts Geschichten typisch sind: Ein düsteres Geheimnis oder ein Fluch aus der Vergangenheit belastet eine ahnungslose Familie. Okkulte, vermeintlich uralte Rituale sollen helfen, sich davon zu lösen, bewirken aber im ­Gegenteil eine noch tiefere Verstrickung. Lovecraft verfasste ein Buch voller Beschwörungen mit dem Titel »Necronomicon«; der Film greift auf ein ebensolches namens »Ars Goetia« zurück, das im 17. Jahrhundert entstanden sein soll. In den Werken Lovecrafts wird stets die Bedeutung des Blutes betont, es geht um die Vererbung sogenannter schlechte Anlagen und deren dramatische Folgen. Von diesem antisemitisch und rassistisch grundierten Weltbild distanziert sich Aster in dem von ihm verfassten, autobiographisch inspirierten Drehbuch. Der Plot verarbeitet Schicksalsschläge, die sich innerhalb kürzester Zeit in seiner jüdischen Familie ereignet haben.

»Es kam so geballt und war so unerbittlich schrecklich, dass wir das Gefühl hatten, verflucht zu sein«, erzählt Aster. »Ich orientiere mich beim Schreiben immer an persönlichen Erfahrungen, wollte aber mein Leid und das meiner Familie auf keinen Fall ausschlachten. Als Genre­kino-Fan nahm ich also die Idee einer verfluchten Familie und ließ sie quasi durch einen Horrorfilmfilter ablaufen, inklusive einer großen Katharsis, so dass ich emotional geschützt war. Wenn man einen Film darüber drehen möchte, wie ungerecht das Leben ist, bietet sich das Horrorgenre geradezu an. Es ist ein perverser Bereich, in dem die Ungerechtigkeiten des Lebens mehr oder weniger gefeiert und sogar verherrlicht werden.«

Von Anfang an wirkt der Film unheimlich, auch wenn das Geschehen lange Zeit nicht einzuordnen ist. ­Aster verzichtet auf effektheischende Regieeinfälle und gängige HorrorBlockbuster-Klischees.

Mit der Figur des Paimon lässt Aster einen Dämon auferstehen. Die Geschichte erinnert an das im jüdischen Volksglauben verankerte Bild des Dibbuk, eines Dämons, der sich im Körper der Lebenden einnistet.

Wie Lovecrafts Protagonisten will auch Annie die rätselhaften Vorkommnisse rational erklären und dem Geheimnis auf die Spur kommen. Sie gerät dabei jedoch immer tiefer in den Sog des Geschehens. Bald beginnt die Familie an den Wahrnehmungen der Mutter zu zweifeln; auch der Zuschauer sieht dabei zu, wie ihr Verstand ins Wanken gerät. Auch dies ist ein typisches Element bei Lovecraft, dessen Charaktere nach und nach den Verstand verlieren. Etwa wenn in dem Roman »Die Berge des Wahnsinns« das Tagebuch eines Antarktis-Reisenden plötzlich abbricht, kaum dass ihm merkwürdige Protoplasmamonster begegnet sind, welche ihm, wie er notierte, Todesangst einjagen.

Es geht um Psychologie: Was passiert, wenn sich unfassbares Grauen zeigt, das mit dem durch Naturgesetze abgesicherten Weltbild nicht verstehbar ist?

Am Schicksal der Protagonisten von »Hereditary« nimmt der Zuschauer großen Anteil, was maßgeblich an den wunderbaren Darstellern liegt. Alle vier Familienmitglieder scheinen eine kleine Macke zu haben. Das wirkt nicht aufgesetzt, sondern wird plausibel dargestellt. Toni Collette verkörpert in der Rolle der Annie eine Frau, die manisch an ihren Werken friemelt, ohne dass klar wird, was sie da eigentlich für Puppenstubenkunst macht. Seltsam still ist ­Gabriel Byrne als der empathielose Therapeut Steve. Peter wird von Alex Wolff als herrlich unmotiviert-lethargischer Teenanger dargestellt. Und Milly Shapiro geht ganz in der Rolle der sonderbaren Charlie auf, die mit leeren, nach innen gekehrten Blicken auf der Stelle Unbehagen auslöst.

Von Anfang an wirkt der Film unheimlich, auch wenn das Geschehen lange Zeit nicht einzuordnen ist. ­Aster verzichtet auf effektheischende Regieeinfälle und gängige HorrorBlockbuster-Klischees. Nichts ist vorhersehbar, das Spiel mit und gegen die Sehgewohnheiten des Zuschauers geht auf. Auf leisen Sohlen schleicht sich das Böse an und wird viel zu spät bemerkt. Wenn Peter im Klassenzimmer seinem eigenen Gesicht in einer Fensterscheibe zulächelt und plötzlich sein Kopf auf die Tischplatte kracht, ist man genauso schockiert wie er selbst. Orientierungs­los treibt das Familienschicksal bis zum klischeebeladenen Schluss ­dahin – aber auch der ist nicht vorhersehbar.

 

Hereditary – Das Vermächtnis (USA 2018). Buch und Regie: Ari Aster. Darsteller: Toni Collette, Alex Wolff, Milly Shapiro.
Filmstart: 14. Juni