Im Fall des hinter Gittern ums Leben gekommenen Oury Jalloh gibt es neue Bewegung

Kampf um Aufklärung

Medien, Politiker, Staatsanwälte, Sonderermittler und eine unabhängige Untersuchungskommission beschäftigen sich derzeit mit dem Fall des in Polizeigewahrsam verbrannten Flüchtlings Oury Jalloh – nicht jedoch der Generalbundesanwalt. Dieser erklärte sich für nicht zuständig.

Der Versuch einer Aufklärung des Falls Oury Jalloh ist langwierig und hindernisreich. Anfang vergangener Woche veröffentlichte die Gedenkinitiative für den Mann aus Sierra Leone, der 2005 in Dessau in Polizeigewahrsam zu Tode kam, ein an sie adressiertes Schreiben des Generalbundesanwalts. Dieser teilt mit, dass er für Ermittlungen in Folge einer Strafanzeige der Initiative vom Dezember 2017 nicht zuständig sei. Die Anzeige, die sich gegen einen namentlich genannten Polizeibeamten richtet, habe er deshalb an die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt in Naumburg abgegeben.

In dem elf Seiten umfassenden Dokument heißt es: »Soweit eine Zuständigkeit des Generalbundesanwalts (...) aus der Opferauswahl und Motivation der Tat als eine gezielte Verletzung des grundgesetzlich gewährleisteten Minderheitenschutzes folgen könnte, fehlt es an dem erforderlichen Staatsschutzbezug.« Weiter schreibt der Generalbundesanwalt, dass ein Anfangsverdacht »für eine in diesem Sinne fremdenfeindliche Opferauswahl und einen tödlichen Angriff ausschließlich wegen der Ausländereigenschaft des Oury Jalloh« nicht vorliege. Dafür hätten auch die in den vergangenen Monaten »bekannt gewordenen Umstände« keine Anhaltspunkte geliefert.

Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« bezeichnet die Begründung als »haarsträubend« und beklagt, dass die Bundesanwaltschaft erneut die Faktenlage ignoriere. Aus ihrer Sicht steht fest, dass sich Beamte der Dessauer Polizei rassistisch äußerten und ein erst drei Tage nach dem Tod Jallohs gefundenes Feuerzeug als Indiz »nachweislich ­manipuliert« gewesen sei. Als Belege für den vermuteten Rassismus der ­Polizisten führt die Initiative sowohl Medienberichte als auch Aussagen in Gerichtsprozessen an.

Zudem verweisen die Mitglieder der Initiative auf ­eigene Gutachten, offensichtliche Ungereimtheiten, die unter anderem durch Gerichte festgestellt worden seien, sowie einen im vergangenen Jahr öffentlich gewordenen Aktenvermerk des Dessauer Staatsanwaltes ­Folker Bittmann. Der Ermittler war mehr als zehn Jahre lang davon ausgegangen, dass sich der stark alkoholisierte, unter Drogeneinfluss stehende sowie an Händen und Füßen gefesselte Oury Jalloh am 7. Januar 2005 selbst angezündet hatte. Nach einem 2016 durchgeführten Brandversuch änderte der Staatsanwalt Medienberichten ­zufolge seine Einschätzung: Der Asylbewerber sei mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet worden. Möglicherweise wollten Polizisten laut Bittmanns Vermerk damit zwei frühere Todesfälle in dem Dessauer Polizeirevier vertuschen.

Für die Mitglieder der Gedenkini­tiative kommt die Entscheidung des ­Generalbundesanwalts wohl nicht überraschend. Sie misstrauen den staatlichen Ermittlungsbehörden schon seit Jahren. Vor allem dem Einsatz der Initiative ist es zu verdanken, dass sich die Öffentlichkeit überhaupt noch mit Oury Jalloh beschäftigt. Das Interesse an dem Fall ist derzeit wohl so groß wie nie zuvor.
So demonstrierten im Januar mehrere Tausend Menschen in Dessau. Sie forderten Aufklärung und legten sich fest: »Das war Mord!« Bei früheren Versammlungen waren es häufig nur einige Hundert Teilnehmer. Auch die Medien befassen sich vermehrt mit dem Fall. So strahlte der MDR vergangene Woche eine halbstündige Dokumentation über den »Feuertod und die Mauer des Schweigens« aus. Darin thematisierten die Journalisten den Korpsgeist in den Polizeibehörden. Einige Beamte äußerten sich anonym und beklagten, als »Nestbeschmutzer« betrachtet zu werden, wenn sie Missstände ansprächen. Im Fall Oury Jalloh beschwerte sich vor einigen Jahren sogar ein Richter über die falschen Aussagen von Polizisten, die eine Aufklärung verhindert hätten.

Der Fall ist noch längst nicht abgeschlossen. Neben den Mitgliedern des Rechtsauschusses des Landtags beschäftigen sich seit kurzem auch zwei Sonderermittler mit den Akten. Bei den Sachverständigen handelt es sich um zwei Juristen, die bereits Unter­suchungen zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) und zum Suizid des mutmaßlichen IS-Mitglieds ­Jaber al-Bakr in der Justizvollzugsanstalt Leipzig führten. Die Generalstaats­anwaltschaft in Naumburg überprüft zudem, ob die von der Staatsanwaltschaft Halle eingestellten Ermittlungen wieder aufgenommen werden sollen. Bereits im Januar hatte die Gedenk­initiative für Oury Jalloh eine internationale Untersuchungskommission ­gegründet. Viele, die den staatlichen Ermittlern nicht mehr trauen, dürften nun vor allem auf die Ergebnisse ­dieses Gremiums hoffen.