Eine Kritik der Fernsehserie »Babylon Berlin«

Babylon Babelsberg

Allzu echt sind die Kulissen, allzu falsch ist die Geschichte. »Babylon Berlin« simuliert auf sehr deutsche Weise US-amerikanisches »Quality TV«.

Das deutsche Fernsehen wird erwachsen oder zumindest das, was es sich darunter vorstellt. Unter Beweis stellen soll das nun die unter der Leitung von Tom Tykwer entstandene Serie »Babylon Berlin«, gedreht in den Babelsberger Filmstudios. Dass sie ein Erfolg wird, setzt man einfach voraus, zwei Staffeln sind bereits abgedreht, die dritte und vierte schon in Auftrag gegeben. Serien­erfahrung hat Tykwer in den USA ­gesammelt, wo er mit den Matrix-Schöpfern Lana und Lilly Wachowski an der Serie »Sense 8« arbeitete.

»Babylon Berlin« spielt im Jahr 1929. Eine Einblendung der Jahreszahl ist gar nicht nötig, um zu wissen, in welcher Zeit die Handlung angesiedelt ist. Die Lokomotive, die in der ersten Folge auf ihrem Weg von Moskau nach Berlin durch den Wald rumpelt, spuckt dichten weißen Rauch aus. Die hupenden Autos auf den Straßen sind die typischen Wagen aus der Zeit. Und woran erkennt man letztlich, dass man sich am Ende der zwanziger Jahre befindet? An brauner Kleidung, gerne auch ins Olivgrüne gehend: braune Sakkos, Mäntel, braune Hosen, Hüte und Schuhe. Dazu quirlig-jazzige Musik im Hintergrund, fertig ist das Setting für die quietsch­fidelen wie harten Endjahre der Weimarer Republik.

So sorgfältig geplant die auf Knopfdruck beginnenden Exzesse im Nachtleben der heutigen Hauptstadt sind, so routiniert und durchchoreographiert wirken sie auch in »Babylon Berlin«.

Gereon Rath, ein drogensüchtiger, junger Kommissar aus Köln, ist zu Besuch in Berlin, um eine geheimnisvolle Filmaufnahme zu finden, die einem Politiker in Köln möglicherweise zum Verhängnis werden könnte. In der Roten Burg, dem damaligen am Alexanderplatz gelegenen Polizeipräsidium, trifft er auf die Tagelöhnerin Charlotte Ritter, die hier Mordfälle katalogisiert. Es ist nicht ihr einziger Beruf: Nachts tanzt sie als Gast im Club »Moka Efti« und verdingt sich anschließend in den ­Nebenräumen des Lokals als Prostituierte, um dann am Morgen in ­­ihrer düsteren Arbeiterwohnung auf ihre verarmte Familie zu treffen. Der schon erwähnte Zug hat im letzten Abteil Gold geladen, das zum ­Genossen Trotzki ins türkische Exil geschmuggelt werden soll. Und auch das Berliner Proletariat wartet, zwar nicht auf eine Goldlieferung, dafür aber auf ihren Kampftag, den 1. Mai, um sich dann von der Polizei bildstark und blutig niederschlagen zu lassen. Das Geschichtsbuch kennt dafür den Ausdruck »Blutmai«.

Die filmischen Klischees ziehen fast unweigerlich sprachliche nach sich: Worthülsen wie die »Goldenen Zwanziger« (oder auch: »The Roaring Twenties«), den »Sündenpfuhl«, wahlweise den »Moloch« Berlin oder »die letzten Tage der Weimarer Republik«. Gleichermaßen diktieren ­einem die Produktionsbedingungen schier die Superlative und missglückten Metaphern: »Babylon Berlin« ist die bis dato teuerste und ­aufwendigste deutsche Serienproduktion, zwangsläufig fallen deutschen Rezensenten Formulierungen wie »Serienmeisterwerk« (Der Spiegel), »Mammut-Epos« (Die Zeit) oder »Revolution der deutschen Serienlandschaft« (Stern) ein.
Man könnte sich über die erstmalige public private partnership zwischen der ARD und dem Medienkonzern Sky mokieren, strahlt doch der Pay-TV- und Streamingdienst die Serie noch vor dem öffentlich-rechtlichen Sender aus. Vergleiche zu US-amerikanischen Fernsehproduktionen bieten sich an, will »Babylon Berlin« doch hiesige Produktionen auf dem internationalen Markt etablieren. Kurz gesagt, dem ganzen Projekt haftet ein Beigeschmack an, noch bevor man sich das Resultat angeschaut hat: Allzu krampfhaft geht es um den ­Beweis, dass auch die Deutschen anspruchsvolles Fernsehen produzieren und vor allem unterhaltsam sein können – und das ist das erste große Manko von »Babylon Berlin«.

Wieso produziert man eigentlich eine Serie im Jahr 2017, die im Berlin von 1929 spielt? Die Romanvorlage »Der nasse Fisch« von Volker Kutscher gibt diese Zeit vor, nur erklärt das nicht den Antrieb der Serienmacher, sie hätten ja auch einen anderen Stoff wählen können. Die Gegenwart, die »Babylon Berlin« in der Vergangenheit spiegeln möchte, ist nicht unbedingt der gegenwärtige politische Zustand der Bundesrepublik, sondern es ist der Nimbus der feierwütigen Partystadt Berlin, die ins Jahr 1929 projiziert wird. So sorgfältig geplant die auf Knopfdruck beginnenden Exzesse im Nachtleben der heutigen Hauptstadt sind, so routiniert und durchchoreographiert wirken sie auch in »Babylon Berlin«. Die Figur des Kommissars im Mittelpunkt des Geschehens ist ebenfalls eher ein dramaturgischer Kniff, um möglichst viele Milieus, also die Unterwelt, den Apparat der Polizei sowie die dekadente Oberschicht, durch die ver- und ermittelnde Figur des Gereon Rath abgrasen zu können. Für hiesiges Fernsehen bestimmt außergewöhnlich, im internationalen Vergleich ­allenfalls Standard.

Mythen werden hier bedient, allerdings im Gewand des Realismus. Und genau dieser Realismus stößt bei der Serie auf. Der Alexanderplatz von oben, zusammenmontiert aus noch erhaltenen und längst nicht mehr existierenden Gebäuden, die digital animierten Statisten laufen wie Ameisen durch das Bild. Dieses Berlin sieht zu echt aus. Die Aufnahmen sind aalglatt und messerscharf, bei den Einstellungen erfasst einen der Eindruck, man habe dies alles schon hundertmal gesehen. Die Mühe, die hineingesteckt wurde, merkt man dem Resultat an – zu stark. In den Bildern meint man, die US-amerikanischen Vorbilder zu erkennen, leider aber nicht im Drehbuch. Serien leben davon, ihre eigenen Symbole und Ikonographien zu entwickeln, die dann nach Belieben zitiert und durcheinandergewirbelt werden können. »Babylon Berlin« kennt als Referenz allein die Mythen über die zwanziger Jahre und deren bemühte Verlängerung in das 21. Jahrhundert.

Siegfried Kracauer notierte 1926 über die Filmstudios in Potsdam-­Babelsberg, sie enthielten »die Welt aus Papiermaché«. Die Spannung zwischen der Künstlichkeit der Kulissen und des ihnen gleichzeitig anhaftenden Scheins von Natürlichkeit faszinierte ihn und wurde ihm zum theoretischen Bild: Geschichte und Politik sind hier auf Eis gelegt, werden immer wieder fragmentiert und neu zusammengesetzt. Kracauer ­beanstandete dies aber nicht, der Trug ermächtige das Publikum vielmehr, eben diesen zu durchschauen. So wird die Frage nach der Darstellung von Vergangenheit im Film auch immer wieder zu einer Frage nach der Gegenwart. Die Gegenwart ist folgende: Die »Berliner Straße«, ein langjähriges Filmset in Babelsberg, in dem Filme wie »Sonnenallee« oder »Inglourious Basterds« entstanden, wurde 2013 abgerissen, die Kulisse für die filmische Mythologisierung deutscher Geschichte verschwand. Nur ein Großprojekt konnte die Finan­zierung für ein neues Set sichern, dieses Projekt ist »Babylon Berlin«. Die »Neue Berliner Straße« ist fast dreimal so groß wie das alte Außenstudio, begonnen wurde mit dem Neubau, nachdem die Finanzierung für die Serie stand.

Interessant ist die Serie also als Ausdruck dessen, wie sich die deutsche Filmindustrie international konkurrenzfähig zu machen versucht. Wenn man hierzulande in die Vergangenheit geht, ist es fast zwangsläufig eine untote Vergangenheit: ­Alles kündet entweder vom Kommen Hitlers oder von seinen Nachwirkungen, aber nichts darf es verraten, nichts darf am deutschen Alltag darauf hinzeigen oder davon verunstaltet sein – ob es nun die Hunsrücker Bauern in Edgar Reitz’ »Heimat« sind oder die Großberliner Swing-Hedonisten, sie alle haben die tatsächliche deutsche Geschichte, die sie doch ver­körpern sollen, von vorneherein fein säuberlich aus sich ausgeschieden. Das neue Filmstudio wird entsprechende weitere Filme nach sich ­ziehen, sei es über den Nationalsozialismus ohne Nazis, die DDR ohne Kommunisten oder die RAF ohne Liniendiskussion, kurz gesagt: statt ­filmischen Scheins die endlose Nivellierung von Geschichte in möglichst wirklichkeitsgetreuen Bildern. »Babylon Berlin« ist erst der Anfang.