Gekommen, um zu bleiben
In den ersten zwei Jahrzehnten seines Bestehens hatte Israel erfolgreich der steten Vernichtungsdrohung durch die arabischen Staaten widerstanden und sich gleichzeitig als Staat und Gesellschaft etabliert. Doch die Gefahr eines Vernichtungskriegs war stets gegenwärtig, die Anzeichen, dass er unmittelbar bevorsteht, verdichteten sich im Juni 1967 dramatisch. Die Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien und Syrien hatten sich mit den Niederlagen in den vorangegangenen Kriegen und Auseinandersetzungen nicht abgefunden und setzten auf ein geschwächtes Israel. Maßgeblicher Auslöser für die Zuspitzung war aber eine sowjetische Falschinformation des ägyptischen Verbündeten im Mai 1967. Israel bereite einen Krieg vor, wurde einer Delegation bei einem Besuch in Moskau mitgeteilt. Daraufhin zog der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser seine Truppen im Sinai zusammen, setzte den Abzug der UN-Friedenstruppen durch und mobilisierte seine Verbündeten Jordanien und Syrien. Kriegsauslösend war letztlich die ägyptische Blockade der Straße von Tiran für israelische Schiffe. Israel kam den arabischen Armeen am 5. Juni zuvor und zerstörte innerhalb weniger Stunden nahezu die gesamte ägyptische Luftwaffe und hatte damit einen wichtigen Vorteil für die folgenden Kriegstage gewonnen. So gelang es binnen weniger Tage, den Gaza-Streifen, den Sinai, den Ostteil Jerusalems, die Westbank und die Golan-Höhen zu erobern. Es war eine militärstrategische Meisterleistung.
Dem Enthusiasmus der ersten Tage nach dem Sieg im Juni 1967 ist Ernüchterung gewichen. Israelische Politiker haben sich damit abgefunden, dass sie auf der arabisch-palästinensischen Seite keine Friedenspartner finden. Der unbefriedigende Status quo wird in Israel heute als das bestmögliche Ergebnis unter den gegenwärtigen Bedingungen gesehen.
Der Sieg drehte die Stimmung in der israelischen Bevölkerung um 180 Grad. Die Gesellschaft war in den Tagen und Wochen vor dem Krieg in Depression und Fatalismus gefangen und wähnte sich unter dem zögerlich wirkenden Ministerpräsidenten Levi Eschkol richtungslos. Mit dem militärischen Triumph aber verbreitete sich eine nahezu enthusiastische Stimmung. Das berühmte Bild der drei Fallschirmjäger, die ergriffen vor der Klagemauer stehen, brachte die Stimmungslage vieler Israelis zum Ausdruck. Für sie war es nicht nur ein militärischer Sieg, sondern auch ein Akt der Selbstbehauptung in einer Region, die den jüdischen Staat lieber heute als morgen vernichtet sehen wollte. Aber auch religiöse Debatten etwa zur Bedeutung der für das Judentum heiligen Stätten in Jerusalem oder Hebron wurden geführt. Als Resultat des Sechstagekriegs verdreifachte Israel das unter seiner Kontrolle stehende Gebiet.
Mit dem Sieg im Sechstagekrieg ging eine Neubestimmung des Zionismus einher. Nach der Gründung Israels hatte sich die Politik unter Führung des sozialistischen Arbeiterzionismus zunächst mit einer territorialen Minimallösung zufriedengegeben. War in der Balfour-Deklaration und im Mandat des Völkerbundes noch von Palästina, einschließlich des heutigen Jordanien, als »Heimstätte der Juden« gesprochen worden, schrumpfte die Fläche für die Gründung des jüdischen Staates bis zum Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen 1947 auf weniger als ein Achtel dieses Gebiets. Im anschließenden Unabhängigkeitskrieg kamen einige Gebiete dazu, aber der Gaza-Streifen und die Westbank standen weiter unter ägyptischer beziehungsweise jordanischer Kontrolle. Mit dieser Situation hatte man sich in Israel arrangiert.
Doch mit den unerwarteten Eroberungen wurde dieser Zustand in Frage gestellt. Der Revisionismus mit seiner Idee eines Israels in den ursprünglich geplanten Grenzen fand Akzeptanz. Die Herut-Partei um Menachem Begin war im Zuge des Sechstagekriegs zum ersten Mal an einer Regierung beteiligt und sollte zehn Jahre später die sozialistische Arbeitspartei nach drei Jahrzehnten an der Macht ablösen. Bereits 1968 wurde die Gegend um Kfar Etzion wieder besiedelt. Die zwischen Jerusalem und Hebron gelegene Siedlung war während des Unabhängigkeitskriegs von den arabischen Legionären zerstört waren, die Einwohner wurden massakriert. Es folgten weitere Neu- und Wiedergründungen jüdischer Siedlungen in der Westbank und im Gaza-Streifen zunächst aus sicherheitspolitischen Erwägungen, aber immer auch verbunden mit der Vorstellung, dass es sich dabei um das jüdische Kernland handele. Es war, wie es der israelische Autor Gershom Gorenberg beschrieb, ein eher zufälliger Prozess. Nichts sei geplant worden, aber einzelne Schritte hätten dazu geführt, dass sich Israel immer weitere Flächen angeeignet habe. Über 100 Siedlungen mit knapp 380 000 Einwohnern gibt es heute jenseits der Waffenstillstandslinien von 1947.
Dieser Zustand ist zu einer Herausforderung für den Zionismus geworden. Der wesentliche Gedanke war es, einen jüdischen Staat mit jüdischer Bevölkerungsmehrheit in sicheren Grenzen zu gründen. Die Idee des Revisionismus und des religiösen Zionismus war es aber vor allem, einen jüdischen Staat in seinen historischen Maximalgrenzen zu errichten, ohne die daraus resultierenden sicherheitspolitischen Fragen zu bedenken. Denn die Eroberung der Westbank ging damit einher, dass plötzlich knapp eine Million arabische Bewohner im israelischen Machtbereich lebten, aber für den Umgang mit ihnen kein wirklicher Plan vorlag.
Eine vollständige Annexion des Westjordanlands, so wie Israel es mit Ost-Jerusalem und den Golan-Höhen getan hat, und eine politische Integration der dortigen Bevölkerung hätten zur Folge gehabt, dass im demokratischen Prozess Araber mehr politische Macht bekommen hätten. Aus diesem Grund vermied Israel diesen Schritt. Natürlich auch, weil man erhoffte, dass die eroberten Gebiete in Gesprächen als Verhandlungsmasse dienen könnten, und eine Rückgabe den langersehnten Frieden bringen könnte. Doch die arabische Seite verweigerte Israel die staatliche Anerkennung und boykottiert Verhandlungen und Friedensschlüsse.
Seit dem Ende des Sechstagekriegs ist das Schicksal Israels fast unlösbar mit dem der Palästinenser verbunden. Versuche, diese Verbindung durch Friedensverhandlungen wie in Oslo 1993 oder durch einen einseitigen Abzug wie aus dem Gaza-Streifen 2005 zu lösen, müssen als gescheitert angesehen werden. Die Ergebnisse sind bekannt: Mehr als 1 500 durch palästinensische Terroristen ermordete Israelis und zehntausende Raketenangriffe. Ein Abzug ist nach fünf Jahrzehnten nicht mehr möglich, ohne existentielle sicherheitspolitische Probleme heraufzubeschwören. Auch gibt es in Israel keine gesellschaftliche Mehrheit für eine Rückgabe Ost-Jerusalems mit seinen jüdischen Stadtteilen oder eine Räumung der großen Siedlungsblöcke. Dem Enthusiasmus der ersten Tage nach dem Sieg im Juni 1967 ist Ernüchterung gewichen. Israelische Politiker haben sich damit abgefunden, dass sie auf der arabisch-palästinensischen Seite keine Friedenspartner finden. Der unbefriedigende Status quo wird in Israel heute als das bestmögliche Ergebnis unter den gegenwärtigen Bedingungen gesehen.
Dadurch ist ein Grundgedanke des Zionismus erschüttert. Denn die zionistische Idee war es ursprünglich, dass Juden nicht mehr auf externe Faktoren und Mächte angewiesen sein sollen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Was ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg im Juni 1967 fehlt, sind somit neue zionistische Visionen, in denen umfassenden Vorstellungen dazu entworfen werden, wie ein jüdischer Staat nach 1967 aussehen könnte, wie sich eine Zukunft unabhängig von den Palästinensern gestalten lässt und wie der Gefahr einer antizionistischen Internationale begegnet werden kann. Der permanent notwendige militärische Abwehrkampf gegen die Feinde hat eine Neubegründung des Zionismus verständlicherweise für viele Israelis in den Hintergrund gerückt. Israel geht es wirtschaftlich gut, auch die sicherheitspolitische Lage ist stabiler geworden. Mit einem erratischen US-Präsidenten, einer antiisraelischen EU und einem auf Vernichtung Israels sinnenden Iran zeichnen sich Konflikte ab, deren Lösungen sich keine weiteren 50 Jahre werden aufschieben lassen.