Das neue Album des britischen Experimental-Rap-Duos Strange U

All up in the Toilet

Strange U malen in ihrer gerappten B-Movie-Dystopie die Zukunft der Menschheit in düsteren Bildern. Von Johann Voigt

Ja, wirklich, da trägt jemand einen kugelsicheren Oberlippenbart! Ein Maskierter rappt Actionfilm-Plots, ein Echsenmann hämmert auf analogen Drummachines herum, im Hintergrund surren Synthesizer, verschwinden hinter dem Grollen übersteuerter Kickdrums und schnellen plötzlich wieder hervor – nur übertönt von der grummelnden Bassstimme des Rappers Kashmere. Das britische Experimental-Rap-Duo Strange U bietet alles, was man vom Rap aus dem Vereinigten Königreich nicht erwartet. Gerade deswegen ist ihr neues Album mit dem Titel »#LP4080« so wichtig für den dortigen HipHop. Zudem ist es ein furchteinflößendes Statement zur aktuellen Lage.

Man muss sich die Rahmenhandlung so vorstellen: Strange U kommen im Sportwagen von der dunklen Seite des Mondes durch ein schwarzes Loch auf die Erde geschossen. Das Jahr 2050 ist angebrochen und anfangs wird locker mit Popkultur­referenzen um sich geworfen.

Wenn es ansonsten um britischen Rap geht, sprechen alle wieder nur von Grime, jenem genuin britischen Rap-Subgenre, das sich an den Basslines und Drumpatterns von tanz­baren Strömungen wie 2Step bedient. Piratenradios und illegale Partys machten das in englischen Metropolen Anfang 2000 zum Zeitgeist-Sound für diejenigen, die bei den elitären Garage-Raves nicht mit­tanzen durften. Skepta sorgte 2014 mit »That’s not me« für die Wieder­belebung des Genres, das fast schon totgeglaubt irgendwo im Untergrund überlebte. Seitdem nehmen selbst Weltstars wie Drake und Kanye West Rap aus Großbritannien ernst. Das passiert zum ersten Mal im großen Stil, vorher belächelte man die Rap-Versuche aus London oder Manchester meist als Abklatsch der US-Vorreiter oder ignorierte sie komplett.

Über der Hysterie um Grime wird vergessen, wie progressiv Rap aus Großbritannien sein kann. Produzent Dr. Zygote und Rapper Kashmere, die seit 2011 das Duo Strange U bilden, gehören zu diesen Unterschätzten, deren Œuvre als Solomusiker bis zur Jahrtausendwende zurückreicht. Sie definieren eine Art B-Movie-Rap mit dilettantisch gebastelter Maskerade (inklusive Echsenkostüm). Sie schwelgen in wirren Erzählungen mit Versatzstücken aus Actionfilmen und Serien der vergangenen Jahrzehnte.

Die Performance von Strange U lenkt erst einmal von den Inhalten der Musik ab. Kashmere, der seit 15 Jahren rappt, ist nach eigener Aussage von Kool Keith und MF Doom beeinflusst. Es sind jene US-Rap-Künstler, die kryptische Geschichten, Weltraummotive und Masken in dem Genre etablierten. Kashmeres Gebaren bei Strange U erinnert zudem an das des 2010 verstorbenen Rappers und Graffiti-Künstlers Rammellzee. Der New Yorker Künstler trug ebenfalls bunte Fantasy-Masken, bediente sich in seiner elektronischen Rap-Musik am Vocoder und Verzerrungseffekten und präsentierte sich als utopisches Wesen mit nichtmenschlichen Zügen. So ähnlich inszeniert sich auch die Kunstfigur Kashmere, der auf dem Album vom Geschlechtsverkehr mit einem Schweinekopf spricht. »#LP4080« ist randvoll mit solchen Abstrusitäten.

Man muss sich die Rahmenhandlung so vorstellen: Strange U kommen im Sportwagen von der dunklen Seite des Mondes durch ein schwarzes Loch auf die Erde geschossen. Das Jahr 2050 ist angebrochen und anfangs wird locker mit Popkultur­referenzen um sich geworfen. Drehkicks von Jean-Claude Van Damme, »Sharknados« in der Luft, angespannte Muskeln von Schwarzenegger – ziemlich witzig, ziemlich retro. Doch was als großer Spaß beginnt, entwickelt sich schnell zur ernsthaften Dystopie. Kashmeres Schilderungen werden brutaler und vor allem realer. Die surrealen Bilder verdichten sich zu Szenerien mit aktuellen Bezügen.

Erst werden der Konsumwahn und der Narzissmus im Rap angeprangert. »You enjoy buying trainers/A person like me enjoys firing lasers«, heißt es in »Grizzle«. Im Song »Eden’s Husk« wird ein zerstörtes Ökosystem beschworen. Die Polkappen sind geschmolzen, Tsunamis versalzen das Land, der Regen ist toxisch, die Tiere sind tot. Die Erde ist ein unbewohnbarer Planet geworden und schuld ist der Wachstumswahn. »Take money money, take money money money/The air turned black and the water tastes funny«, heißt es und glaubt man Strange U, die aus der Zukunft sprechen wollen, ist alles verloren.
In überspitzten, teils ekligen, mit Gewaltphantasien gespickten Bildern werden die Themen Korruption, soziale Ungleichheit und Gentrifi­zierung in den Metropolen bearbeitet, begleitet von Dr. Zygotes brachialen Beats, die schon mal mit Scratches versehen werden und an die Hip­Hop-Schule der Neunziger erinnern. Aus dieser Szene stammt Zy­gote. ­Unter seinen zahlreichen Synonymen produzierte er mal in Richtung Breakbeat, mal in Richtung Madlib und schuf so einen britischen

Entwurf des Sample-Beats. Strange U sind das Projekt, in dem dieser Sound wohl am besten funktioniert.
Aber was will die Gruppe, die im Song »Mr. Kill« den Premierminister erschießt, mit ihrer Musik erreichen? Es geht wohl nicht nur darum, einen trashigen Schockeffekt zu erzeugen. Strange U machen ihre Kritik durch deutliche Sprache und Bilder plastisch, sie wollen aufrütteln, ohne dass es phrasenhaft oder ultra-theoretisch wird. Denn Strange U machen sich Sorgen um die Zukunft. Aus der Perspektive des Jahres 2050 resümieren sie: »Could all have been avoided, if we thought about the ­future/Now it’s all up in the toilet.«

Strange U: #LP4080 (High Focus)