Mizgin Saka im Gespräch über yezidische Geflohene in deutschen Flüchtlingsunterkünften

»Wir fühlen uns im Stich gelassen«

Mizgin Saka ist Vorstandsmitglied der internationalen Nichtregierungsorganisation »Eziden Weltweit«. Mit der »Jungle World« sprach sie über Fluchtursachen im Irak und Syrien, europäische Außenpolitik und die Lage jezidischer Geflohener in deutschen Flüchtlingsunterkümften.

Wann und wieso hat sich der Verein »Eziden Weltweit« gegründet?
Wir haben uns im Februar 2015 in Hannover als unmittelbare Reaktion auf die jihadistischen Gräueltaten des IS im Irak gegründet. Unser Ziel war es, insbesondere der yezidischen, aber auch der christlichen Minderheit im Nordirak beizustehen und auf das Leid der verschleppten Frauen und Kinder aufmerksam zu machen. Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist humanitäre Hilfe für besonders betroffene Flüchtlingsfamilien. Wir arbeiten an unterschiedlichen, weltweiten Projekten – unter anderem auch mit der israelischen Hilfsorganisation »IsraAid« in Griechenland, wo ungefähr 2 000 Yezidinnen in Idomeni und auf Lesbos ausharren und wir uns um Familienzusammenführung oder Registrierung kümmern.
Ihre Organisation ist auch im Irak aktiv. Woraus besteht Ihre Arbeit dort?
Zum einen versuchen wir im Rahmen von Bildungsinitiativen yezidischen Familien und insbesondere Kindern zu helfen. Als yezidische Organisation im Irak zu arbeiten, ist sehr schwer. Zu unserer Gründungszeit hatten wir im Irak sehr viele Mitglieder, die nicht mit Kritik an der kurdischen Regionalregierung gespart haben. So wurden wir sehr bald bedroht und zwei unserer Mitarbeiter wurden zu Tode gefoltert. Deshalb können wir auch nicht mehr im Irak unter unserem Namen tätig sein. Es ist generell für Yeziden sehr schwierig, im Irak zu arbeiten, da wir dort drastischer Diskriminierung ausgesetzt sind – und das nicht erst seit dem Aufkommen des Islamischen Staats. Yeziden werden oftmals zwangsislamisiert. Sie können ihre Bräuche nicht praktizieren, dürfen nicht in die Schule oder auf die Universität gehen und keine Restaurants in kurdischen Gebieten gründen, weil man erzählt, dass man Essen aus unseren Händen nicht essen darf. Die Mehrheit der irakischen Yeziden ist deshalb von akuter Armut, Unterentwicklung und fehlender Bildung bedroht. Auch dieser Umstand hat religiöse Ursachen.
Sie beschäftigen sich auch mit dem Schicksal der yezidischen Frauen, die durch den IS versklavt wurden. Gelingt es, die Frauen zu befreien?
Etwa 3 500 Frauen und Kinder befinden sich nach wie vor in Gefangenschaft, davon 800 Kindersoldaten, die sich in Raqqa befinden. Abgesehen von zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigt kaum ein Staat ernsthaftes Interesse, sich des tragischen Schicksals der Frauen anzunehmen. Momentan unterstützen wir Initiativen, die versuchen, die Frauen in Syrien freizukaufen und anschließend nach Deutschland zu überführen. Das ist natürlich eine komplizierte Angelegenheit und darf nicht öffentlich vonstattengehen. Sobald die Opfer dann in Deutschland angekommen sind, geht es darum, psychologische Hilfe zu leisten und die Traumatisierung zu überwinden.
Wie ergeht es den Opfern jihadistischer Gewalt innerhalb der yezidischen Familien nach ihrer Befreiung?
Die Frauen werden von ihren Familien mit offenen Armen empfangen. Selten gibt es Fälle, wo Frauen, die Opfer jihadistischer Gewalt wurden, verstoßen werden. Tatsächlich sinkt die Zahl dieser Fälle. Wir haben im April eine große Hochzeit in Hildesheim veranstaltet. Sechs Paare haben geheiratet, wobei einige Frauen vom IS freigekauft wurden oder entkommen konnten. Es ging uns hierbei nicht nur darum, die finanziellen Mittel für die Hochzeit bereitzustellen, sondern darum, ein Zeichen zu setzen, dass es bei der Tabuisierung von sexueller Gewalt oder Ehrenmorden innerhalb der yezidischen Gemeinde kein Pardon geben darf. Gerade bei Yeziden, die unter religiösen Muslimen im Irak gelebt haben und sich angepasst haben, ist ein solches Denken stark verbreitet.
Wie entwickelt sich die Situation der Yeziden im Irak?
Sie hat sich ohne Zweifel drastisch verschlechtert. Aufgrund der Massaker des »Islamischen Staats« (IS) an den Yeziden sind diese nun auch gezwungen, in kurdischen Flüchtlingslagern zu verweilen, und sind dort einer sehr aggressiven Grundstimmung ausgesetzt. Während die Yeziden durch den jihadistischen Terror des IS bedroht sind, gibt die kurdische Regionalregierung im Irak vor, ein Freund zu sein, und geht dabei hinterhältig vor. Man nutzt unsere Position aus und rammt uns dabei ein Messer in den Rücken, was langfristig sehr viel gefährlicher sein wird als der offene, unverschleierte Hass der Islamisten. Aber auch außerhalb des Irak sind Yeziden Bedrohungen ausgesetzt. De facto gibt es im gesamten Nahen Osten keinen sicheren Ort für Yeziden – weder im Iran noch in Syrien oder in der Türkei. Meine Familie ist 1989 aus der Türkei nach Deutschland geflohen – und zwar nicht nur vor der türkischen Regierung, sondern auch vor Übergriffen radikalislamischer Kurden. Das wurde in meiner Familie lange verschwiegen, auch damit wir es in Deutschland leichter haben. Wenn ich mich als Yezidin deutlich erkennbar auf den Straßen Deutschlands bewege, habe ich oft Angst, auch wenn ich unter Kurden bin. Vor allem in Nordrhein-Westfalen leben wir in ständiger Angst vor Übergriffen durch radikalislamistische Gruppierungen, die gezielt Jagd auf uns machen. In Bielefeld gelangte auch durch unsere Mitarbeit ein Fall an die Medien. Fünf yezidische Flüchtlinge wurden von einer Gruppe muslimischer Tschetschenen attackiert und bedroht. Sie wurden teils lebensgefährlich verletzt und mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Die in der Flüchtlingsunterkunft lebenden Yeziden wurden aus der Unterkunft evakuiert und mussten auf der Straße übernachten.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der yezidischen Gemeinde oder kurdischen Parteien?
Die yezidische Community ist äußerst zerstritten. Das kommt auch daher, dass sie seit jeher der Spielball aller Parteien und Milizen war, und das spielt auch in Deutschland eine große Rolle. Die einzelnen yezidischen oder kurdischen Gemeinschaften zersplittern entlang von Parteilinien. Manche stehen eher der PKK nahe, manche eher der kurdischen Regionalregierung von Masud Barzani.
Unter den Yeziden spielt diesbezüglich die Religion eine eher untergeordnete Rolle, während die Parteieorientierung oftmals ausschlaggebender ist.
Und in Deutschland?
Neben unserer alltäglichen Integrationsarbeit haben wir uns in letzter Zeit darauf spezialisiert, Opfern radikalislamistischer Übergriffe in Flüchtlingsheimen zu helfen. Deshalb setzen wir uns auch schon länger für getrennte Unterkünfte ein. Die Lage in deutschen Flüchtlingsheimen beschäftigt uns sehr und ich höre oft von Übergriffen muslimischer Geflüchteter auf religiöse Minderheiten. Letztes Jahr gab es einen solchen Fall in Bielefeld, wo es Messerattacken gegen einen yezidischen Flüchtling gab, weil er während des Ramadan nicht fasten wollte. Das ist kein Einzelfall, sondern steht für die bedrohliche Lage religiöser Minderheiten in deutschen Flüchtlingsheimen. Beinahe ohne Ausnahme gingen alle Übergriffe von radikalen Muslimen aus, die ihre Opfer als »Ungläubige« betiteln und als Rechtfertigung für diese diskriminierende Gewalt ihren Glauben heranziehen. Wir bemerken einen drastischen Anstieg dieser Gewalttaten – und auch die momentane Flüchtlingssituation in Europa und im Nahen Osten deutet nicht darauf hin, dass mit einem Rückgang zu rechnen ist. Wir fühlen uns im Stich gelassen – die Bundesregierung muss endlich konsequenter und umsichtiger vorgehen. Oftmals sind Sicherheitspersonal oder Dolmetscher Komplizen dieser Attacken – die Sicherheitsvorkehrungen und Kontrollmechanismen müssen verbessert werden. Nicht nur Yeziden, sondern auch Juden und Christen sind durch islamistische Attacken bedroht sind.
Was erwarten Sie von Deutschland und der der Europäischen Union?
Ich bin sehr dankbar für das, was Deutschland für mich getan hat. Deutschland ist meine Heimat, weil ich mich als Yezidin mit der Türkei sowieso nie identifizieren konnte. Seit dem letzten Sommer spitzen sich die Ereignisse allerdings drastisch zu und das betrifft nicht nur die yezidische Gemeinschaft, sondern alle nichtmuslimischen Minderheiten. Mittlerweile schäme ich mich manchmal, deutsche Staatsbürgerin zu sein, weil wir tagtäglich erfahren, dass islamischen Kulturvereinen viel zu viel Raum gegeben wird, ihren diskriminierenden Weltanschauungen freien Lauf zu lassen – sowohl auf bundespolitischer Ebene als auch im öffentlichen Raum. Immer wenn wir versuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen, nehme ich ein Desinteresse der Behörden wahr, das eine vernünftige, angstfreie Debatte unmöglich macht. Jeder weiß, dass islamistische Organisationen in Flüchtlingslagern oder Moscheen rekrutieren, und trotzdem wird kaum etwas dagegen unternommen. Warum greift die Politik hier nicht härter durch? Diese Ignoranz wird drastische Konsequenzen haben, von denen viele nichts wissen wollen.