Alfred Hilsberg und Christof Meueler im Gespräch über das Buch »Das Zick-Zack-Prinzip«

»Ich fand das gut durchdacht damals«

»Das ZickZack-Prinzip« sollte ein vielschichtiges Buch über den deutschen Musik-Underground werden. Sein Protagonist Alfred Hilsberg aber, Begründer des bedeutenden Musiklabels ZickZack, hält das Projekt für gescheitert. Ein Gespräch in Hilsbergs Geburtsort Wolfsburg, zusammen mit dem Koautor Christof Meueler, der durch komplizierte Umstände zum alleinigen Verfasser des Buches wurde.

Also, von Anfang an: Alfred, du hast irgendwann begonnen, deine Autobiographie zu ­schreiben, richtig?
Christof Meueler: Nein, alles komplett falsch!
Der perfekte Einstieg in das »ZickZack-Prinzip«, wie mir scheint.
Alfred Hilsberg: Der Einfall, ein Buch über ZickZack und mich zu machen, kam von Conny Lösch. Sie hatte – zusammen mit Bernadette Hengst – in den Neunzigern die Büroarbeit bei ZickZack und What’s So Funny About gemacht.
Irgendwann während der WM 2006 erzählte mir Christof von dieser Buchidee. Daraus hat sich dann der umfassendere Plan zur Darstellung und auch Aufarbeitung des westdeutschen Kultur-Underground seit den Sechzigern entwickelt. Mit Christof entstand ein Drei-Säulen-Modell mit meiner Geschichte als Kontinuum, mit begleitenden und kommentierenden Zitaten von Zeitzeugen und, die dritte Säule, mit Dokumenten, Daten, Abbildungen von Plattenhüllen bis zu Plakaten.
C.M.: Und mit alten Plattenkritiken, Waschzetteln und Obskuritäten aus dem Hilsberg-Archiv.
A.H.: Alle größeren Verlage haben dieses zugegeben anspruchsvolle Konzept als zu schwierig zurückgewiesen und mir stattdessen eine Autobiographie mehr als nahegelegt. Heyne mit seinem Lektor Markus Naegele war der einzige Verlag, der sofort zugesagt hat.
Auf Abbildungen wurde jedoch verzichtet, Zeitzeugenberichte gibt es nur wenige. Warum sind keine Plattencover im Buch abgebildet? Wegen der fehlenden Rechte?
C.M.: Nein, wegen Zeitdrucks.
Aber die Produktion des Buchs hat doch eine halbe Ewigkeit in Anspruch genommen.
C.M.: Alfred und ich haben in den ganzen Jahren viele Gespräche geführt. Das hat alles einen großen organisatorischen Aufwand mit sich gebracht. Weil Alfred gerne verreist und sehr gerne in Hotels übernachtet. Man kann ihn nicht einfach in seinem Wohnzimmer treffen und dort mit ihm reden.
Aha...
C.M.: Wir haben uns von 2009 an mit vielen Weggefährten und Altersgenossen von Alfred getroffen, damit er sich im Dialog mit ihnen besser erinnern und über sich sprechen kann. Das waren über 70 Leute. Die Gespräche verliefen zum größten Teil unstrukturiert, waren sehr lang – die meisten haben einfach ihre Lebensgeschichte erzählt. Wir haben es lange Zeit nicht geschafft, diesen Materialberg zu verarbeiten, und mussten den Verlag immer wieder vertrösten.
A.H.: Es kam ja erschwerend hinzu, dass ich zwischendrin krank geworden bin. Ich war überhaupt nicht mehr arbeitsfähig.
Über was für einen Zeitraum reden wir?
A.H.: Das ging zunächst von 2011 bis 2013. Ab Ende 2013 habe ich mich nur noch mühsam am Leben erhalten. Mir war eine Herzarterie gerissen, und wenn ich mich nicht spät ins Krankenhaus hätte transportieren lassen, hätte ich nicht überlebt. C.M.: Der Riss der Arterie war 2013.
A.H.: Wundersamerweise sind seit dem Vorfall meine Kopfschmerzen in der einen Gehirnhälfte nicht mehr vorhanden, die mich jahrelang geplagt und zu großen Konzentrationsproblemen und zu Schreibblockaden geführt haben. Das Buch hätte ich auf keinen Fall allein schreiben können.
Ab 2014 war ich dann wieder ei­nigermaßen arbeitsfähig. Da habe ich versucht, die von Christof erstellte Version des Buchs zu korrigieren. Das darf man ja auch nicht verschweigen! Christof ist vom Verlag tatsächlich beauftragt worden, Alfred Hilsberg zu spielen und das Buch in Ich-Form abzuliefern. Erst durch einen Zufall habe ich das mitbekommen.
C.M.: Es sollte auf keinen Fall hinter deinem Rücken veröffentlicht werden.
Aber es sollte schon als Autobiographie durchgemogelt werden?
C.M.: Das Skript, was Alfred dann in seine Hände bekam, war als Diskus­sionsmaterial gedacht. Nicht als finale Version. Ich habe es Ende 2012/Anfang 2013 verfasst, weil Alfred trotz vieler Ankündigungen nie dazu gekommen ist – auf der Grundlage des vorhandenen Materials. Mit diesem Manuskript ist erstmal nichts passiert. 2015 hat Alfred dann in mehreren Anläufen 150 Seiten durch­gearbeitet. Das ging dem Verlag zu langsam. Alfred und ich haben uns im Oktober 2015 drauf verständigt, dass ich das Buch vollende – unter der Prämisse, dass ich keine O-Töne von ihm in direkter Rede verwende, aber aus seinen historischen Texten aus der Zeitschrift Sounds zitieren darf.
A.H.: Ansonsten wäre ich gezwungen gewesen, es doch nochmal komplett durchzuarbeiten.
C.M.: Ich habe das Manuskript dann von der Ich-Form in die dritte Person zurückgesetzt. Das hatte aber auch zur Folge, dass ich viele Passagen präzisieren musste. Ich habe dann noch etwa 100 Seiten hinzugefügt, die aber vom Lektor Jürgen Teipel zum größten Teil auch wieder entfernt wurden.
A.H.: Wenn ich gewusst hätte, dass Jürgen Teipel das Buch lektoriert, hätte ich versucht, dieses Buch zu verhindern!
Warum?
A.H.: Wir sind nicht gerade befreundet.
C.M.: Ich kannte ihn nicht persönlich und hatte nur »Verschwende Deine Jugend« gelesen. Und ich muss sagen, dass Teipel »Das ZickZack-Prinzip« wirklich sehr gut gekürzt hat. Es liest sich sehr fluffig. Alfred hat sich ja vor allem über Zitate von etwa Timo Blunck oder Rummelsnuff aufgeregt.
Weil sie Alfred in ein sehr schlechtes Licht und sein Geschäftsgebaren in Frage gestellt haben.
A.H.: Schlimmer noch: Einige Zitate sind erst in letzter Minute eingefügt worden. Nachdem der Verlag das Verhältnis mit mir faktisch aufgelöst hat, habe ich mich mit dem Buch einfach gar nicht mehr auseinandergesetzt. Und da sind eben noch Zi­tate reingekommen, die ich mir gar nicht angeguckt hatte.
C.M.: Genau, du hast sie dir einfach nicht angeschaut. Das hättest du ja mal lesen können! Aber diese Zitate verärgern dich im Nachhinein sehr.
A.H.: Gerade die letzten von Timo Blunck, der Christof erpresst hat, sie ins Buch zu nehmen. Das fand ich eine ziemliche Frechheit.
Erpresst?
C.M.: Naja, er hat seine Zitate nur unter der Bedingung freigegeben, dass er dieses eine Zitat, in dem er Alfred als »teilweise noch abgezockter als die Majors« bezeichnet, auch abgedruckt wird. Aber auch das hättest du vorher lesen können, Alfred. Das habe ich nicht nachträglich ins Buch hineingezaubert.
A.H.: Das lag nach meinen Informationen erst kurz vor Redaktionsschluss vor.
Eine ziemlich verkorkste Geschichte, meine Herren!
A.H.: Absolut. Dem Buch fehlt jedes visuelle Material. Das hindert viele Leute daran, es zu kaufen. Davon bin ich überzeugt.
C.M.: Aber oft sind solche Fotoseiten, die man meistens in der Mitte eines Buchs findet, doch auch enttäuschend. Unscharfe Schnappschüsse mit grellen Farben.
Aber bei ZickZack sind auch visuell tolle Platten erschienen – und es findet sich nicht einmal eine Discographie im Buch. Die hätte man doch problemlos bei Discogs rauskopieren können. Außerdem fehlen Hintergrundinformationen über die skurrilen Acts des Labels. Man will doch nicht schon wieder etwas über Blumfeld oder Die Einstürzenden Neubauten lesen!
A.H.: Das war mir bewusst, aber das wäre ein nicht leistbares Vier-Säulen-Modell geworden mit aufwendiger Recherche und der Suche nach Protagonisten und Gesprächen mit ihnen an abgelegenen Orten. Meiner Meinung nach fehlt im Buch vor allem eine Reflexion darüber, was damals eigentlich abgelaufen ist. Wo bin ich da nur reingeraten?! Was hat das alles für eine Bedeutung? Welche Fehler wurden gemacht? Wie kann man das Ganze aus heutiger Sicht kulturpolitisch überhaupt einordnen? Aber auch: Wie entwickelt sich alles weiter? Welche Ideen gibt es heute? Über die allseits bekannte Kritik an der Verwertung von Musik oder der nicht mehr stattfindenden Verwertung von Musik hinaus. Das kommt ja alles nicht zu Sprache.
C.M.: So war es aber doch auch nie intendiert!
A.H.: Das war aber die Geschichte, die ich machen wollte. Bis zu dem Tag, an dem der Verlag mir schließlich sagte: Schluss jetzt! Wir warten nicht mehr. Ich habe sie damals auch gebeten, es nicht bei der Buchmesse zu veröffentlichen, um noch etwas Zeit zu gewinnen. Das wurde vom Verlag abgelehnt.
C.M.: Das Buch kam dann ja auch gar nicht zur Buchmesse raus.
Das klingt alles extrem unbefriedigend.
C.M.: Man muss aber einfach sagen, das Buch gehorcht auch dem ZickZack-Prinzip. Ist einfach so. Unvermeidlich.
Aber dann ist das ZickZack-Prinzip nur eine originelle Umschreibung von totalem Chaos.
C.M.: Am Ende ist es das ja auch.
A.H.: Das ZickZack-Prinzip ist für mich, Überraschendes zu liefern und nicht erfolgreiche Wiederholungen. Das ist leider mit diesem Buch nicht gelungen.
C.M.: Das hat sich aber schon im Produktionsprozess immer wieder angedeutet. Ganz am Anfang gab es die Idee eines ZickZack-Lesebuchs, für das verschiedene Musiker als Autoren etwas schreiben sollten. Die haben wir dann auch wieder verworfen. Wir haben einfach immer wieder viele Ideen entwickelt und dann doch nicht gemacht. Schließlich habe ich das Buch wie bei einer Kaiserschnittgeburt gerettet.
Letztlich kann ich nur feststellen, dass es nicht die autorisierte Biographie geworden ist. Aber unter uns: Was will man mit autorisierten Biographien? Die sind doch immer sehr brav. Die Abenteuer liest man woanders.
A.H.: Aber Fehler wären vermieden worden.
Meiner Meinung nach ist Alfreds Position nicht richtig herausgearbeitet worden. Er wird eher als Pop-Kurator dargestellt – ein Berufstyp, den es in den Achtzigern noch nicht gab, weshalb auch die betriebswirtschaftliche Grundlage fehlte. Wenn überhaupt Geld floss, handelte es sich meist um Vorschüsse, die mit vollen Händen und ohne Rücksicht darauf, ob man sie je wieder eingespielt bekäme, ausgegeben wurden. So gelangte das ZickZack-Prinzip vermutlich auch in die Buchhaltung. Als Chaos.
A.H.: Ja, natürlich. Das alles hätte niemals funktioniert ohne die Gewinne der von ZickZack und Rip Off seit Ende der Siebziger organisierten Touren mit englischen und US-amerikanischen Bands, von The Cure bis Dexys Midnight Runners, von Heaven 17 bis Pere Ubu, New Order und den Fehlfarben. Viele Konzerte konnten wir mit Bands von ZickZack als Support besetzen. Erst in den Neunzigern gab es Vorschüsse von großen Musikverlagen.
Heute wollen die großen Musikverlage kaum mehr Indie-Künstlerinnen und -Künstler unter Vertrag nehmen. Sie suchen Autoren, die für ihre Retortenprojekte Songs ­schreiben. Aber zurück zu deinem Label: Alfred, du warst chronisch unterfinanziert, hast aber gleichzeitig immer überproduziert. Wie war das möglich?
A.H.: Am Tiefpunkt hat mir damals der Hamburger Musikvertrieb EFA aus der Bredouille geholfen. Mit einer Art Zwischenfinanzierung. Das war Ende der Achtziger, kurz bevor Blumfeld kam. Finanziell ging es mir wirklich sehr schlecht, auch die Band Gun Club konnte mich nicht retten. Da waren immense Schulden aus der Mitte der Achtziger, die ich Jahre vor mir hergeschoben habe. Lange war überhaupt kein Kapital mehr da.
Würdest du dich eigentlich als Verdrängungskünstler bezeichnen?
A.H.: Gerne.
Diese Widersprüche hast du stets mit dir alleine ausmachen müssen, während Spex und andere Pop-Medien die neuesten ZickZack-Veröffentlichungen wie gigantische Erfolge feierten – bevor nur eine einzige Platte verkauft wurde. Und während deine Vergangenheit dich ständig wieder eingeholt hat, hast du den Künstlern Hoffnung auf die Zukunft gemacht. Was für ein Wahnsinn!
C.M.: Das Label ZickZack lebt ständig von der Zukunft, von der Projektion in die Zukunft hinein.
A.H.: Aber diese Veröffentlichungspolitik habe ich ja schon lange hinter mir gelassen.
C.M.: Alfred hatte mit What’s So Funny About erst 1997 eine GmbH gegründet. Davor gab es für ihn nur knallhartes Einzelunternehmertum.
A.H.: Aus der Zeit habe ich noch ex­trem hohe Schulden, kann damit aber leben. Diese GmbH damals konnte auch nur mit Geld von Norbert Masch, dem damaligen Hauptverantwortlichen beim Verlag Hanseatic/Warner Chappell, möglich gemacht werden. Das Geld ist natürlich längst verbrannt. Der Verlag wartet noch heute auf die Künstler, die ich für sie als Edition unter Vertrag nehme, damit ich die Vorschüsse wieder zurück­zuzahlen kann.
Ein riskantes Geschäftsmodell.
A.H.: Ich fand das gut durchdacht damals. Ich habe ja Künstler wie Blumfeld in den besagten Verlag gebracht. Es hat also teilweise funktioniert.
Es gab damals die Idee, das Geld von oben nach unten zu verteilen: Die erfolgreichen Bands finanzieren die weniger erfolgreichen. Alle bekommen das gleiche Geld, Sozialismus im Kapitalismus. Und das ausgerechnet auf dem Pop-Markt!
A.H.: Dieser Ansatz war der anfänglich vorherrschenden Euphorie zu verdanken, hat aber nur in der ersten Zeit mit vielen Singles und einer überschaubaren Anzahl von Alben funktioniert. Die Solidarität hatte spätestens ein Ende, wenn eine Band Gelder für eine Studioproduktion brauchte, ein Album fünfstellig verkaufte und sich eine goldene Zukunft bei einer großen Plattenfirma ausmalte. Und tatsächlich solche Verträge bekam. Aber wie ich erwartete, gingen die Strukturen der Majors mit den Eigenheiten der Musiker nicht zusammen. Die Erwartungen blieben meist unerfüllt, Verträge wurden nicht verlängert.
Heute ist an die Stelle der MajorVerlage der Staat getreten, die Kulturförderung. Wie heißt es so schön: Man beißt nicht die Hand, die einen füttert.
A.H.: Für viele Künstler wären Veröffentlichungen ohne diese Förderungen kaum noch realisierbar, auch weil kleine Labels nicht total ins Risiko gehen können. Was mich daran nervt, ist die Ausrichtung der Förderkriterien auf wirtschaftlichen Erfolg. Die längst durch die Digitalisierung ausgehebelten Marktstrukturen werden durch staatliche Subventionen künstlich verlängert. Neuartige Geschäftsmodelle auf der Basis kultureller Förderung fehlen. Aber wie bekannt, können viele Künstler nur mit Hilfe der Hochkultur überleben. Sie werden von großen und kleineren Theatern für die Produktion und auch Aufführung von Musik engagiert oder etablieren sich auch als Autoren und Regisseure. Ob diese Kombination die Mainstreamisierung subversiv unterwandert oder gar bekämpft, sollte mehr als bezweifelt werden.
Während in den Neunzigern selbst einige Indie-Acts fünfstellige Verkaufszahlen verzeichnen konnten, gelten heute 2 000 verkaufte Exem­plare für viele Künstler als sensationell. Wirtschaftlich ist das ein Witz.
A.H.: Klar, dennoch musste ich auch damals meine Vertriebspartner immer wieder mühsam überzeugen, bestimmte Platten zu veröffentlichen. Blumfeld wollten sie am Anfang partout nicht haben: »Das wird sich doch niemand anhören! Das versteht doch keiner!« Es hat wirklich zwei Monate gebraucht, sie damals zu überzeugen.
Zum ZickZack-Prinzip zählte nicht nur, Musik zu veröffentlichen, die man so noch nicht gehört hatte. Auch das Artwork und der Look der Bands waren neu.
A.H.: Klar, ohne das Neubauten-Männchen wäre die Band nie so groß geworden. Das hat international funktioniert. Die Selbstbestimmtheit vieler Künstler, vom Cover bis zum Bandinfo und der Abmischung ihrer Platten alles weitgehend allein zu entscheiden, war für mich ein wichtiger Grund, mit Leuten wie Blixa Bargeld, F.S.K. und Jochen Distelmeyer zusammenzuarbeiten.
C.M.: Viele ZickZack-Veröffentlichungen bewegen sich ja, ohne dass es den Protagonisten vielleicht bewusst gewesen ist, schon eher in der freien Kunst als auf dem Pop-Markt.
Postpunk war immer viel näher an der Kunst als die Punkrocker, die sich eher in der Tradition des Rock ’n’ Roll sahen. Für Letztere stand ZickZack ja eben nicht.
A.H.: Ja, Wolfgang Müller von Die Tödliche Doris etwa war wirklich Kunststudent damals. Albert und Markus Oehlen oder Kippenberger waren keine Musiker, aber machten mit anderen manchmal anstrengende, aber tolle Platten.
Von Andreas Dorau gibt es ja das schöne Zitat »Platten machen war toll damals, das Ärgerliche war nur, dass man sie zuerst aufnehmen musste« … 
A.H.: Die großartigste Platte, die mir in diesem Zusammenhang jemals untergekommen ist, war die von Sid & Sue. Eine zerbrochene Single. Dafür werden heute teilweise 500 Euro ausgegeben.
Alfred, du hättest doch in den vergangenen Jahren durch Ebay oder Discogs reich werden können. Da müssen noch einige Schätze unter deinem Bett gewesen sein.
A.H.: Ich habe schon vor der großen Internetwelle Platten in Tausender-Einheiten verkauft und meine Sammlung ist komplett aufgelöst. Ist ja aber auch ein immenser zeitlicher Aufwand, Platten einzeln im Internet zu verkaufen. Das ganze ZickZack-Zeug habe ich auch nicht mehr vollständig.
Das Musikarchiv der Deutschen Nationalbibliothek müsste alle ­Platten haben.
A.H.: Nein, leider auch nicht.
Aber man ist als Labelbetreiber verpflichtet, dort zwei Belegexemplare jeder Veröffentlichung einzureichen.
A.H.: Die haben sie aber nicht von mir bekommen, weil ich davon in der Anfangszeit nichts wusste und irgendwann die Auflagen vergriffen waren.
Zurück in die Gegenwart, wir leben in wertkonservativen Zeiten. Die Poplinke ist im Distinktionswahn gefangen: »Ich höre das, was du nicht hörst«, während sich am rechten Rand Allianzen bilden. Alfred, was rätst du jungen Künstlern und Labelbetreibern heute?
A.H.: Das Beste wäre, es gäbe ein gesellschaftliches Verlangen nach nichtkonformen, offenen, polarisierenden Ausdrucksmöglichkeiten. Aber dazu bedarf es einer Überwindung der Vereinzelung, die sich durch den DIY-Gedanken – so viel Kreativität er auch hervorbringen mag – ergeben hat. Wer weiß, ob nicht die sicher auch langfristig weiter ­zunehmenden Fluchtbewegungen zu kulturellen Aufbrüchen, zu extremen und subversiven Aktivitäten führen.
Die Majors von heute heißen nicht mehr Universal oder Sony, sondern Google und Apple. Das sind die Produkte, die jeder Hipster vom Schanzenviertel bis Neukölln täglich am häufigsten benutzt. Kann man da überhaupt noch subversiv sein?
C.M.: Mit den Vertriebswegen von Musik haben nur die Profiteure gewechselt. Die subversivste Frage ist immer noch die nach den Eigentumsverhältnissen. Daran hat sich seit ­Elvis, Chuck und Bo nichts geändert.
Auf eine uneingeschränkte Kaufempfehlung läuft dieses Interview offenbar nicht wirklich hinaus. Hat die Arbeit am Buch euch entzweit?
C.M.: Wir sind nach wie vor befreundet.
A.H.: Ich bin trotz aller Fehler und Lücken doch froh, dass dieses Buch von Christof fertiggestellt wurde. Es lohnt, weil viele für Außenstehende bislang unbekannte Entwicklungen und Ereignisse, ob im Filmbereich oder bei meinem politischen Engagement, erstmals mehr als nur angedeutet werden. Eine umfassendere Aufarbeitung steht noch aus, auch weil ich nicht nur auf den musikalischen Underground der Achtziger und Neunziger eingeschränkt werden möchte. Ich kann mir ein Buch dazu kaum vorstellen, aber neben meiner heutigen Arbeit für wenige, sehr ausgewählte Musikveröffentlichungen auf ZickZack und befreundeten Labels bin ich gern bereit, meine Erfahrungen mit anderen zu teilen und zu diskutieren. Aber Vorsicht bitte: Der sich bei Facebook Alfred Hilsberg nennende Typ bin nicht ich, der hat sich dank der offenen Geschäftsbedingungen bei ­Facebook eingeschlichen. Bitte also lieber direkt mit mir Kontakt aufnehmen.

Christof Meueler: Das ZickZack-Prinzip: ­Alfred Hilsberg – ein Leben für den Underground. Heyne-Verlag, München 2016, 384 Seiten, 22,99 Euro