Die NSA/BND-Affäre

Keine harmlose Affäre

Die Bundeskanzlerin hat Aufklärung in der BND-Affäre zugesichert. Das könnte für sie zum Problem werden.

Spätestens seit Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende der SPD, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt hat, ist klar, dass die derzeitige Geheimdienstaffäre eine Regierungskrise auslösen kann. »Was wir erleben, ist eine Affäre, ein Geheimdienstskandal, der geeignet ist, eine sehr schwere Erschütterung auszulösen«, sagte Gabriel am Montag voriger Woche. Anschließend berichtete der Vizekanzler Vertrauliches. Zwei Mal habe er Merkel gefragt, ob der Bundesnachrichtendienst (BND) einen Beitrag zur Wirtschaftsspionage durch die US-amerikanische National Security Agency (NSA) geleistet habe. »Beide Male ist das mir gegenüber verneint worden«, berichtete er. Sollte dennoch eine solche Bespitzelung statt­gefunden haben, »wäre das eine schwere Belastung des Vertrauens der Wirtschaft in staatliches Handeln«, sagte Gabriel. Allerdings dürfte in diesem Fall nicht nur das Vertrauen von Unternehmen erschüttert sein, sondern auch das des französischen Außenministeriums und der EU-Kommission, die ebenfalls von der BND-NSA-Affäre betroffen sind.
Kürzlich war bekannt geworden, dass der BND der NSA über Jahre geholfen haben soll, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. (Jungle World 19/2015) Seit 2004 läuft die Koope­ration von BND und NSA unter dem Motto: Informationen gegen Technik. Die NSA überschrieb dem BND die Abhöranlage im bayerischen Bad Aibling, im Gegenzug wurde vereinbart, dass die NSA dem BND Suchbegriffe zukommen lässt, sogenannte Selektoren. Für die Suchworte gelten Regeln: Nach Personen, Behörden oder Unternehmen, die unter den Schutz des Grundgesetzes fallen, darf nicht gesucht werden. »Möglicherweise hat der BND, das ist die nette Variante, immer darauf geachtet, dass nicht die Daten von Deutschen an die NSA weitergereicht wurden, und dabei zu oft die Europäer vergessen«, kommentiert die Süddeutsche Zeitung. Bereits 2005 fiel Mitarbeitern des BND auf, dass sich die NSA bei den Suchworten nicht an die Absprachen hielt, 2008 erhielt das Kanzleramt darüber erste Informationen vom BND.

Gabriel forderte, dem NSA-Untersuchungsausschuss und dem Parlamentarischen Kontrollgremium die von der NSA abgefragten Suchmerkmale wie Telefonnummern und IP-Adressen zugänglich zu machen, und erhöhte damit den Druck auf die Kanzlerin. Noch am selben Tag sicherte Merkel bei einem öffentlichen Auftritt Aufklärung in der BND-Affäre zu. Sie kündigte an, dass die parlamentarischen Kontrollgremien in dieser Woche über alle Einzelheiten informiert würden und sie sich selbst dem NSA-Ausschuss als Zeugin zur Verfügung stellen würde. Allerdings teilte die Kanzlerin auch mit, die Regierung werde eine Entscheidung über die Offenlegung der Suchbegriffe erst nach Gesprächen mit der US-Regierung treffen, derzeit läuft ein sogenanntes Konsultationsverfahren zwischen Deutschland und den USA. Bis dahin würden dem NSA-Untersuchungsausschuss »andere und auch viele Unterlagen« zur Verfügung gestellt. Gabriel merkte dazu an, erst anhand der Liste mit den Suchbegriffen sei die gesamte Dimension der Affäre erfahrbar.
Vertreter der Union reagierten empört. »Die linke Tour des Vizekanzlers Gabriel ist ein peinliches Manöver in der SPD-Umfragedepression«, wetterte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte der Welt: »Die SPD hat ganz offenkundig beschlossen, auf Krawall zu spielen. Es ist schwer vorstellbar, wie die Große Koalition im Dauer-clinch noch zweieinhalb Jahre überleben soll.« Spiegel Online berichtete, eine Zustimmung der US-amerikanischen Regierung zur Offenlegung der Liste sei wohl ausgeschlossen. »Die Veröffentlichung der Suchkriterien würde das Operationsprofil der USA offenlegen, das ist so etwas wie der Heilige Gral jedes Geheimdienstes«, wird dort ein Insider zitiert.
Streit in der Koalition ist Merkel spätestens seit der schwarz-gelben Vorgängerregierung gewohnt. Allerdings drohte durch diese Konflikte weder eine Staatskrise, noch verlor Merkel dabei an Popularität. Das könnte im Fall der Geheimdienstaffäre anders enden. Merkels Lage ist prekär, verweigert sie dem Parlament die Offenlegung der Liste, würde sie damit ihr eigenes Aufklärungsversprechen konterkarieren. Legt sie die Liste gegen den Willen der US-Regierung vor, würde sie das Verhältnis zu den USA belasten. Der Präsident des BND, Gerhard Schindler, Hans-Georg Maaßen vom Verfassungsschutz und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnten bereits, die USA könnten gemeinsame Projekte wie die Überwachung von Rückkehrern aus Syrien einstellen. De Maizière steht derzeit allerdings selbst unter Druck. Der BND ist dem Kanzleramt unterstellt, 2008 war de Maizière Kanzleramtsminister. Weitere Unannehmlichkeiten drohen ihm auch wegen eines weiteren Skandals aus seiner Amtszeit als Verteidigungsminister. Vor zwei Wochen wurde öffentlich, dass Beamte der Rüstungsabteilung des Ministeriums im Jahr 2013 auf eine Initiative von Heckler &  Koch hin mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) gegen Journalisten vorgehen wollten, die kritisch über das bei der Bundeswehr eingesetzte Gewehr G36 des Rüstungskonzerns berichteten. Der damalige Präsident des MAD, Ulrich Birkenheier, lehnte das Ansinnen ab. »Das ist ein versuchter Angriff auf die Pressefreiheit«, sagte die Verteidigungsexpertin der Grünen, Agnieszka Brugger. Ihre Partei fordert nun einen Untersuchungsausschuss. Am Freitag sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, seine Fraktion werde die Forderung unterstützen.

Am Mittwoch voriger Woche musste de Maizère vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium aussagen. Es ging um die Informationen, die das Kanzleramt 2008 vom BND über rechtswidrige Spähattacken der NSA erhalten hatte. Ein weiteres Thema war, dass de Maizière am 14. April dieses Jahres durch sein Ministerium auf eine Anfrage der Linkspartei mitteilen ließ, »es habe keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage der NSA«. Das Kanzleramt wurde nach offizieller Darstellung am 12. März vom BND umfänglich über die NSA-Suchbegriffe informiert. Aus den Unterlagen, die dem NSA-Untersuchungsausschuss vorliegen, geht jedoch hervor, dass es vom BND schon in den Jahren 2008 und 2010 über rechtwidrige Spähattacken informiert wurde. De Maizière stellte sich am Mittwoch auch Fragen der Presse. Dort sagte er, er habe 2008 nichts »von Suchbegriffen der US-Seite, von Selektoren und Ähnlichem oder von Wirtschaftspionage« gewusst. Die Frage, wann er von den Listen mit Suchbegriffen, die die NSA dem BND übersandte, denn dann erstmals gehört habe, beantwortete er allerdings nicht. Der Innenminister verabschiedete sich mit dem Fazit: »Von den gegen mich erhobenen Vorwürfen bleibt nichts übrig.« Der Innenexperte der Grünen, Konstantin von Notz, kommentierte, dass sich de Maizière nach einer geheimen Sitzung selbst freispreche, sei ein »Treppenwitz«. Nach Informationen von Spiegel Online schilderte Schindler, der Präsident des BND, am selben Tag vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium, seine Behörde könne technisch nicht mehr nachvollziehen, welche Abhördaten aus der BND-Fernmeldeaufklärung an die NSA weitergegeben wurden. Offenbar liegen keinerlei Protokolle der Datenweitergabe vor. Bisher hat der BND nur Auskunft darüber gegeben, nach was die NSA über Jahre in seinen Datenbanken gesucht hat. Ungeklärt bleibt, was die NSA vom BND geliefert bekam.

Die Woche der Aufklärung, die Merkel angekündigte hatte, begann nicht gut. Und sie endete für die Kanzlerin in einem Desaster. Am Samstag veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen internen E-Mail-Verkehr aus dem Jahr 2013 zwischen Merkels außenpolitischem Berater, Christoph Heusgen, und Karen Donfried, die zum Beraterkreis des US-Präsidenten Barack Obama gehört, in dem über das sogenannte No-Spy-Abkommen verhandelt wird. Die Korrespondenz beginnt 2013 während des Bundestagswahlkampfs in Deutschland, bei dem der von Edward Snowden enthüllte NSA-Skandal zum bestimmenden Thema hätte werden können. Am 12. August verkündete der damalige Kanzleramtsminister ­Ronald Pofalla (CDU): »Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten.« Angesichts dessen, dass einer Delegation der Bundesrepublik, die eine Woche zuvor in die USA gereist war, lediglich die Gründung einer Arbeitsgruppe angeboten wurde, war das eine optimistische Interpretation. Im veröffentlichten E-Mail-Verkehr zwischen Heusgen und Donfried findet sich keine Zusage für ein solches Abkommen. Im Wahlkampf wiederholte Merkel stetig, die US-Amerikaner hätten sich auf deutschem Boden an deutsches Recht zu halten. Die CDU gewann die Wahl, das No-Spy-Abkommen wurde Teil ihres Koalitionsvertrags mit der SPD. Im Januar 2014 teilte Donfried Merkels Berater mit, »dies wird kein No-Spy-Abkommen werden, und ich glaube, jeder hier auf unserer Seite hat das auch fortwährend die ganze Zeit klar zum Ausdruck gebracht«. Die SPD hat also gute Gründe, bereits jetzt in den Wahlkampfmodus umzuschalten.