Kiez me, sugar!

Nie hat das Wort »Kiez« viel bedeutet, meist war es nur eine irgendwie slangige Variante von »Viertel«. Aber der Bedeutungsverlust, den es in den vergangenen Jahren erlebt hat, stimmt schon recht heiter: Zuerst waren da clevere Makler, denen es gelang, von der Stadtplanung komplett aufgegebene Architekturmüllhalden als »Kiezflair« zu vergolden. Dann gab es eine regelrechte Kiezinflation, fast jeder größere Block war plötzlich einer. Seither wird das Wort einfach nur als Synonym für »Straße« gebraucht. So unterscheiden Hobbyurbanisten etwa den oberen Graefekiez vom unteren Graefekiez, und es wird nicht lang dauern, bis sich auch einzelne Graefe-Hausnummern zu Kiezen verwandeln, mit eigenen Stadtteil- beziehungsweise Hausnummernfesten, auf dass das ewige Remmidemmi, das Juchhei um Bratwurscht, Bier und Minimalpatriotismus nur niemals ende. Mit dem »Kiezmenü«, das ausgewählte McDonald’s-Filialen jetzt anbieten, dürfte das Wort ins Endstadium kompletter Bedeutungslosigkeit getreten sein. Das Versprechen des Schnellrestaurants, überall auf der Welt das gleiche Produkt zu gleichen Konditionen anzubieten, wird um einen völlig abstrakten Regionalaspekt erweitert: Der Hamburger mag der gleiche sein; es ist doch aber etwas völlig anderes, ihn in Charlottenburg oder in Kreuzberg zu verzehren! Und nicht einmal optisch schließt die Kampagne an Wiedererkennbares an; die Plastikburger leuchten vor dem immergleichen Anthrazit des Food-Marketings. Der einzig regionale Aspekt ist tatsächlich das Wort »Kiez«, allerdings schwindet auch dessen landsmannschaftliche Färbung vor dem Hintergrund eines total berlinisierten Lebensgefühls in den deutschen Großstädten. Dem Stadtmarketing gefällt’s halt gar zu gut, aus der jeweils neuesten Brachfläche einen Kiez herauszukitzeln.