Das Gedenken an die Opfer des NSU

Dr’ NSU kütt

Dass die deutsche »Erinnerungskultur« auch karnevaleske Züge annehmen kann, hat die Stadt Köln während des Gedenkens an das Attentat des NSU in der Keupstraße gezeigt. Ein weiterer Anschlag des NSU in der Stadt wirft immer noch Fragen auf.

In welcher Form soll man der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gedenken? Die Stadt Köln fand eine besondere Antwort auf diese Frage: Mit einer Mischung aus Straßenparty, Karneval und launigem Sommerfest gedachten Zehntausende Menschen über das Pfingstwochenende der Opfer des Nagelbombenanschlags in Köln vor zehn Jahren. Am 9. Juni 2004 hatte eine Explosion die Kölner Keupstraße erschüttert, glühend heiße Nägel waren durch die belebte Geschäftsstraße geschossen und hatten 22 Personen zum Teil schwer verletzt. An dieses schreckliche Geschehen und die vorschnelle, nicht zutreffende Verdächtigung junger Migranten – nur einen Tag nach dem Anschlag hatte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einen rechtsextremen Hintergrund ausgeschlossen – sollte an diesen Tagen erinnert werden. Doch was als Akt der Solidarität gedacht war, endete in einer Wohlfühlveranstaltung. Keiner der damals verantwortlichen Politiker und ermittelnden Polizeibeamten war vor Ort.

Unmittelbar nach dem wetterbedingten Abbruch der Großveranstaltung am Pfingstmontag waren aus dem Publikum Rufe nach einer Zugabe zu vernehmen, schließlich waren einige prominente Musiker noch nicht aufgetreten. »Birlikte«, auf Deutsch »zusammenstehen«, so der Name des »Kunst- und Kulturfestes«, ist für die Organisatoren auch wegen der vielen Zuschauer ein voller Erfolg. Ob genauso viele Schaulustige und Interessierte gekommen wären, wenn kein Prominenter auf der Bühne seine musikalischen Hits zum Besten gegeben hätte, ist fraglich. Vielleicht fiel deshalb die Entscheidung für eine öffentlichkeitswirksame Großveranstaltung mit den üblichen Verdächtigen wie Bundespräsident Joachim Gauck, Udo Lindenberg, Sandra Maischberger und als Kölner Lokalkolorit die Bläck Fööss und BAP.
Beim Schaulaufen der Prominenten wurden die erwartbaren Phrasen geäußert. Bundespräsident Gauck war selbstverständlich begeistert vom »Zusammenstehen der vielen«. Der Rapper Eko Fresh freute sich, dass »alle Nationalitäten und alle Religionen zusammen« feierten. Man solle sich doch »von ›denen‹ heute nicht ärgern« lassen. Damit der gemeinsame Spaß nicht zu kurz kam, war auch die Kabarettistin Carolin Kebekus dabei. Lukas Podolski grüßt »Birlikte« aus Brasilien: »Wir hier beim DFB stärken euch den Rücken.« Noch in der Vorbereitung zur Fußball-WM hatte der DFB allerdings ein antifaschistisches Banner im Hamburger Millerntor-Stadion entfernen lassen, das angeblich beim Training gestört hatte. Ein weiteres absurdes Detail: Die Medienpartner von »Birlikte« wie Gruner + Jahr, die Funke-Mediengruppe und der WDR hatten allesamt jahrelang unhinterfragt von den sogenannten »Dönermorden« berichtet.

Von diesen ist mittlerweile zwar nicht mehr die Rede, doch große Fragen tun sich weiterhin auf. Im NSU-Prozess sagte Anfang Juni ein aus dem Iran stammender ehemaliger Kölner Lebensmittelhändler aus. Sein Geschäft war von außen nicht als Firma eines Migranten zu erkennen. Dennoch explodierte im Januar 2001 in seinem Laden in der Probsteigasse eine Bombe des NSU. Der Sprengsatz war in einer Christstollendose in einem Präsentkorb versteckt, den ein Unbekannter wenige Tage vor Weihnachten zurückgelassen hatte. Der Täter war nach Aussage des ehemaligen Ladeninhabers mit der Begründung verschwunden, er habe sein Portemonnaie vergessen und wolle es nur rasch holen. Nachdem der Kunde nicht wiedergekommen war, deponierte der Betreiber des Ladens den Korb in einem Lagerraum.
Dort öffnete die Tochter des Iraners am 19. Januar 2001 die Blechdose. Mehr als ein Kilogramm Schwarzpulver explodierte, eine Stichflamme schoss hoch, die Druckwelle verwüstete den Raum. Die Tochter erlitt schwerste Verbrennungen und Schnittwunden. »Ihre Haare waren verbrannt, ihre Augen geschlossen. Mit Hilfe meiner Frau habe ich sie aufgehoben und hinausgetragen«, berichtete der Vater vor Gericht. Mit einem Hubschrauber brachte man sie in eine Spezialklinik, wo ihre schweren Verbrennungen behandelt wurden.
Der Vater beschreibt den Täter als Mann mit welligen Haaren, die beide Ohren bedeckten. Die von der Polizei unmittelbar nach dem Anschlag nach seinen Angaben angefertigten Phantombilder hätten »von vorn bis hinten« keine Ähnlichkeit mit dem Unbekannten, sagte er vor Gericht aus. Weshalb die Zeichnungen keinerlei Ähnlichkeit aufweisen, konnte selbst durch das intensive Nachfragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl nicht geklärt werden. Zwar bekennt sich der NSU in seinem Video zu dem Anschlag, ebenso wie zu dem Nagelbombenattentat in der Keupstraße. Doch für Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl steht fest, dass weder Uwe Mundlos noch Uwe Böhnhardt der Mann mit dem Präsentkorb gewesen sein könne, da keinerlei Ähnlichkeit vorliege. Dass sich die Terrorzelle in ihrem Bekennervideo der Tat rühmt, stellt für Stahl keinen Beweis dar. Aus Sicht des Anwalts ist damit auch der Vorwurf der Bundesanwaltschaft entkräftet, Zschäpe sei bei dem Bombenanschlag in der Probsteigasse und weiteren Verbrechen des NSU Mittäterin gewesen.
Trotz der immensen Schäden wollte der Mann aus dem Iran zunächst das Lebensmittelgeschäft weiter betreiben. Doch seiner Frau war dies nicht mehr möglich. Weder den Laden noch die nähere Umgebung wollte sie jemals wieder betreten. Immer noch macht sich die Mutter schwere Vorwürfe, den Korb nicht gleich der Polizei übergeben zu haben. »Herzlichen Glückwunsch«, bemerkte sie in Richtung der Angeklagten. »Man hat jede Lebensfreude von uns weggenommen.« Darüber hinaus sei ihre wirtschaftliche Existenz vollständig zerstört worden. »Nach der Explosion ist der Laden kaputt gegangen, ich hatte keine weitere Arbeit mehr«, berichtete der Vater vor Gericht. Der 62jährige Mann ist seit 2001 ohne Arbeit. Trotzdem könne er »von Glück sagen«, dass die Explosion am Morgen vor der Öffnung des Geschäfts geschah, bevor wie üblich Schulkinder zum Einkaufen kamen. Und er fügte hinzu: »Ich bin, in Anführungszeichen, sehr froh, dass dieser Schaden nicht andere, unbeteiligte Menschen getroffen hat, sondern nur uns.«

Vielleicht wird im Jahr 2021 in der Kölner Probsteigasse ein Straßenfest gefeiert, zum 20. Jahrestag des Anschlags. Das Finanzierungsmodell könnten sich die Organisatoren bei »Birlikte«, der »Party gegen den Terror« (Stern Online), abschauen. Engagierte Bürger konnten die Veranstaltung in der Keupstraße per SMS finanziell unterstützen. Die unzähligen Sponsoren der Feier wie Daimler, Ford, Porsche, Brainpool TV, die Deutsche Post AG, die Sparkasse Köln-Bonn und der Verlag Bastei-Lübbe waren offenbar nicht in der Lage, die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.