Deutschland und die Sanktionen gegen Russland

Sanktionen, die nicht weh tun sollen

In Deutschland warnen Vertreter der Wirtschaft aus Sorge um ihren Profit vor Sanktionen gegen Russland. Die Bundesregierung fürchtet angesichts der Abhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen aus Russland vor allem die energiepolitischen Konsequenzen.

Nach der Sezession der Krim und deren Beitritt zur Russischen Föderation hatte der Westen unisono harte Sanktionen angekündigt. »Solange Russland auf diesem dunklen Pfad fortschreitet«, drohte im März etwa der US-amerikanische Vizepräsident Joe Biden nach Rücksprache mit Vertretern der Partner von Nato und EU, »wird es mit zunehmender politischer und ökonomischer Isolation bestraft«. Ende März hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich gemacht, es werde zu Wirtschaftssanktionen kommen, sollten »die Dinge im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine weiter eskalieren«.
Viel zu spüren bekommen hat Russland davon aber bislang nicht. Vor allem in der EU schreckt man offensichtlich noch vor den Konsequenzen von Sanktionen zurück. Trotz des Säbelrasselns einiger bekannter Politiker und manchen Vergleichs zwischen Putin und Hitler haben die von der EU verhängten Strafmaßnahmen gegen die Auslandsvermögen russischer Verantwortlicher bisher jenseits von Symbolik anscheinend keine Folgen gehabt.
Das deutsche Außenministerium hatte vor zwei Wochen bestätigt, dass keine einzige Sperrung eines russischen Kontos in Deutschland stattgefunden hat. Keine der 33 Personen aus Russland und der Ukraine, deren Konten die EU im März gesperrt hat, habe Geld in Deutschland angelegt, hieß es dazu. Ähnlich soll es auch in den anderen EU-Staaten aussehen. Auch die vagen Beschlüsse der EU-Eußenminister zu weiteren Kontensperrungen, die diese bei ihrem Treffen in der vorigen Woche in Luxemburg wegen Russlands Unterstützung ostukrainischer Separatisten beschlossen hatten, werden daran kaum etwas ändern.

Ganz besonders froh darüber sind die Vertreter der deutschen Wirtschaft. Unmittelbar nach dem Abschluss der Verhandlungen über die Kontensperrungen hatte bereits der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, vor einer »Sanktionsspirale« gewarnt, die »wie ein Bumerang den deutschen Mittelstand treffen« würde. Da die Mehrzahl der etwa 6 200 in Russland tätigen deutschen Unternehmen kleine und mittelgroße Betriebe seien, stünden »Investitionen von Mittelständlern im jeweils einstelligen Millionenbereich« durch mögliche Enteignungen als Gegenmaßnahmen der russischen Regierung zur Disposition, wie ihm Andreas Knaul, Leiter der Niederlassung in Russland der Beratungsfirma Rödl & Partner, beipflichtete. »Das ist nichts, was die Investitionsfreude stärkt«, sagte Knaul der Nachrichtenagentur Reuters.
Insgesamt sollen deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren nach Angaben des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft etwa 20 Milliarden Euro in Russland direkt investiert und dort im vorigen Jahr 76,5 Milliarden Euro umgesetzt haben. Es sind allerdings nicht nur mittelständische Unternehmen, die in Russland tätig sind. Einer Analyse der Münchner Unternehmensberatung EAC International Consulting zufolge haben allein die 30 Dax-Konzerne in Russland rund 22 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet und beschäftigen dort fast 46 000 Mitarbeiter. In den vergangenen beiden Jahren habe das Wachstum 21 beziehungsweise 20 Prozent betragen, heißt es in der Studie. Damit sei Russland für viele deutsche Konzerne »einer der wichtigsten strategischen Wachstumsmärkte«.
Dass einer der größten Fürsprecher Wladimir Putins in den vergangenen Wochen Joe Kaeser, der Vorstandsvorsitzende von Siemens, war, hat Gründe. Siemens hat bereits 800 Millionen Euro in Russland investiert und erwirtschaftet derzeit immerhin zwei Prozent des Gesamtumsatzes dort. 2011 hatte der Münchner Konzern ein Joint Venture mit der russischen Sinara Group gegründet, in das über eine Milliarde Euro in die Herstellung von Eisenbahnen und die Energieversorgung investiert werden sollen. Symbolträchtig war Kaeser Ende März zu Putin gereist und hatte die »vertrauensvolle Zusammenarbeit« auch in schweren Zeiten gerühmt.

Selbstverständlich steht Siemens nicht alleine da. Unterstützung hat Kaeser beispielsweise vom Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, erfahren. Zwar macht die Bahn derzeit lediglich einen Umsatz von 250 Millionen Euro in Russland, was im Vergleich zum Konzernumsatz eine bescheidene Summe ist, allerdings kündigte Grube an, demnächst ebenfalls einen Unterstützungsbesuch bei Putin zu machen und weitere »Partnerschaften mit viel Kraft und Energie« aufzubauen.
Auch Adidas und Thyssen-Krupp kündigten an, zukünftig noch stärker in Russland tätig zu werden. Etwas weiter ist man da schon bei Volkswagen in Wolfsburg, fast vier Prozent seiner Autoverkäufe tätigt der Konzern in Russland, in das Werk in Kaluga sind bereits 1,3 Milliarden Euro investiert worden. Die gleiche Summe soll noch einmal für Modernisierungen und den Ausbau der Kapazitäten angebracht werden.
Mit Blick auf die Bundesregierung hatte Martin Winterkorn, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, beim Münchener Management Kolloquium im März sichtlich genervt darauf hingewiesen, dass ihn »dieses momentane Riesengewitter sehr stark« störe, und vor einem »Wirtschaftskrieg« gewarnt.
Auf den Punkt bringt Eckhard Cordes, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, die Haltung, die von einem Großteil der deutschen Industrie vertreten wird. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung hatte er sich bereits Ende März vehement gegen Wirtschaftssanktionen gegen Russland ausgesprochen: »Niemand will sie, sie wären eine Belastung für die gesamte europäische Wirtschaft. Deutschland wä­re betroffen, weil wir innerhalb der EU den intensivsten Handel mit Russland haben.« In Deutschland gehe es um 350 000 Arbeitsplätze, die vom Handel mit Russland abhingen. »Diese engen Wirtschaftsverbindungen haben in den vergangenen Jahrzehnten bereits eine Reihe von Krisen überstanden und sind auch jetzt wieder ein wichtiges stabilisierendes Element unserer Beziehungen, das wir nicht in Frage stellen sollten«, sagte Cordes. Ähnlich sieht das auch der Dachverband des deutschen Außenhandels BGA. In einer Presseerklärung, die vorige Woche veröffentlicht wurde, warnt der Verband vor weiteren Sanktionen, diese seien »Gift für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen«.

Aber nicht nur mögliche Handelseinbußen bereiten hierzulande Sorgen. Vor allem die Abhängigkeit von russischen Energieträgern hat die Diskussionen um den Umgang mit Russlands Machtpolitik neu entfacht. Etwa 35 Prozent aller Öl- und 30 Prozent aller Gasimporte in Europa stammen aus Russland. Für Deutschland ist die Bedeutung sogar noch größer. So machen russische Lie­ferungen derzeit 38 Prozent der Erdgas-, knapp 35 Prozent der Rohöl- und 27 Prozent der Steinkohleneinfuhren aus.
Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hatte schon sehr früh auf dieses Problem hingewiesen. »Wir können uns eine Sanktionspolitik gar nicht leisten, weil wir im Zuge der Energiewende zunehmend auf russische Gaslieferungen angewiesen sind«, warnte der Ökonom Anfang März in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse. Diese Einschätzung wird unter anderem von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geteilt, der immer wieder auf die langfristige Bedeutung Russlands für die deutsche Energieversorgung hingewiesen hat.
Zwar werden vor allem von Politikern der Grünen und Teilen der Unionsparteien immer wieder Einwände gegen die Infragestellung der antirussischen Stoßrichtung formuliert, die im Zuge der Unterstützung des Umsturzes in der Ukraine vorherrschte, aber mittlerweile kann man den Eindruck gewinnen, diese Haltung habe immer weniger Einfluss. So ist die Kritik der Bundesvorsitzenden der Grünen, Simone Peter, am Verkauf der RWE-Tochtergesellschaft Dea an eine Investorengruppe um den russischen Milliardär Michail Fridman und den Ankauf des größten deutschen Erdgasspeichers durch Gazprom ebenso folgenlos geblieben wie die Initiativen einiger Unionspolitiker um den Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Bundestags, Peter Ramsauer (CSU), zur Genehmigung des Frackings in Deutschland, um die Bundesrepublik von Energieimporten unabhängiger zu machen.
Das zuletzt immer häufiger geäußerte Verständnis für die Politik Russlands, beispielsweise von den beiden Altkanzlern der SPD, Gerhard Schröder und Helmut Schmidt, scheint den wirtschaftspolitischen Interessen Deutschlands eher zu entsprechen als die aggressivere atlantische Haltung. »Russland war und ist stets ein zuverlässiger Lieferant«, so bringt es Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf den Punkt. Da ist es dann zu einer ebensolchen Partnerschaft auch nicht weit.