Ivo Bozic ist für den Bundeswahlleiter ein »sehr spezieller« EU-Bürger

Herkunftsmitgliedstaat Deutschland

In Deutschland geborene Bürger der Europäischen Union müssen bürokratische Hürden überwinden, um an der Europawahl teilnehmen zu können.
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Bei der Europawahl dürfen EU-Bürger entweder in dem Land, in dem sie leben, oder in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, abstimmen. Theoretisch. Praktisch ist das gar nicht so einfach, zumindest wenn man in Deutschland geboren ist, jedoch keinen deutschen Pass besitzt. Das Formular, mit dem man die Eintragung in das hiesige Wählerverzeichnis beantragen soll, können solche Unionsbürger gar nicht korrekt ausfüllen. Bei Punkt 7 des Antrags heißt es: »Vor meinem Fortzug war ich zuletzt im Herkunftsmitgliedstaat im (Wähler-)Verzeichnis folgender Gebietskörperschaft (Gemeinde/Stadt)/folgenden Wahlkreises eingetragen … Und bin fortgezogen am (Datum der Abmeldung)...« Abgesehen davon, dass schon die Formulierung »Herkunftsmitgliedstaat« realitätsfern suggeriert, als Ausländer müsse man ja wohl irgendwoher gekommen sein, stellt sich die praktische Frage: Wie füllt man das Formular aus, wenn man zeitlebens in Deutschland gelebt hat?
Einfach die Frage 7 auszulassen oder durchzustreichen, ist nicht erlaubt. Genau das habe ich, der ich direkt betroffen bin, vor 20 Jahren gemacht, als der Antrag schon genauso formuliert war. Ich bekam einen bösen Brief vom Wahlamt meines Stadtbezirks, in dem man mich aufforderte, den »letzten Aufenthaltsort in Ihrem Herkunftsland anzugeben, in dem Sie melderechtlich zuletzt erfasst waren«, andernfalls würde ich mich strafbar machen. Denn diese Erklärung sei immerhin eine eidesstattliche. Den betreffenden Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch schrieb man drohend dazu und schob noch eine persönliche Vorladung hinterher: »Wir übersenden Ihnen ein neues Antragsformular mit der Bitte, dies vollständig ausgefüllt persönlich bei uns im Wahlamt abzugeben. Bitte bringen Sie dazu Ihren Reisepass mit.«

Ich schrieb damals, mit jugendlichem Elan, einen wütenden Brief zurück, in dem ich mich über die »rassistische Schikane« beschwerte und erklärte, weshalb ich den entsprechenden Punkt nicht sinnvoll ausfüllen könne. Außerdem: »Wieso soll ich persönlich bei Ihnen vorbeikommen? Das muss doch keiner. Und weshalb sollte ich Ihnen meinen Pass vorbeibringen? Das sieht das Verfahren für die Teilnahme von Unionsbürgern an den Europawahlen überhaupt nicht vor.« In der Antwort des Wahlamtes war dann von einer Vorladung auch nicht mehr die Rede: » … teilen wir Ihnen mit, dass Ihrem Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis nicht entnommen werden konnte, ob Sie in einem Wählerverzeichnis des Staates, dessen Staatsangehörigkeit Sie besitzen, eingetragen waren. Die Angabe des Geburtsortes, auch wenn in Deutschland, schließt nicht ein, dass Sie bis zum heutigen Tag ununterbrochen auch in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben und gemeldet waren. Dies ergibt sich erst jetzt aus Ihrem erklärenden Schreiben. Den von Ihnen erhobenen Vorwurf einer ›rassistischen Schikane‹ weisen wir mit Nachdruck zurück.«
20 Jahre später hat sich nichts geändert. Aus irgendeinem Grund sollte ich mich erneut für das Wählerverzeichnis für die diesjährige Europawahl registrieren lassen. Ich schrieb an das Wahlamt: »Sie haben mir mitgeteilt, ich könne an der Europawahl teilnehmen ›entweder in Ihrem Herkunfts-Mitgliedstaat oder in Ihrem Wohnsitz-Mitgliedstaat Deutschland‹. Nun ist aber mein Herkunftsmitgliedstaat Deutschland, weil ich hier geboren bin, und auch mein Wohnsitzmitgliedstaat ist schon immer Deutschland.« Ich berichtete dann von meiner Erfahrung von 1994. »Da ich nicht Gefahr laufen möchte, mich durch eine falsche Angabe strafbar zu machen, mich aber gleichzeitig nicht in der Lage sehe, den Punkt 7 im Formular irgendwie sinnvoll auszufüllen, wende ich mich hiermit an Sie, um Sie zu bitten, mir mitzuteilen, welche Angabe Sie dort erwarten.« Kurz darauf kam die Antwort: »Wenn Sie bisher in den Herkunftsländern nicht im Wählerverzeichnis eingetragen waren, teilen Sie dies bitte schriftlich – mit dem Antrag – mit.« Auf meine Nachfrage, was genau ich unter »schriftlich – mit dem Antrag« zu verstehen habe, erklärte man mir, ich solle einfach ein formloses Schreiben beilegen. Doch wie viele Unionsbürger, die diesen Antrag vor sich liegen haben, kommen auf diese Idee, wie viele begeben sich in eine mühsame Korrespondenz mit dem Wahlamt, bis sie diesen Ratschlag erhalten? Und wie viele knüllen den unverständlichen Antrag zusammen und schmeißen ihn einfach weg?

Beim Bundeswahlleiter erhält man folgende Auskunft: »Wenn in Ihrem Fall Ihr ständiger Wohnort seit Geburt in Deutschland ist, ist das ein sehr spezieller Fall und der Hinweis des Bezirkswahlamtes auf eine Ergänzung des Antrages zu diesem besonderen Sachverhalt ist korrekt.« Dass Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Deutschland geboren werden und einfach hier wohnen bleiben, soll also ein »sehr spezieller Fall« beziehungsweise ein »besonderer Sachverhalt« sein? Schauen wir auf die Zahlen: Von 7 633 628 Ausländern insgesamt sind 1 230 800 in Deutschland geboren, das sind immerhin 16,2 Prozent. Bei EU-Bürgern ergibt sich folgendes Bild: Von den 3 366 504 Unionsbürgern in Deutschland sind 462 779 auch in Deutschland geboren (13,7 Prozent), wahlberechtigt von diesen sind 329 427. Sie alle mussten zumindest einmal in ihrem Leben diesen nicht korrekt auszufüllenden Antrag ausfüllen. Sie alle riskierten dabei, eine falsche eidesstattliche Erklärung abzugeben. Wie viele daran gescheitert sind beziehungsweise jetzt gerade daran scheitern (bis zum 4. Mai muss der Antrag eingereicht werden), darüber liegen keine Zahlen vor.
Beim Bundeswahlleiter hat die Nachfrage offenbar zu Diskussionen geführt, berichtete eine Mitarbeiterin der Jungle World. Sie habe noch einmal mit ihren Kollegen gesprochen, und man sei zu der Ansicht gekommen, dass das Kästchen in dem Formular groß genug sei, um handschriftlich so etwas hineinzuschreiben wie »Ich habe immer in Deutschland gelebt«. Vielleicht, gab sie zu, sollte man doch zumindest das beiliegende Merkblatt entsprechend anpassen. Für diese Europawahl kommt das allerdings zu spät.