Wirbelstürme und der Klimawandel

Stürmische Forschung

Wegen des Klimawandels ist eine Zunahme starker tropischer Wirbelstürme wahrscheinlich. Da es an Messdaten mangelt, lässt sich aber nicht beweisen, dass es schon jetzt mehr Superstürme gibt.

Naderev »Yeb« Saño kämpfte mit den Tränen, als er die Zerstörung seiner Heimatstadt durch den Taifun Haiyan beschrieb. Noch hatte er von vielen seiner Familienangehörigen aus dem Katastrophengebiet keine Nachricht (Jungle World 47/2013). Saño, Leiter der philippinischen Delegation auf der UN-Klimakonferenz in Warschau, forderte in seiner Rede dramatische Schritte, damit solche »Super-Taifune« in Zukunft nicht zum Alltag gehören. Am Schluss seiner Rede kündigte er an, so lange nichts zu essen, bis sich ein sinnvolles Ergebnis der Konferenz abzeichnet. Ein persönlicher und dramatischer Appell zum Auftakt der Klimakonferenz, keine wissenschaftliche Analyse. Aber Saño berief sich auf Forschungsergebnisse: »Die Wissenschaft sagt uns schlicht: Der Klimawandel bedeutet mehr starke tropische Stürme.«
Saño brachte damit tatsächlich die Forschungsergebnisse auf den Punkt: Mit den steigenden Temperaturen werden sich häufiger besonders starke tropische Wirbelstürme entwickeln. Da­rüber hinaus verstärkt die Erderwärmung durch zwei Faktoren die Wirkung der Stürme. Erstens lässt der steigende Meeresspiegel auch die Sturmfluten, die mit den Stürmen einhergehen, höher werden. Zweitens kann die wärmere Luft mehr Wasser tragen. Das führt zu größeren Regenmengen. Diese Effekte seien jetzt schon spürbar, sagt zum Beispiel der Direktor der World Meteorological Organisation (WMO), Michel Jarraud: »Auch wenn kein einzelner tropischer Wirbelsturm direkt auf den Klimawandel zurückgeführt werden kann: Der höhere Meeresspiegel macht schon jetzt die Bevölkerung an der Küste anfälliger für Sturmfluten.« Und der Meeresspiegel ist an der philippinischen Küste besonders stark gestiegen. Lag der durchschnittliche weltweite Anstieg des Meeresspiegels der WMO zufolge zwischen 1950 und 2010 bei zehn Zentimetern, so betrug er in der Region der Philippinen mehr als das Dreifache, nämlich 35 Zentimeter.
Zurück zum Taifun: Die Entstehung eines solchen tropischen Wirbelsturms ist ein komplizierter Prozess, der nicht bis ins Detail geklärt ist. Aber das Prinzip ist einfach: Die Taifune, Hurrikane und Zyklone – wie tropische Wirbelstürme je nach Region genannt werden – beziehen ihre Zerstörungskraft aus der im warmen Wasser ge­speicherten Energie. Mit den Temperaturen steigt auch die Energiemenge, die den Stürmen zur Verfügung steht. Nach ersten Analysen bewegte sich auch Haiyan über Wasserschichten, die noch in 100 Meter Tiefe ungewöhnlich warm waren.

Trotzdem gibt es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Temperatur und Intensität der Stürme. So muss nicht nur das Wasser warm, sondern auch die Luft in der oberen Troposphäre, also in etwa zehn Kilometern Höhe, möglichst kalt sein. Die Forschung geht aber davon aus, dass auch diese entscheidende Temperaturdifferenz zunimmt. Unter anderem weil die Abnahme der Ozonschicht zu kühleren Temperaturen in diesen Höhen führt.
Außerdem wird der Wirbelsturm besonders stark, wenn ihn keine anderen Winde, sogenannte Scherwinde, stören. Einige Studien deuten darauf hin, dass sich die Scherwinde durch den Klimawandel verstärken und es dadurch vielleicht sogar zu weniger tropischen Wirbelstürmen kommt. Die stärksten Wirbelstürme, die wie Haiyan von keinen Scherwinden abgeschwächt werden, hätten trotzdem ein größeres Zerstörungspotential. In einer im Juni veröffentlichten Studie errechnet allerdings Kerry Emanuel, Spezialist für tropische Wirbelstürme am Massachusetts Institute of Technology, mit den neuesten Klimamodellen, dass auch die Anzahl der Stürme insgesamt mit den steigenden Temperaturen zunehmen wird. Das Ergebnis fast aller Modellrechnungen ist jedenfalls, dass es mehr Stürme der obersten Kategorien 4 und 5 geben wird.
Umstrittener ist schon, wie die Daten aus den vergangenen Jahrzehnten interpretiert werden. Das Problem dabei: Verlässliche Daten gibt es erst seit Beginn der Satellitenmessungen, und auch nicht für alle Regionen. Eine Analyse der Daten von 1981 bis 2006 zeigt aber für den Atlantik, wo es die besten durchgehenden Messungen gibt, eine Zunahme der Stürme mit den höchsten Wind­geschwindigkeiten. Für andere Regionen sind die Daten lückenhaft und weniger eindeutig. Deshalb bewertet der Weltklimarat, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), in seinem jüngsten Bericht auch die Aussagen über einen Zusammenhang zwischen einer Zunahme stärkerer tropischer Stürme und dem Klimawandel als wenig belastbar (»low confidence«). Die vorsichtige Beurteilung heißt aber nicht, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in eine andere Richtung weisen. Sie bedeutet nur, dass es hier, anders als beim menschengemachten Klimawandel insgesamt oder dem Meeresspiegelanstieg, nicht genug verlässliche Daten gibt, um einen wissenschaftlichen Nachweis zu führen. Der Grund: Starke tropische Wirbelstürme sind seltene und unregelmäßig auftretende Ereignisse und werden erst seit kurzer Zeit weltweit systematisch beobachtet.
Für seine Beurteilung hat der Weltklimarat die Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre ausgewertet. Es gibt allerdings neuere Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass bereits jetzt eine signifikante Zunahme starker Stürme auch in anderen Regionen als dem Atlantik beobachtet werden kann. Und eine Modellrechnung von Greg Holland und Cindy L. Bruyère vom US-amerikanischen National Center for Atmospheric Research, veröffentlicht im Februar, kann diese Zunahme stärkerer, bei gleichzeitiger Abnahme schwächerer Stürme, mit dem Einfluss der menschengemachten Klimafaktoren erklären.

Grob gesprochen: Die Forschung sagt voraus, dass es mehr Stürme wie Haiyan geben wird, wenn weiter ungebremst CO2 in die Atmosphäre geblasen wird. Anders als bei den zunehmenden Hitzewellen und dem steigenden Meeresspiegel kann man diesen Trend noch nicht zuverlässig beobachten. Trotzdem spricht einiges dafür, dass diese Zunahme schon jetzt zu spüren ist. Das heißt nicht, dass Haiyan selbst ein Ergebnis des Klimawandels ist. Den Nachweis zu führen, dass ein einzelner Sturm mit dem menschengemachten Klimawandel zusammenhängt, ist unmöglich.
Zu grob gesprochen? Gibt es da nicht andere Meinungen? Die gibt es, aber meistens geht es dabei nicht um die wissenschaftliche Basis der Aussagen. Zum Beispiel nimmt Alex Bojanowski, der Klimaredakteur bei Spiegel Online, Saños Rede zum Anlass, sich die Frage zu stellen: »Deutet der fatale Taifun also auf den menschengemachten Klimawandel?« Und antwortet: »Statistiken zeigen einen anderen Zusammenhang: Vor allem die Bauweise von Häusern, Deichen und Siedlungen entscheidet darüber, wie viele Menschen durch einen Sturm verletzt werden. So sind seit 1900 in den USA immer weniger Leute bei Hurrikanen ums Leben gekommen.«
Da hat er sicher Recht. Aber wo ist der Widerspruch? Auch Saño wies in seiner Rede auf den Zusammenhang zwischen Armut und Verwundbarkeit bei extremen Wetterereignissen hin. Er forderte ja gerade, den armen Staaten endlich das schon versprochene Geld für die Anpassung an den Klimawandel zur Verfügung zu stellen und einen Fonds für die Opfer von extremen Wetterereignissen einzurichten. Trotzdem benutzt Bojanowski hier einen Trick, um die Aussagen Saños als nicht wissenschaftlich fundiert zu diskreditieren. Er widerlegt eine Behauptung, die niemand aufgestellt hat: Der einzelne Taifun sei ein Indiz für den Klimawandel. Bojanowski formuliert dabei noch vorsichtig und erwähnt später im Artikel auch die erwartete Zunahme extremer Stürme.

Notorische Abwiegler wie Ulrich Kulke, der für Die Welt schreibt, sehen sich dagegen von der Behauptung, »Haiyan sei menschengemacht«, geradezu umzingelt, und haben es dann leicht, diese zu widerlegen. Auf huffingtonpost.de versucht es Dominik Jung, Diplom-Meteorologe bei wetter.net, mit demselben Trick. Er behauptet, für – namentlich nicht genannte – »Klimaexperten« sei dieses Ereignis »ein gefundenes Fressen, um wieder mächtig auf die Werbetrommel ›böser Klimawandel‹ zu hauen, dabei kann nicht ein einziger dieser Damen und Herren nachweisen, dass es ähnliche Stürme nicht schon vor etlichen 100 Jahren gegeben hat, geschweige denn, dass dieser Sturm im Zusammenhang mit einer vom Menschen gemachten Klimaveränderung steht«.
In der Tat kann niemand nachweisen, dass dieser eine Sturm durch die vom Menschen gemachte Klimaveränderung hervorgerufen wurde. Wer das erwartet, hat die Klimaforschung grundlegend missverstanden oder will sie nicht verstehen. Einen strengen Nachweis zu führen, ist erst möglich, wenn es zu spät ist. Als wissenschaftlich nachgewiesen – »virtually certain«, die höchste Sicherheitsstufe des IPCC – gilt die Erwärmung selbst. Und vielleicht können wir in 100 Jahren, wenn die Datenreihen lang genug sind, auch feststellen: Ja, Haiyan war einer der ersten in einer Reihe von Superstürmen, die es ohne den ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen nicht gegeben hätte. Aber wer will wirklich auf diesen Nachweis warten?