Die Kritik am Göttinger Polizeipräsidenten

Mehr als nur ein Polizeipräsident

Der Göttinger Polizeipräsident wird wegen seiner Amtsführung erneut kritisiert. Initiativen und Parteien fordern seine Absetzung.

»Der Konflikt zwischen Polizeipräsident Robert Kruse und zahlreichen eher linken politischen Gruppen spitzt sich zu«, titelte das Göttinger Tageblatt kürzlich. Anlass war ein offener Brief der Anti-Atomkraft-Initiative an den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD), in dem die Organisation die Absetzung des Göttinger Polizeipräsidenten fordert. Auf einer kleinen Demons­tration Anfang Juni wurde dieser Forderung Nachdruck verliehen, die mittlerweile von weiteren Gruppen unterstützt wird, darunter dem Asta der Universität Göttingen, der Grünen Jugend, dem Landesverband der Piratenpartei sowie dem Kreisverband der Linkspartei.
Dass »eher linke politische Gruppen« ohnehin nicht gut auf die Polizei zu sprechen sind, ist nichts Neues. Polizeipräsident Kruse, der seit 2010 im Amt ist, hat sich aber auch über linke Kreise hinaus unbeliebt gemacht. Insbesondere die zum Teil im Nachhinein als rechtswidrig eingestuften Ermittlungen in Folge einer Verpuffung in der Ausländerbehörde vor drei Jahren (Jungle World 34 / 10) sowie sein hartes Vorgehen gegen linke Proteste haben ihm viel Kritik eingebracht.

Grund für den jüngsten Unmut ist die regionale Statistik zu »politisch motivierter Kriminalität« (PMK), die Anfang Mai veröffentlicht wurde. Darin werden die Bürgerproteste gegen das AKW Grohnde als »Schwerpunkt linker Straftaten« genannt sowie die fortwährende Bedeutung Göttingens als »regionaler Brennpunkt« links motivierter Kriminalität betont. Allein 17 der 96 dort erfassten »Delikte« stünden in Zusammenhang mit einer Veranstaltung an der Universität Göttingen im Januar 2012, wie Kruse bei der Vorstellung der Zahlen hervorhob. Der Polizeipräsident selbst referierte damals gemeinsam mit dem damaligen niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann (CDU) auf Einladung des CDU-Hochschulverbands RCDS zur Frage: »Wie sicher ist Göttingen?« Die Veranstaltung wurde von lautstarken Protesten und Blockadeversuchen begleitet, die anwesende Polizei antwortete mit Faustschlägen und Festnahmen.
Sowohl der Göttinger Stadtrat als auch der Kreistag verurteilten im Anschluss den rabiaten Polizeieinsatz. Die sieben Anzeigen gegen Polizisten wegen Körperverletzung wurden eingestellt, da die Täter angeblich nicht identifiziert werden konnten. In der Wahrnehmung des Polizeipräsidenten ist dies ein Beleg dafür, dass der Einsatz »rechtmäßig und geboten« sowie »hinsichtlich der Intensität und der Anzahl der Adressaten erforderlich und angemessen« gewesen sei. Die 17 Strafverfahren gegen Protestierende hingegen sollen als Beleg für linke Gewalt gelten, obwohl nur zwei davon zu Verurteilungen führten. Der grüne Kreistagsabgeordnete Norbert Hasselmann kritisierte die Statistik, da die Göttinger Polizei »Bürgerinnen und Bürger zu politischen GewalttäterInnen stempelt, indem sie deren politisch motiviertes vorgebliches Strafverhalten erst selbst produziert und provoziert«. Von einer »Verdächtigenstatistik« und erneuter »Stimmungsmache gegen linkes Engagement« ist seitdem die Rede.
Sein Handwerk hat Kruse bereits bei seinem vorherigen Arbeitgeber gelernt. Bevor er nach Göttingen kam, war er Vizepräsident des niedersächsischen Landesverfassungsschutzes, davor leitete er die Abteilung »Staatsschutz« beim Landeskriminalamt. Sein Amtsvorgänger bei der Göttinger Polizei, Hans-Werner Wargel, ist nun Präsident des Landesverfassungsschutzes. Vergangenes Jahr bekam das Antiextremismusduo Unterstützung durch die Stationierung einer Beweis­sicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) in Göttingen, die zukünftig verhindern soll, »dass radikale Gruppen politische Kundgebungen als Arena für Straftaten nutzen«, wie Schünemann bei der Einführung betonte. Einer ihrer ersten Einsätze fand anlässlich der Veranstaltung an der Universität Göttingen statt. Der politische Nutzen von »Kruses Zahlenspielen«, wie das Online-Stadtmagazin Monsters of Göttingen die Statistik nannte, wird hier deutlich: Um die Notwendigkeit einer eigenen BFE als auch die Überwachung und Kriminalisierung linker Gruppen und Proteste rechtfertigen zu können, muss die Gefahr von links immer wieder aufs Neue beschworen werden. Damit scheitert die Göttinger Polizei aber selbst vor Gericht regelmäßig. So zuletzt im August vergangenen Jahres, als sie die Einordnung eines Studenten als Gewalttäter mit Wiederholungsgefahr mit seiner »besonderen Wohnsituation sowie der Bewohnerstruktur« in einem linken Hausprojekt begründete. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg lehnte diese vermeintliche Beweisführung als bloße Behauptung ab.

Ganz im Sinne seiner vorherigen Tätigkeit beim Verfassungsschutz begreift Kruse auch sein Amt als Leiter der Göttinger Polizei offenbar als politisches Mandat. Mehrfach beteiligte er sich per Pressemitteilung an öffentlichen Debatten. Einem Redakteur des Göttinger Tageblatts, der kritisch über die Arbeit der Polizei berichtet hatte, warf er »tiefe Wissenslücken« und »abstoßenden Zynismus« vor. »Vertrauen Sie nicht immer nur den Mediendarstellungen!« riet er an anderer Stelle der Bevölkerung. Auch auf die Forderung nach seiner Absetzung antwortete der Polizeipräsident nun mit einer Pressemitteilung. Er gehe davon aus, dass die Kritik »auf Missverständnissen über die Erfassungssystematik und die Pflichten der Polizei« beruhe, und sei gerne bereit, mit den Kritikern zu reden, so Kruse. Offenbar sieht sich der Polizeipräsident als gleichberechtigte Stimme in der politischen Diskussion in Göttingen und vergisst darüber, was seine eigentliche Aufgabe ist: den Verkehr regeln und tatsächlich begangene Verbrechen aufklären zu lassen.
Die nun lauter werdende Forderung nach seiner Absetzung könnte möglicherweise Erfolg haben. Nach dem Regierungswechsel in Niedersachsen entließ SPD-Innenminister Pistorius im April bereits drei Polizeipräsidenten – in Osnabrück, Oldenburg und Hannover – wegen fehlender »politischer Übereinstimmung«. Göttingen wurde damals verschont, was die örtliche SPD als »Chance« für Kruse bezeichnet hatte. Man erwarte jedoch, so der SPD-Stadtverbandsvorsitzende Horst Reinert damals, »dass er jetzt offen auf alle zugeht, die er bisher mit aller Härte bekämpft hat«. Noch ist nicht klar, ob Kruse die Bewährungsprobe besteht, die ihm die Göttinger SPD gewährt hat.