Weshalb Savages die Band der Stunde ist

Die Macht der Marke

Die Sachverständigen der Popkultur sind sich einig: Savages ist die Band der Stunde. Wieso aber kommt der Sound der vier Londonerinnen derart gut an?

Die Popkulturindustrie basiert zu einem großen Teil auf dem Prinzip des Hypes. Savages versetzen zurzeit, wie kaum eine andere Band der vergangenen Jahre, die schreibende Zunft von Visions bis New York Times in einen Zustand aufgeregt-abgeklärter Verzückung. Kaum verwunderlich, man könnte sogar sagen folgerichtig, denn Savages sind eine Konzeptband – am Reißbrett entworfen, um genau denjenigen zu gefallen, die derzeit die Popkulturspalten der Feuilletons dominieren.
In seiner Spex-Titelstory schreibt Torsten Groß, das Haus von Sängerin Jehnny Beth und ihrem Lebenspartner Johnny Hostile, der auch »Silence Yourself«, das erste Album der Band, mitproduziert hat, sei »vollgestopft mit genau den richtigen Büchern und Platten«. Groß weiß, wovon er spricht. Viele Redaktionen werden heute von Journalisten bevölkert, deren Jugend wohl durch die erklärten Vorbilder der Savages geprägt war: Bauhaus, Joy Division, Einstürzende Neubauten. Den gegenwärtigen Exponenten des Popjournalismus stellen sich Savages so als späte Möglichkeit dar, sich zumindest im Rückblick einer wild erscheinenden Jugend zu versichern. Für die etwas Jüngeren symbolisiert die Band das unglücklicherweise knapp Verpasste.
Im deutschsprachigen Raum markierte Jürgen Teipels Buch »Verschwende deine Jugend« 2001 den Beginn einer Achtziger-Nostalgie, an die auch Savages mit ihrer Ästhetik anknüpfen. Seit rund zehn Jahren revivalt alles, was mal Punk war, daraus geworden ist und für gewöhnlich unter dem Label Post-Punk zusammengefasst wird. Gun Club, Throbbing Gristle, Killing Joke – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. So ziemlich jede halbwegs relevante Band der späten siebziger, frühen achtziger Jahre konnte ein weiteres Mal entdeckt und zum Heiligtum verklärt werden.
Die Generation der Babyboomer macht damit genau das, was ihre Vorgänger in den Achtzigern mit Rock’n’Roll gemacht haben. Sie feiert die Musik ihrer Jugend und lässt sie bei jeder Gelegenheit auferstehen. Die einen ließen Michael J. Fox in »Back to the Future« ihre kollektiven Erinnerungen einer wilden Rock’n’Roll-Jugend bereisen. Anton Corbijn hingegen – übrigens drei Jahre älter als Torsten Groß – setzte 2007 Joy Division mit »Control« ein filmisches Denkmal und bescherte der Band ein eigenes Schallplattenfach bei Media Markt.
Savages wissen die Klaviatur allgemeiner Achtziger-Sehnsucht besser zu spielen als jede andere Band zurzeit. Wie schon The XX zitieren sie nicht nur mit ihrem schlichten, schwarzen Kleidungsstil das negative Grundgefühl jener Jahre, in denen ein Atomkrieg als realistisches Szenario dargestellt wurde. Sie beziehen sich ebenso bewusst wie offen auf Dagewesenes, machen es jedoch für die Gegenwart fruchtbar und erschaffen etwas, das es in der mythisch verklärten Vergangenheit nicht gegeben hätte.
Der zunächst nahe liegende Vergleich von »Silence Yourself« mit dem, was in den achtziger Jahren Post-Punk oder No Wave war – mit Gang Of Four etwa oder der »New York Noise«-Reihe auf Soul Jazz –, stellt sich bei genauerer Betrachtung als falsch heraus. Denn Savages unterscheiden sich vom Gestus des historischen Post-Punk durch die ungebrochene Bejahung von Rock und nennen immer wieder Queens Of The Stone Age als wichtigen Einfluss. Johnny Hostile behauptet gar, Motörhead und Converge seien maßgeblich für die Produktion ihres Albums gewesen. Tatsächlich sind die Live-Auftritte der vier Musikerinnen schweißtriefend. Songs wie »Hit Me« könnten auf White Lungs aktuelles Album »Sorry« passen, die Gitarre bei »Husbands« trägt Züge dessen, was East Bay Ray bei den Dead Kennedys gemacht hat.
Die Band macht keinen Hehl aus ihrer bewussten Inszenierung. Auf dem Albumcover prangt ein lyrisches Manifest, bei Presseterminen gibt man sich gerne launisch. Und natürlich heißt Jehnny Beth auch gar nicht wirklich Jehnny Beth. Ihr bürgerlicher Name ist Camille Bethomier, und bevor sie mit Johnny Hostile, der eigentlich Nicolas Congé heißt, das Indiepop-Duo John & Jehn mitsamt dem Label Pop Noire gründete, hat sie in Poitiers Schauspiel studiert. Während John & Jehn über britische Bühnen zogen, wurde mit Tourgitarristin Gemma Thompson der Plan für Savages ausgeheckt und schließlich mit Bassistin Ayse Hassan und Schlagzeugerin Fay Milton umgesetzt.
Müssen Savages dafür gelobt werden, dass sie ihre Imagepflege thematisieren? Ist der Widerwillen, sich auf die Marketingmaschinerie der Musikindustrie einzulassen, Journalisten also die Arbeit zu erschweren, nur ein weiterer Bestandteil der Marke? Sympathisch ist jedenfalls, dass Savages versuchen, ein hohes Maß an Kontrolle über ihre Arbeit und ihre Außenwahrnehmung zu behalten.
Von ihrem ersten Management hat sich die Band im vergangenen Jahr einfach getrennt. Savages sollten damals wie jede andere Indie-Band behandelt werden, bei einem »richtigen« Label unterschreiben und mit einem »richtigen« Produzenten ins Studio gehen. Die Band suchte sich daraufhin ein neues Management, nahm das Album mit ihrem eigenen Produzenten auf und ließ das Label Matador »Silence Yourself« lediglich unter Lizenz veröffentlichen. Dass die Band dennoch im Mittelpunkt der popkulturellen Öffentlichkeit steht, spricht dafür, dass ihre Entscheidung, kommerziell betrachtet, die richtige war.
Die wohldosierte Verweigerung gegenüber der Industrie, mag sie auch planvoll sein, lässt die Herzen all derer höher schlagen, die im Geiste des D.I.Y. von Punk und Post-Punk aufgewachsen sind. Dabei stehen Savages stinkenden AZ-Kellern und kopierten Fanzines nicht näher als andere Bands ihres Genres. Das Quartett hat es lediglich verstanden, sich eine Nische innerhalb der Popwelt zu suchen. Ob der Charme dieses zielgruppengerecht zurechtgestutzten, mit den richtigen Retro-Fragmenten versehenen Konsens-Indies über mehr als eine Albumlänge unwiderstehlich bleibt, wird sich noch zeigen müssen. Zumindest für einen Sommer jedoch sollte der Hype ganz vorzüglich funktionieren.

Savages: Silence Yourself. Matador/Beggars Group (Indigo)