Proteste der Fast-Food-Arbeiter in New York

Die Revolte der McJobber

Die Beschäftigten von US-amerikanischen Fast-Food- und Handelsketten streiken für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Ein Bericht aus New York City.

Auf den Straßen von New York City sind meistens zwei Typen von Fahrradfahrern unterwegs: die coolen jungen Leute, die High-Tech-Räder fahren und professionelle Kleidung und Taschen tragen, und die Latinos, die Pizza und anderes Fast Food nach Hause liefern. Für die Ersteren ist Fahrradfahren ein Statussymbol, für die Letzteren eine Notwendigkeit. Nicht nur weil eine Lieferung mit dem Auto in Manhattan Stunden dauern würde. Viele Latinos benutzen hier das Fahrrad auch, weil ihnen die Preise des öffentlichen Nahverkehrs zu hoch sind.
Auch die rund 20 Angestellte der kleinen Fast-Food-Kette »Hot & Crusty « bewegen sich hauptsächlich mit dem Fahrrad, beruflich und privat. Sie gehören zu den vielen lateinamerikanischen Migranten, die sich glücklich schätzen können, weil sie einen Job haben, auch wenn sie nicht genug zum Leben verdienen. »Ich habe zehn Jahre für dieses Unternehmen gearbeitet. Am Anfang habe ich rund 300 Dollar die Woche verdient, zuletzt waren es 320«, sagt Antonio, der im vergangenen Herbst mit weiteren Kollegen in der wohlhabenden Upper East Side Manhattans einen erfolgreichen Protest gegen die Ausbeutungspolitik der Fast-Food-Kette organisierte. Erfolgreich, weil die migrantischen Arbeiter es geschafft haben, eine eigene Gewerkschaft zu gründen, die Hot & Crusty Workers Association (HCWA).
»Ich habe in zehn Jahren nie einen bezahlten Urlaubs- oder Krankheitstag gehabt«, fährt Antonio fort, »schlecht behandelt haben sie uns auch immer. Darum habe ich mich am Protest beteiligt. Es war nicht einfach. Nach der Schließung bekamen wir monatelang kein Gehalt.« Mit seinen Kollegen stellte Antonio vor dem Schaufenster des seit Ende August geschlossenen Ladens einen kleinen Tisch auf und begann, Flugblätter über die Arbeitsbedingungen und die Notwendigkeit einer Gewerkschaft für Arbeiter in der Fast-Food-Branche zu verteilen. Er stammt aus dem mexikanischen Bundesstaat Guerrero und ist ausgewandert, »weil es dort wirklich keine Arbeit gibt. Den Job bei Hot & Crusty fand ich ziemlich schnell, nachdem ich in New York angekommen war, es war nicht schwer.«
Mit weiteren 22 Beschäftigten hat Antonio mehr als ein Jahr um das Recht gekämpft, sich gewerkschaftlich zu organisieren: »Es war sehr hart, aber am Ende haben wir es geschafft.«

Ihre Geschichte fängt lange vor dem 31. August 2012 an, dem Tag, als die Arbeiter vor dem geschlossenen Restaurant zwischen der 63. und der 2nd Avenue standen, unter anderem mit Mahoma, dem Anführer des Protests. Hot & Crusty beschäftigt fast ausschließlich migrantisches, meist aus Lateinamerika stammendes Personal. Überstunden werden nicht bezahlt, manchmal werden die Löhne nicht vollständig ausgezahlt, die Fahrräder, mit denen das Essen geliefert wird, müssen auf Kosten der Arbeiter repariert werden und Krankheit wie Urlaub werden nicht bezahlt. Die Arbeiter, die diese Situation nicht mehr hinnehmen wollten, nahmen Kontakt mit so genannten community organizers auf, die versuchen, Arbeiter dort zu erreichen, wo die traditionellen Gewerkschaften nicht eingreifen können oder wollen.
Virgilio Aran ist ein solcher organizer. »Es ist schwer, die Arbeiterinnen und Arbeiter in diesen Unternehmen zu erreichen, sie sind so gut wie unsichtbar«, sagt er. »Für eine große Organisation würde sich die ganze Mühe nicht lohnen«, gibt er lächelnd zu. Aran ist der Leiter des Laundry Workers Center (LWC), einer kleinen, radikalen Gruppe, die versucht, die Beschäftigten an den am wenigsten geschützten Arbeitsorten zu organisieren.
Wie der Name verrät, war die Gruppe ursprünglich entstanden, um Rechte für die Beschäftigten der großen industriellen Wäschereien sowie der unzähligen Waschsalons von New York City zu fordern, wo die fast ausschließlich migrantischen Arbeiterinnen und Arbeiter für wenige Dollar pro Stunde Wäsche zusammenfalten, die Waschmaschinen warten und die Räume putzen. Mit der Zeit begann das LWC, sich auch mit anderen Formen der unterbezahlten Arbeit zu beschäftigen, an denen es in New York City nicht fehlt. Und so kamen auch die rechtlosen Beschäftigten von Hot & Crusty zu ihnen.
»Wir hatten uns bereits an das New York State Department of Labor gewandt«, erzählt Mahoma, der korpulente Anführer des Protests, der lieber auf Spanisch spricht. »Aber die haben uns dort mehr oder weniger ignoriert, wir waren eben keine Gewerkschaft, sondern einfache Beschäftigte.« Beim LWC fanden sie zunächst die Möglichkeit, sich über ihre Rechte zu informieren, ihre Forderungen an die Unternehmer zu stellen und rechtliche Unterstützung zu suchen. Es klingt nach einer Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, aber das ist die Realität der Arbeit in einer modernen Metropole, in der billige und erpressbare, weil migrantische Arbeitskraft im Dienstleistungsbereich leicht zu finden und zu ersetzen ist.
Das Büro des LWC in New York befindet sich im Gebäude der fast zwei Millionen Mitglieder zählenden Dienstleistungsgewerkschaft Service Employees International Union (Seiu), die in den neunziger Jahren Jahren erfolgreiche Kampagnen wie »Justice for Janitors« (Gerechtigkeit für Hausmeister) organisiert hat.
»Die Beschäftigten wurden bei Hot & Crusty beschimpft und gedemütigt«, berichtet Aran, »sie erzählten oft davon, wie ihre Vorgesetzten damit gedroht hatten, die Immigrationspolizei zu holen und sie abschieben zu lassen. Dabei hatten sie alle einen legalen Aufenthaltsstatus.«
Das ist eher eine Ausnahme. Oft sind papierlose Migranten beschäftigt, die nicht in der Position sind, Forderungen irgendwelcher Art zu stellen, um ihre Lage zu verbessern. »Wir versuchen, ihnen die Instrumente zu geben, um sich zu wehren«, fährt Aran fort. Das Hauptinstrument ist dabei das Wissen: »Wir erklären ihnen etwa, dass die Arbeits- und die Immigrationsgesetzgebung verschiedene Anwendungsbereiche haben, das heißt: Wenn du Arbeit hast, kannst du Rechte fordern, unabhängig von deinem legalen Status.«
In der Zeit, in der die Beschäftigten von Hot & Crusty dabei waren, sich gewerkschaftlich zu organisieren, habe das Management sogar »persönliche Berater« zu den einzelnen Arbeitern geschickt, um sie mit falschen Informationen zu verwirren und einzuschüchtern. Nach vielen Vorbereitungstreffen, bei denen Forderungen nach Lohnerhöhungen formuliert wurden, gab es eine Versammlung, in der beschlossen wurde, sich als Gewerkschaft anzumelden.
Das Gesetz sieht in solchen Fällen vor, dass das Unternehmen die Arbeitervertreter akzeptiert und mit ihnen verhandelt. »Also sind wir mit unseren Anwälten zum Management gegangen«, fährt Mahoma fort, »als Antwort bekamen wir einen Brief, in dem uns die Schließung des Ladens innerhalb von zehn Tagen mitgeteilt wurde.« Viele Chancen, den Protest fortzusetzen, sah die kleine, wenn auch kämpferische Gruppe nach dieser Ankündigung nicht. Auch die soziale Isolation war ein großes Problem für die Arbeiter, die nicht in einer Community wohnen und daher kaum Möglichkeiten haben, sich mit anderen in einer ähnlichen Situation auszutauschen, geschweige denn Solidarität zu organisieren. »In meinem Kiez kenne ich niemanden und rede ich mit niemandem«, sagt Antonio.

Die Beschäftigten, die jetzt eine Gewerkschaft hatten, aber keinen Job mehr, besetzten am 31. August, dem Tag der angekündigten Schließung, das Lokal. Sie wurden von amerikanischen Aktivisten der »Occupy«-Bewegung unterstützt, die sich festnehmen ließen, als die Polizei kam. Danach begannen die Mexikaner mit ihrem Streikposten vor dem geschlossenen Laden. »Viele Leute sind vorbeigekommen, um Solidarität zu zeigen«, erzählt Antonio. Das überrascht nicht: Im Upper East Side leben viele wohlhabende bis sehr reiche Leute, die sich als liberal verstehen und für jede Gelegenheit, ihr Herz für Arme zu zeigen, dankbar sind. Die streikenden Latinos, die in den Herbstmonaten viele Tage auf dem Bürgersteig vor dem geschlossenen Fast-Food-Restaurant verbrachten, wurden auch von verschiedenen Gewerkschaften und den kleinen linken Parteien in ihrer Kampagne unterstützt. Die Medien berichteten darüber, die Resonanz war für die Protestierenden überraschend.
Gleichzeitig mussten sie sich aber schnell darum kümmern, einen neuen Job zu finden. Oder, wie Marcelino, der Jüngste der Gruppe, auf Plan B zurückgreifen: »Ich werde wohl wieder nach Mexiko-Stadt zurückgehen. Ich mag es hier in New York, aber unter diesen Bedingungen kann ich nicht bleiben«, hatte er gesagt, als es noch überhaupt nicht klar war, wie sich die Lage entwickeln würde. Denn die Besitzer von Hot & Crusty, Paul Pappas und Evangelos Gavalas, waren verschwunden. Nicht zuletzt aufgrund des schlechten Images, das die streikenden Arbeiter durch ihren Protest erzeugt hatten.
Im Dezember hieß es dann, der Laden sei verkauft worden. Die Arbeiter wussten zunächst nicht, ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht war, aber nun, mit einer Gewerkschaft, waren sie in der Lage, bei den neuen Besitzern Forderungen zu stellen. Nach langen Verhandlungen und weiteren Streiktagen akzeptierte das neue Management schließlich die Gewerkschaft: Die Arbeiter müssen jetzt nicht mehr auf ihren Lohn verzichten, wenn sie krank sind, sie können Urlaub nehmen und sind gewerkschaftlich organisiert. Seit Ende Dezember ist der Laden wieder geöffnet.

In New York City gibt es viele Fälle wie diesen: unterbezahlte migrantische Arbeiter, die so gut wie keine Rechte haben. Die Reform des Immigrationsgesetzes, die derzeit im Kongress diskutiert wird, ist nicht nur wichtig, um den rund elf Millionen sogenannten Illegalen ein Leben in den USA zu ermöglichen, sondern auch für bestimmte Bereiche des US-amerikanischen Arbeitsmarktes, weshalb nicht nur Gewerkschaften, sondern auch viele Unternehmer eine Reform begrüßen würden.
Schlecht bezahlt wird nicht nur die Arbeit von Migranten in den Restaurants oder auf den Baustellen der Großstädte. Überall in den USA gibt es Millionen von working poor, die, wie die Beschäftigten von Hot & Crusty, schon dafür kämpfen müssen, sich gewerkschaftlich organisieren und Forderungen nach einem ausreichenden Lohn und besseren Arbeitsbedingungen überhaupt stellen zu dürfen. Vor allem in den großen Handels- und Restaurantketten ist die Situation schlimm.
Der Großkonzern Wal-Mart ist mit 1 400 000 Beschäftigten in den USA der größte private Arbeitgeber des Landes und mit 2 200 000 der größte weltweit. Die Waren werden fast ausschließlich im Ausland produziert und meist zu sehr niederigen Preisen verkauft. Lebensmittel kosten dort etwa zwischen acht und 27 Prozent weniger als in anderen Supermärkten. Bei Wal-Mart, das 2012 in der Liste »Fortune Global 500« als Unternehmen mit dem drittgrößten Umsatz weltweit – nach Shell und Exxon – verzeichnet wurde, findet man alles: Lebensmittel, Kleidung, Haushalts- und Elektrogeräte, sogar Benzin – vor jeder Filiale befindet sich eine Tankstelle.
In den billigen Produktionsstätten in China, Bangladesh, Indien und anderen Ländern herrschen sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen, und für die Fabriken in den USA gilt die Maxime: billig produzieren, ansonsten wird in China gekauft. Während immer mehr Fabriken in den USA dicht machen, sterben Menschen in den Ländern, in denen billig produziert wird. Wie zuletzt bei Tazreen Fashion Unlimited, als am 24. November vergangenen Jahres 112 Personen, die meisten von ihnen Frauen, bei einem Fabrikbrand in Dhaka starben, 200 weitere wurden verletzt. Nach der Tragödie beeilten sich einige Großkonzerne – unter anderem C & A, Carrefour und Ikea –, eine Zusammenarbeit mit Tuba-Group, dem Lieferanten, zu dem Tazreen Fashion gehörte, zu dementieren. Auch Wal-Mart hatte laut Konzernleitung die Geschäfte mit der Fabrik zum Zeitpunkt des Brandes »bereits eingestellt«. Für welche Konzerne die 112 Opfer Kleidung genäht hatten, bleibt also unklar. Sicher ist, dass die billigen Kleidungsstücke in den großen US-amerikanischen und europäischen Handelsketten weiterhin nicht fehlen werden.

Die Migranten und US-Amerikaner, die bei Wal-Mart, McDonald’s, Kentucky Fried Chicken (KFC), Burger King, Wendy’s oder Domino’s Pizza arbeiten, riskieren zwar nicht täglich ihr Leben, aber wenn sie nicht genug Überstunden zusammenbekommen, wird es für sie in den meisten Fällen schwierig, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gerade in den Großstädten, in denen die Lebenshaltungskosten steigen und immer mehr Leute im Niederiglohnsektor arbeiten, wächst daher der Protest der Arbeiter der Fast-Food- und Handelsketten.
Ende vergangenen Jahres haben rund 1 000 Beschäftigte von Wal-Mart gegen ihre Arbeitsbedingungen protestiert, insgesamt 28 Filialen in zwölf Bundesstaaten wurden bestreikt – zum ersten Mal seit der Gründung des Unternehmens 1962.
Ähnlich wie bei Wal-Mart sieht es bei McDonald’s und Yum! aus – der Gruppe, zu der Pizza Hut, Taco Bell und KFC gehören. In New York protestierten in November und Dezember Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter für höhere Lohne, Arbeitsverträge mit Sozialversicherung und das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die Aktionen der McJobber, wie sie hier genannt werden, waren ein Novum in dieser extrem deregulierten Branche.
Wie im Fall des im Vergleich mit den großen Konzernen winzig kleinen Hot & Crusty erfolgt die Organisierung der Fast-Food-Beschäftigten weniger durch die traditionelle Gewerkschaft, sondern vielmehr durch sogenannte community groups.
Eine wichtige Rolle in New York spielt etwa New York Communities for Change (NYCC). Die Organisation hat zwölf Büros in NYC, aber keines in Manhattan, wo es sehr viele Fast-Food-Restaurants gibt, bei denen der Stundenlohn etwa 9,80 Dollar beträgt. Das ist zwar mehr als der gesetzlich bundesweit festgelegte Mindestlohn von 7,25 Dollar, allerdings nicht genug zum Leben in dieser Stadt. Vor allem, wenn man nicht full time arbeitet. Die NYCC hat ihre organizers losgeschickt, um mit den Beschäftigten über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu reden, sie haben mit ihnen Versammlungen organisiert, die Erhöhung des Stundenlohns auf 15 Dollar und die Anerkennung des Fast Food Workers Committee gefordert, das als unabhängige, nicht offiziell als Gewerkschaft eingetragene Organisation der Beschäftigten von keinem Unternehmern anerkannt wird.
Die community groups unterscheiden sich von den traditionellen Gewerkschaften unter anderem darin, dass sie sich nicht nur auf den Arbeitsplatz konzentrieren. Sie setzen sich etwa für bezahlbare Mieten ein, für eine bessere Lebensqualität der Menschen auch außerhalb ihres Arbeitsalltags und für soziale Gerechtigkeit allgemein.
Die Streiks bei Wal-Mart und den Fast-Food-Ketten in New York waren wichtig, weil sie die Belange und Forderungen einer bisher ignorierten Gruppe von Arbeiterinnen und Arbeitern auf die politische Tagesordnung gesetzt haben. Es war das erste Mal in der »Fast Food Nation«, wo die McJobber längst nicht mehr Studenten oder Teenager sind. Dem Bureau of Labor Statistics zufolge liegt das Durchschnittsalter der Fast-Food-Arbeiter bundesweit zwischen 28 und 32 Jahren, zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen.
Allein in New York ist die Zahl der Jobs in der Fast-Food-Branche seit 2000 um 55 Prozent gestiegen. Gleichzeitig gehört die US-amerikanische Fast-Food-Industrie zu den Branchen, die offenbar nicht von der Krise betroffen sind: Bei Yum! sind die Profite in den vergangenen vier Jahren um 45 Prozent, bei McDonald’s sogar um 130 Prozent gestiegen.

Übersetzung: Federica Matteoni