Über Gewerkschaften und Diktatoren

Antiimperialistische Ahnungslosigkeit

Die internationale Gewerkschaftsbewegung beschäftigt sich bisher wenig mit Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea. Einige Gewerkschaften laden sogar Vertreter diktatorischer Regimes zu ihren Veranstaltungen ein.
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Die Woche vor dem 1. Mai wird jedes Jahr weltweit als »Nordkorea-Friedenswoche« begangen, obwohl man das innerhalb der Arbeiterbewegung kaum bemerken würde. Gewerkschaften in ganz Europa rühmen sich ihrer Solidaritätskampagnen für Arbeiterinnen und Arbeiter in Palästina, Kolumbien, Venezuela und Kuba, aber unterstützen nie öffentlich die Arbeiterinnen und Arbeiter in Nordkorea, einem Land, das eigentlich ein riesiges Gefängnis ist.
Die International Trade Union Confederation (ITUC) veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht über Verstöße gegen gewerkschaftliche Rechte auf der ganzen Welt. Zu jedem Land gibt es eine Überblicksdarstellung, einige Worte zur rechtlichen Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter und eine Seite über die Verletzungen dieser Rechte. Zu einem Land wie Israel veröffentlicht die ITUC eine lange Liste von Rechtsverletzungen, aber die Seite über Nordkorea ist leer.

Einer Standardformel für jedes Land folgend, hat die ITUC folgendes zu Nordkorea zu sagen: »Morde: keine gemeldet. Versuchte Morde: keine gemeldet. Bedrohungen: keine gemeldet. Verletzungen: keine gemeldet. Verhaftungen: keine gemeldet. Inhaftierungen: keine gemeldet. Entlassungen: keine gemeldet.«
Eine der Institutionen, die Gewerkschaften auf globaler Ebene nutzen können, um Verletzungen gewerkschaftlicher Rechte zu bekämpfen, ist die International Labour Organization (ILO), eine Organisation der Vereinten Nationen. Die ILO hat ein Komitee zur Organisationsfreiheit, das Berichte über Verstöße anhört. In seinem jüngsten Bericht erwähnt das Komitee »Korea« ganze 38 Mal. Aber jedes Mal geht es um Südkorea.
Noch schlimmer, einige Gewerkschaften begrüßen sogar Vertreterinnen und Vertreter der staatlich kontrollierten nordkoreanischen Gewerkschaften als Ehrengäste auf ihren Konferenzen. Kürzlich luden einige größere südafrikanische Gewerkschaften die kaum noch bestehende World Federation of Trade Unions (WFTU) ein, um ein Treffen abzuhalten, das in den Medien große Beachtung fand. Das mag eine Folge der Enttäuschung über die ITUC gewesen sein, die weiterhin den israelischen Gewerkschaftsbund Histadrut unterstützt, obwohl südafrikanische Gewerkschaften dagegen opponieren.

Während des Kalten Kriegs war die WFTU ein Hort stalinistischer Gewerkschaften, aber in den vergangenen Jahren entwickelte sie sich mehr zu einem Gastgeber für Diktaturen wie das libysche und das syrische Regime. Spitzenvertreter nordkoreanischer Staatsgewerkschaften sprachen auf Veranstaltungen der WFTU und auf südafrikanischen Gewerkschaftskongressen. Es gab keine Berichte darüber, dass sie ausgepfiffen oder wieder ausgeladen wurden. Eine dieser südafrikanischen Gewerkschaften, die Nehawu, eine Gewerkschaft für öffentlich Beschäftigte, nennt »internationale Solidarität« als eines ihrer Grundprinzipien. Dennoch werden Vertreterinnen und Vertreter des nordkoreanischen Regimes eingeladen, um auf ihren Kongressen zu sprechen.
Ein Grund für die fehlende Beachtung von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea mag sein, dass nur wenige Informationen aus dem Land durchsickern. Doch Nachrichten über Nordkorea zu finden, ist es keineswegs unmöglich. Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch stellen zahlreiche Informa­tionen bereit und Labour Start hat vor kurzem eine Nachrichtenseite ins Netz gestellt, die Berichte über Arbeiterinnen und Arbeiter in Nordkorea sammelt. Es gibt also keinen Grund für Gewerkschaften, Ahnungslosigkeit vorzutäuschen, etwa hinsichtlich der Entscheidung des nordkoreanischen Regimes, billige Arbeitskräfte nach China zu exportieren, oder über das Netz der Arbeitslager, in denen schätzungsweise 200 000 Menschen leben. Aber wenn es nicht fehlende Informationen sind, was hindert die Gewerkschaften dann daran, sich mit der Lage in Nordkorea auseinanderzusetzen?