Die EZB und die deutschen Interessen

Man hört deutsch

Dass der neue Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank kein Deutscher sein wird, gilt als Rückschlag für die Bundesregierung. Doch die deutschen Interessen werden damit keinesfalls durchkreuzt.

Fast niemand hatte damit gerechnet, dass der zurückhaltende Belgier Peter Praet neuer Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) werden würde. Zu aussichtsreich schien der deutsche Kandidat Jörg Asmussen oder der französische Bewerber Benoît Coeuré. Beide hatten bei der Anhörung für das Amt im Oktober die jeweilige Linie ihrer Regierung vertreten: Coeuré sprach sich für weitere Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB aus, was der frühere Finanzstaatssekretär Asmussen auf jeden Fall vermeiden will. Praet präsentierte sich hingegen wie eine Symbiose der beiden Kontrahenten: Bislang hat er sich zwar nicht explizit gegen die Ankäufe von wertlosen Staatsanleihen ausgesprochen, er sieht diese Praxis aber durchaus skeptisch. Selbst seine Biographie scheint wie ein Kompromiss: Als Kind eines belgischen Militärarztes und einer deutschen Mutter wuchs er nach dem ZweitenWeltkrieg in der Nähe von Köln auf und kam später auf eine belgische Schule, in der nur auf Französisch unterrichtet wurde.
Womöglich wäre das EZB-Direktorium dennoch der Tradition gefolgt, einen Deutschen auf den Posten zu wählen, hätte die Bank nicht mit dem Italiener Mario Draghi bereits einen Präsidenten, der so deutsch wirkt, als hätte ihn der Vorstand der Bundesbank selbst aufgezogen. Vor allem aber scheint es einen Sinneswandel sowohl bei der EZB als auch bei der deutschen Regierung gegeben zu haben, der sich bereits im Vorfeld abzeichnete. So hatte die Bank Ende vergangenen Jahres privaten Finanzinstituten etwa eine halbe Billion Euro zu historisch niedrigen Zinssätzen mit außergewöhnlich langen Laufzeiten zur Verfügung gestellt.
Die spektakuläre Aktion diente vornehmlich dazu, einen Liquiditätsengpass zwischen den Banken zu verhindern. Weil niemand mehr weiß, wie viele marode Staatsanleihen und faule Kredite in den Tresoren der jeweiligen Institute liegen, liehen sie sich gegenseitig kaum mehr Geld. Deshalb drohte eine Situation, die vermutlich noch dramatischer gewesen wäre als nach der Pleite von Lehman Brothers. Seit sich die Bundesregierung auf dem Krisengipfel in Brüssel mit ihren rigiden Sparplänen durchgesetzt hat, scheint Merkel – im Gegenzug – akzeptiert zu haben, dass die EZB künftig wieder als Feuerwehr fungieren kann.
Für die Bundesregierung ist Praets Wahl eine passable Lösung. Merkel kann, jedenfalls nach Aussagen ihres Sprechers, »sehr gut« damit leben, dass Asmussen nicht als Chefvolkswirt berufen wurde: »Die Bundeskanzlerin sieht das nicht als Schlappe.« Tatsächlich kann sie sich weiterhin als strikte Verächterin von Eurobonds präsentieren und zugleich auf die Unabhängigkeit der Zentralbank pochen. Diese wiederum flutet die Märkte mit billigem Geld, in der Hoffnung, dass sich die deutschen und französischen Privatbanken stabilisieren und irgendwann vielleicht sogar wieder spanische und italienische Staatsanleihen kaufen – und sei es nur, weil sie nicht mehr wissen, wo sie das Geld sonst noch parken sollen. Ein weiterer sparwütiger Deutscher als EZB-Chefstratege passt da nicht so recht ins Konzept. Praet hingegen schon: Er ist ein bescheidener Mann, der perfekt französisch spricht und dennoch auf die Deutschen hört.