Science Fiction im Autorenkino

Die Welt ist nicht genug

»Melancholia«, »Another Earth« und »Perfect Sense«: Science Fiction ist im Autorenkino angekommen.

Wie oft die Welt im Kino schon untergegangen ist, lässt sich nicht mehr zählen. Sie wurde von Monstern zertrampelt, wurde in tausend Stücke geschlagen und von Wirbelstürmen verwüstet. Auch in David Mackenzies neuem Film geht die Welt unter, allerdings unterscheidet sich »Perfect Sense« von anderen Filmen, die ihre Protagonisten in die Apokalypse begleiten: Es gibt keinen großen Knall, das Welt­ende steht auch nicht plötzlich bevor. Ganz langsam breitet sich eine Epidemie aus, in deren Folge die Menschen ihre Sinne einbüßen und die Wahrnehmung der Welt verlieren.
Doch bevor die Innenwelt untergeht, entsteht etwas Neues: Michael (Ewan McGregor) und Susan (Eva Green) verlieben sich ineinander. Michael arbeitet als Gourmetkoch in einem Edelrestaurant. Im Hinterhof wohnt Susan, die als Epidemiologin arbeitet. Beide leiden unter ihren Bindungsängsten genauso sehr wie unter ihrer Einsamkeit. Also beschließen sie zunächst, sich nicht in eine Beziehung zu stürzen und nicht zu definieren, was sie verbindet. Es soll nicht mehr als eine Affäre sein.
Dann zieht die Apokalypse herauf: Die Menschen verlieren ihre Sinne, im wahrsten Sinne des Wortes. Als erstes verschwindet der Geruchssinn. Dem voraus geht eine Phase tiefster Trauer. Susan gehört zu den Wissenschaftlern, die die Epidemie erforschen und bekämpfen sollen. Sie fungiert auch als Erzählerin des Films und erklärt dem Zuschauer, wie der Betroffene den Verlust erfährt: »Ein Ozean voller vergangener Bilder verschwindet dadurch.« Nach einer Phase intensiven Hungers verlieren die Menschen den Geschmackssinn.
Für die Menschheit bedeutet dies nichts weniger, als dass sie untergehen wird. Blind, taub, ohne Tastgefühl, ohne Geruchs- und Geschmackssinn sind die Menschen nur noch Hüllen, menschliche Körper ohne Funktionen, ohne Einblicke in die Welt um sie herum, ohne Anteil an ihr nehmen zu können. Für Susan und Michael bedeutet es erst einmal, dass sie sich sehr schnell sehr nahe kommen. Während der ersten Welle der Trauer öffnen sie sich einander, reißen den Schutzwall, den sie um sich herum aufgebaut haben, einfach ein. Die Höhen und Tiefen, ausgelöst durch die exzessiven Gefühle, aber auch die Angst und Euphorie, durch das, was mit ihnen passiert, führen die beiden schneller zusammen, als ihnen das anfangs lieb ist.
»Perfect Sense« ist kein spektakulärer, sondern ein leiser, melancholischer Film, der sowohl im Low-Budget-Kino als auch im Science-Fiction-Genre beheimatet ist. Die Dynamik des heraufziehenden Untergangs beschleunigt die Liebesgeschichte und intensivert sie. Die Apokalypse erhält durch die parallel erzählte Beziehungsgeschichte eine subjektive Dimension.
Eine Parallelisierung von globaler Katastrophe und privater Geschichte gibt es auch in Mike Cahills Debütfilm »Another Earth«. Hier ist eine zarte, sich gerade entwickelnde Liebe vom Untergang bedroht, auch hier findet sich das erzählende, etwas rohe Lo-Fi-Kino gut in einer Science-Fiction-Umgebung ein.
In »Another Earth« taucht irgendwann ein Planet am Himmel über der amerikanischen Ostküste auf. Es handelt sich um eine zweite Erde, die genauso ist wie unsere und auf der alle Menschen in einer zweiten Version noch einmal existieren. Die Geschichte beginnt mit der Haftentlassung einer jungen Frau, die unter Alkoholeinfluss einen schweren Unfall verursacht hat: Die Astrophysikstudentin Rhoda (Brit Marling) hat mit Freunden gerade ihre Aufnahme am renommierten Massachusetts Institute of Technology gefeiert, als sie auf dem Nachhauseweg in ein Auto rast. Eine schwangere Frau und ihr Sohn sterben, nur der Ehemann und Vater überlebt. Nach ihrer Haftentlassung bemüht sich Rhoda um Wiedergutmachung und beginnt im Haus des trauernden Witwers (William Mapother) für Ordnung zu sorgen. Sie verschweigt ihm aber, wer sie ist. Die beiden verlieben sich ineinander und teilen ihre Isolation, ihren Schmerz, ihre Trauer.
Rhoda bewirbt sich für einen der begehrten Plätze auf der anderen Erde, in der Hoffnung, dass sie ein neues Leben beginnen und den Ballast, den sie auf der alten Erde mit sich herumträgt, hinter sich lassen kann. Denn auf der alten Erde wird das Unvermeidliche passieren. John wird herausfinden, wer Rhoda ist und dass sie nicht nur für sein derzeitiges Glück, sondern auch für sein großes Unglück verantwortlich ist.
Auch in dem bereits im Sommer angelaufenen Film »Melancholia« von Lars von Trier geht es um die nahende Apokalypse. Ein großer Planet rast auf uns zu und schluckt schließlich die Erde. Erzählt wird die Geschichte nicht mit den Mitteln des bombastischen Action-Kinos, sondern im Stil des Autorenfilms. Die äußere Klammer ist hier ganz ähnlich wie bei »Perfect Sense« und »Another Earth«. Bei Trier wird die subjektive Ebene aber nicht durch eine Liebesgeschichte hergestellt, erzählt wird die Geschichte zweier Schwestern. Justine (Kirsten Dunst) ist depressiv, während ihre Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) den lebensbejahenden Gegenpart repräsentiert. Im Angesicht des drohenden Untergangs lebt Justine wieder auf. Für die Depressive scheinen innere und äußere Welt nun deckungsgleich zu sein. Claire dagegen reagiert hysterisch.
»Perfect Sense«, »Another Earth« und »Melancholia« haben einige Gemeinsamkeiten und sind sowohl mit dem Independent-Kino als auch mit der Science Fiction verwandt. Auch haben alle drei Filme weibliche Protagonisten und unterscheiden sich maßgeblich vom bombastischen Weltuntergangskino. Alle drei Regisseure vertrauen dem erzählerischen Setting: Die Science-Fiction-Elemente werden nicht mit (pseudo-)wissenschaftlichen Erklärungen versehen, die das Geschehen glaubhafter machen sollen.
In »Perfect Sense« führt Susans Stimme durch den Film. Die Wissenschaftlerin erklärt die Bedeutung des Verlusts der Sinne. In »Another Earth« verfolgt der Zuschauer die Geschichte von Rhoda. Die Kamera konzentriert sich immer auf die junge Frau. In »Melancholia« spielen die Männer geradezu lächerliche Nebenrollen. Justines Ehemann Michael (Alexander Skarsgård) verlässt sie nach der Hochzeit, irritiert und schlicht hilflos. Claires Mann John (Kiefer Sutherland) erscheint dem Zuschauer angesichts der nahenden Katastrophe als ahnungsloser Technokrat.
Alle drei Filme schildern die subjektive Welt junger Frauen, die unter den Zumutungen der Gegenwart leiden. Das Ergebnis sind melancholische Filme, die sich durch Atmosphäre und Langsamkeit auszeichnen. Erschreckend ist die Lethargie der Hauptfiguren: Kein Held, hinter den man sich als Zuschauer klemmen könnte, steht parat. Niemand schafft den Schutt beiseite, rettet jemanden oder schmeißt Bomben. So stehen die Elemente der Science Fiction im Dienste eines Hypersymbolismus, der eine kranke und krankmachende Gesellschaft zeigt. Umso überraschender, dass es im Moment des Untergangs noch so etwas wie ein Happy End gibt.

Perfect Sense (USA 2011) Regie: David Mackenzie.
Darsteller: Eva Green, Ewan McGregor, Ewen Bremner
u. a. Start: 8. Dezember
Another Earth (USA 2011). Regie: Mike Cahill.
Darsteller: Brit Marling, William Mapother u. a.
Bereits angelaufen
Melancholia (DK/F/D/S 2011). Regie: Lars von Trier.
Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg u. a.
Bereits angelaufen