Auf der Flucht

Berlin Beatet Bestes. Folge 123. Stunde X: Befreit Martin Semmelrogge! (1987)

»Chefvisite«, murmelt Inhaber Ingo, als Dittsche den Imbiss betritt. Wie immer hat Dittsche eine Tüte mit Leergut dabei, außerdem schleppt er ein paar Gartenmöbel mit sich herum. Nach ihm stürmt ein wütender, glatzköpfiger Mann in den Imbiss. Sofort verschwindet Dittsche im hinteren Teil des Ladens. »Wo ist er’n hin? Der Typ mit dem Bademantel!« Da hört bei Ingo der Spaß auf. Dittsche muss nach vorne kommen und seinem Nachbarn die Gartenmöbel zurückgeben, die er ihm aus dem Keller geklaut hat. »Das sind Beweisstücke!« behauptet Dittsche. »Wofür?« fragt der Nachbar. »Hör’ mal auf die Stimme!« antwortet Dittsche. »Welche Stimme?« »Ihre!« Ohne auf die Auflösung der seltsamen Story zu warten, verlässt der Nachbar den Imbiss. Dittsche ruft: »Es ist Semmelrogge!« Er ist davon überzeugt, das sein Nachbar in Wirklichkeit der untergetauchte Martin Semmelrogge ist und dass die Gartenmöbel Uwe Ochsenknecht gehören. Das ist die Eingangsszene der letzten Folge von »Dittsche«.
Neugierig habe ich nach der Sendung im Internet den Hintergrund für diesen Sketch recherchiert. Es muss sich um eine Story aus der Bild-Zeitung handeln. Dittsche, gespielt von Olli Dittrich, kommentiert regelmäßig aktuelle Artikel aus dem Blatt. Und tatsächlich! Schauspieler Martin Semmelrogge ist untergetaucht. Die Dittsche-Story klingt plötzlich gar nicht mehr so sonderbar. Er soll rund 360 000 Euro Steuern nachzahlen, ist aber pleite. Auch auf Mallorca wird nach ihm gefahndet. Sein alter Freund Uwe Ochsenknecht bezichtigt ihn zudem, Gartenmöbel aus seinem Haus geklaut zu haben. Zuletzt haben ihn Reporter der Bild-Zeitung in Miami gesichtet. Sofort fällt mir die Single von Stunde X ein: »Befreit Martin Semmelrogge!« 1987 widmete die Düsseldorfer Mod-Band Stunde X dem wegen Drogenhandels einsitzenden Semmelrogge diesen großartigen Powerpop-Song.
»Ich weiß noch, als ich ihn das erste Mal sah/Es war bei den Vorstadtkrokodilen/Es ging dann weiter bei Derrick & Co/Er wurde schnell zu meinem Lieblingsschauspieler/Befreit Martin Semmelrogge/Gebt ihm eine Chance/Er ist doch einer wie du und ich (…)/Der Sprung zum Star, der war auf einmal ganz nah/Er saß mit den Großen in einem Boot/Doch er ertrug den Riesenrummel nicht/Er passte da irgendwie nicht rein/und dann die Schreckensnachricht:/Martin sitzt im Knast!/Befreit(…)/Sie machten ihn zum Buhmann der Nation/Denn er spielte seine Rolle zu genau/Doch Martin, eines, das kannst Du uns glauben:/Unsere Sympathien, die liegen bei dir!/Befreit Martin Semmelrogge!«
Seit 1987 hat Semmelrogge fleißig an seinem Image als Knalltüte gearbeitet. 30 Mal wurde er bisher verurteilt, zumeist wegen Drogendelikten und Fahrens ohne Führerschein, und auch mehrmals in den Knast gesteckt. So sehr ich das Lied damals auch liebte, der Message kann ich heute nicht mehr ganz zustimmen. Schauspieler sollten zwar möglichst glaubwürdig sein, aber Alkoholiker sollten einfach nicht Auto fahren.