Der BND will seine Geschichte aufarbeiten

Profis der Geheimhaltung

Mit einer »geschichtspolitischen Offensive« möchte der Bundesnachrichtendienst seine personellen Verbindungen zum NS-Regime aufarbeiten.

»Wir haben im Prinzip den ersten Stein ins Wasser geworfen«, sagt der Kölner Historiker Jost Dülffer. Ende September gab der Bundesnachrichtendienst (BND) Akten für die Öffentlichkeit frei, die belegen, dass Walter Rauff von 1958 bis 1962 als Agent in Süd- und Mittelamerika offiziell auf der Gehaltsliste des Dienstes stand. Im Nationalsozialismus war Rauff als Gruppenführer im Reichssicherheitshauptamt für die Entwicklung und den Einsatz der sogenannten Gaswagen verantwortlich. Einem offiziellen Dokument vom Juni 1942 zufolge reichten drei Gaswagen aus, um innerhalb eines halben Jahres 97 000 Menschen zu ermorden.
Eine interne Einschätzung zum Fall Rauff gab es beim BND schon 1984: »Eine gerichtliche Klärung ist nun nach Rauffs Tod wohl nicht mehr möglich und es ist hier auch nicht der Ort, über die mögliche Tragik schuldloser oder schuldhafter Verstrickungen zu philosophieren.« Rauffs Beschäftigung beim BND wurde lapidar als »unzweckmässig und politisch instinktlos« bewertet. Gerüchte darüber, dass ein »eingefleischter Nazi« wie Rauff auf der Gehaltsliste des BND stand, habe es schon lange gegeben, sagt Dülffer. Das Besondere an dem Fall sei, dass dies nun auch belegt werden könne. Darüber hinaus würden Netzwerke sichtbar, die es erlaubt hätten, dass »ehemalige Leute aus dem Reichssicherheitshauptamt einen neuen Mitarbeiter anwerben, der ebenfalls aus dem Reichssicherheitshauptamt kommt«. Die Aktenfreigabe im Fall Rauff habe erst »die Spitze des Eisbergs« freigelegt. Dülffer ist einer von vier Historikern, die Mitte Februar einen Vertrag mit dem BND geschlossen haben, um als unabhängige Historikerkommission dessen Geschichte und die seiner Vorläuferorganisationen von 1945 bis 1968 zu untersuchen. Das Bundeskanzleramt und der ihm unterstehende BND sind in den vergangenen Jahren immer stärker unter Druck geraten, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Unter anderem war in den USA wichtiges Aktenmaterial zu der Vorgängerorganisation des BND unter der Leitung des ehemaligen Wehrmachtsgenerals Reinhard Gehlen veröffentlicht worden, was einige kritische Publikationen zur Folge hatte. Es gehe um die Deutungshoheit über die Geschichte der deutschen Geheimdienste und nicht zuletzt auch über einen Großteil des Kalten Krieges, sagt Jan Korte, Bundestagsabgeordneter der »Linken«.

Das Besondere des BND sei nicht, dass er mit NS-Personal durchsetzt war, fasste der Historiker Ulrich Herbert im vorigen Jahr in einer Sendung des SWR den Forschungsstand zusammen. Im BND hätten sich »nicht irgendwelche SS-Leute« gesammelt, sondern solche, »die unmittelbar mit der Deportation der Juden beschäftigt waren«.
Wie unabhängig die Historiker tatsächlich arbeiten können, sei fraglich, sagt Korte. »Den Historikern ist eine 20köpfige BND-Truppe vorgeschaltet, die Akten vorsortiert, Themen beaufsichtigt und später über die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse entscheidet.« Es sei zwar »PR für den Dienst«, räumt Düffler ein, dennoch sei es positiv zu bewerten, dass dieser sich der Vergangenheit stelle. »Geheimdienste unterliegen einer gewissen Geheimniskrämerei, aber der BND ist eine Institution dieser Republik und muss sich kritischer Wissenschaft stellen.« Derzeit sei die Kommission damit beschäftigt, eine Arbeitsgruppe zu bilden. »Wir haben nicht die Illusion, alles schaffen zu können«, sagt er. Das Forschungsprogramm sei umfangreich. Nicht nur die Personalprofile der Mitarbeiter mitsamt ihren Biographien und Karrieren in der Zeit vor 1945 sollen untersucht werden, sondern auch die ­Tätigkeiten des BND selbst. »Dieser Nachrichtendienst war ab einer gewissen Zeit weltweit aktiv. Wir wollen nicht nur sehen, was Gehlen aufgeschrieben hat, sondern auch das, was davon im Bundeskanzleramt angekommen ist«, sagt Dülffer.

Bruchstückhaft gelangen derzeit auch Informationen über die Auseinandersetzungen um die Vergangenheitspolitik innerhalb des BND und zwischen dem BND und dem Kanzleramt an die Öffentlichkeit. Mitte September konnte man in Focus lesen, dass die Unzufriedenheit beim BND groß sei. »In Krisengebieten seien aufwendige Operationen aufgrund des fehlenden Wagemuts nicht mehr möglich«, gab das Magazin Äußerungen von BND-Mitarbeitern wieder. »Stattdessen forschten 20 Geheimdienstler, vier Historiker und 20 weitere wissenschaftliche Hilfskräfte nach SS- und Gestapo-Leuten, die bei dem Vorläufer des BND, der Organisation Gehlen, tätig gewesen seien.« Für besonderen Unmut habe im BND gesorgt, dass Ronald Profalla (CDU) den Ministerialdirigenten Hans Vorbeck, der schon unter Kohl und Schröder im Kanzleramt die Geheimdienste koordiniert hatte, »ohne Angabe von Gründen« mit der Aufarbeitung der Vergangenheit des BND beauftragt habe. Damit habe BND-Präsident Ernst Uhrlau »den letzten Anker im Kanzleramt« verloren. Uhrlau steht allerdings ohnehin kurz vor der Pensionierung. Mit Vorbecks Versetzung scheint das Kanzleramt die Widerstände innerhalb des BND gegen die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zusätzlich bestärkt zu haben. Er gehe davon aus, dass es »innerhalb des BND relevante Kräfte gibt, die an einer kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit keinerlei Interesse haben«, sagt Korte. »Bis zum heutigen Tag ist der stramm antikommunistische Kurs, den Leute wie Gehlen mit Hilfe von zahllosen NS-Verbrechern jahrzehntelang etabliert hatten, für viele im Dienst identitätsstiftend«.

Im geschlossenen System des BND, das durch die Loyalität der Untergebenen zu den Führungskräften und teils auch familiäre Verbindungen der Mitglieder geprägt war, gingen die Aktivitäten ehemaliger SS-Mitglieder weit über den zu erforschenden Zeitraum bis 1968 hinaus. Dass es bis in die achtziger Jahre beim BND kein Problem war, offen mit der Sympathie für den Nationalsozialismus zu kokettieren, ist längst belegt, beispielsweise durch den Fall des Abteilungsleiters Cornelis Hausleiter. »Ein Mann der ersten Stunde«, charakterisiert der ehemalige Agent und Journalist Wilhelm Dietl diesen in seinen Memoiren. Hausleiter habe »den Übergang von Hitlers letztem Aufgebot in Gehlens Pionierschar für den Auslandsnachrichtendienst des neuen Deutschlands geschafft und dabei ordentlich Karriere gemacht.« Der Mann, der von Dietl so distanzlos beschrieben wird, war Mitglied der SS und, wie der Stern 1995 berichtete, im BND »bekannt für seine Vorlieben für Altnazis wie den ehemaligen SS-Standartenführer Eugen Dollmann. Der hatte im Dritten Reich als Verbindungsmann der SS zu Mussolini fungiert.« Hausleiter war in den Achtzigern als Referatsleiter für den Nahen und Mittleren Osten für die Belieferung Libyens und des Iran mit Militärelektronik verantwortlich und organisierte die Ausbildung der Leibgarde Gaddafis unter der Leitung eines BND-Mitarbeiters.
Bei der »geschichtspolitischen Offensive« des BND, die sich auf prominente Fälle konzentriert, könnte der Blick von dieser jahrzehntelang währenden »Normalität« abgelenkt werden. Korte kritisiert, der BND und das Kanzleramt gerierten sich »quasi als Aufklärer«, die »krassen Fälle« würden nur »bröckchenweise« präsentiert. Nach Eichmann, Barbie und Brunner sei nun Rauff an der Reihe. »Die größten NS-Verbrecher, die nach 1945 frei herumliefen, standen zumindest zeitweise im Sold des BND oder wurden durch ihn gedeckt. Die Öffentlichkeit soll langsam an diese Erkenntnis gewöhnt werden.«