Die Germanisierung Sloweniens im Zweiten Weltkrieg

Eingedeutscht und ausgebeutet

Die Nationalsozialisten wollten Slowenien germanisieren. Zehntausende Slowenen wurden deportiert und mussten Zwangsarbeit leisten. Eine Entschädigung haben sie von Deutschland nie erhalten.
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Wie eine Festung ragt das Schloss Brestanica auf einem Hügel zwischen Bäumen hervor, benannt nach dem kleinen Fluss, der im südöstlichen Slowenien in die Save fließt. Das Schloss bot der slowenischen Bevölkerung jedoch keinen Schutz vor den nationalsozialistischen Besatzern, im Gegenteil, es wurde zum Sammellager umfunktioniert und zu einem Zentrum der systematischen Germanisierungspolitik. Heute erinnert eine 1968 eingerichtete Ausstellung an die Vertreibung der Sloweninnen und Slowenen im Jahr 1941. Wenige Tage nach dem deutsch-italienischen Überfall auf das Königreich Jugoslawien am 6. April 1941 verschwand Slowenien von der Landkarte: Italien, das bereits nach dem Ersten Weltkrieg einige Regionen angegliedert hatte, erhielt das angrenzende Gebiet im Südwesten, der Verbündete Ungarn das Prekmurjegebiet im Osten. Deutschland erhielt die Spodnja Štajerska (Untersteiermark) und die Gorejnska (Oberkrain), die den Gauleitern der Steiermark und Kärntens unterstellt wurden, ohne dass jedoch die geplante offizielle Annexion umgesetzt wurde. Als Adolf Hitler Ende April 1941 Maribor besuchte, formulierte er den Imperativ der nationalsozialistischen Lebensraumpolitik: »Machen Sie mir dieses Land wieder deutsch!« Bis zu 260 000 Sloweninnen und Slowenen sollten deportiert werden, um Platz für volksdeutsche »Umsiedler« zu schaffen. Das »wieder« bezog sich weniger auf das Habsburger Reich als auf das »bodenständige Deutschtum«, das sich dort seit der Besiedlung durch Ostgermanen ausgebildet habe.

Das Rasse- und Siedlungshauptamt, das Reichskommissariat zur Festigung des deutschen Volkstums, die Volksdeutsche Mittelstelle, der Lebensborn und zahlreiche Untergliederungen des NS-Staates setzten ihre in Polen erprobte Volkstumspolitik erneut in die Tat um: Über 580 000 Personen, also mehr als 70 Prozent der slowenischen Bevölkerung, wurden »rassenanthropologischen« Untersuchungen unterzogen. Durch Vermessung von Körperteilen, aber auch unter Einbeziehung kultureller und subjektiver Kriterien wie Deutschkenntnissen und dem Bekenntnis zum Deutschtum wurde die slowenische Bevölkerung in »Eindeutschungsfähige« und »Nichteindeutschungsfähige« eingeteilt. Letztere sollten nach Kroatien und Serbien »ausgesiedelt«, erstere ins Reich »abgesiedelt« werden, um in Gebieten wie dem polnischen Lublin »Bollwerke des Deutschtums« zu schaffen. Kinder von Ermordeten oder Deportierten wurden in Heime gebracht, um sie auf die Adoption durch Deutsche vorzubereiten.
Slowenische Juden und Jüdinnen wurden, wie überall im deutschen Einflussgebiet, in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, ebenso Roma und Sinti. Intellektuelle und Geistliche wurden, meist nach grausamer Folter, als Vertreter des slowenischen Nationalbewusstseins deportiert oder hingerichtet. Vor allem das Gestapo-Gefängnis in Begunje ist zum Symbol dieser Verbrechen geworden. Rücksichtslos bekämpften die Deutschen die Partisaninnen und Partisanen sowie zivile Widerständler und deportierten sie oft mit ihren Angehörigen in die Konzentrationslager; ganze Dörfer wurden als »Vergeltung« für Widerstand durch Massaker ausradiert. Slowenen wurden als Zwangsarbeiter ins Reich deportiert oder waren als Kriegsgefangene in Lagern inhaftiert. Diejenigen, die in den Süden verschleppt wurden, mussten oft im besetzten Serbien Zwangsarbeit leisten. Paradoxerweise führte jedoch die Eindeutschungspolitik, in deren Zuge vielen Sloweninnen und Slowenen die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf verliehen wurde, für Einzelne auch zu Erleichterungen, etwa der Entlassung von KZ-Häftlingen in den Arbeitsdienst.
Dank des starken Widerstands konnten die Deutschen ihre Pläne nicht reibungslos verwirklichen, dennoch wurden Zehntausende der als »eindeutschungsfähig« betrachteten Sloweninnen und Slowenen in das »Altreich« verschleppt, hauptsächlich nach Schlesien, Sachsen und Thüringen. Dem Widerstand der Slowenen begegneten die Deutschen mit Unverständnis. »Es war ihnen nicht bewusst, dass eine Ansiedlung im Osten als Auszeichnung für sie gedacht war«, heißt es im Oktober 1943 in einem Bericht der Einwandererzentralstelle, einer Unterbehörde des Reichssicherheitshauptamtes. »Darauf hätten wir gerne verzichtet«, sagt Tone Kristan, der mit 13 Jahren vom Mittagstisch weg deportiert wurde. Die Deportierten wurden in Lagern wie Gefangene behandelt und mussten jede ihnen in Landwirtschaft, Industrie oder Gewerbe zugewiesene Stelle annehmen. Auch Kinder wurden zu Arbeiten herangezogen. Unzählige Slowenen sind durch die Gewalterfahrung traumatisiert, zumal bei der Rückkehr in das zerstörte Land kein Raum zur Verarbeitung ihrer Erfahrungen blieb: »Nach vier Jahren, als wir nach Hause zurückkehrten, fanden wir außer Schutt und Asche nichts. Man musste aus Nichts sein Zuhause wiederaufbauen, weil der Winter vor der Tür stand. Gut, dass wir ans Hungern gewohnt waren, weil es unter anderem auch nichts zu Essen gab«, schrieb Kristan, der heute Ehrenpräsident der Vereinigung der Okkupationsopfer ist, zynisch in einem offenen Brief an deutsche Politiker.

Die Zwangsgermanisierung Sloweniens hat nicht einmal in die Erinnerungskultur Eingang gefunden, die in Deutschland die Haftung ersetzt. Feierstunden werden abgehalten, Kränze niedergelegt, aber die rechtlichen Verpflichtungen werden umgangen. Wie ungezählte NS-Opfer überall in Europa haben die Menschen in Slowenien nie persönlich eine Entschädigung erhalten. Die Bundesrepublik antwortet auf Forderungen slowenischer NS-Opfer mit dem Verweis auf einen zwischen Tito und Willy Brandt 1973 vereinbarten zinsgünstigen Kredit für Jugoslawien. Die wiedererstarkte BRD nutzte damals aus, dass das im Krieg zurückgeworfene Land dringend auf Devisen angewiesen war. Kristan betont, dass sich in den Gesprächsprotokollen kein einziger Hinweis darauf finde, dass Jugoslawien damit auf Ansprüche verzichtet habe. Slowenien habe zudem seinen Anteil des Kredits samt Zinsen zurückgezahlt. Er fügt unmissverständlich hinzu: »Ein Kredit ist keine Entschädigung!«
Daraufhin änderte sich die Argumentationsstrategie: Deutschland, so der Petitionsausschuss des Bundestages, könne keine Entschädigung zahlen, da es keine Reparationen zahle und individuelle Entschädigungen Teil von Reparationen seien. Statt Geld gibt es für die Slowenen jedoch »Verständnis«, weil »auch Deutsche in den Nachkriegsjahren haben erfahren müssen, wie viel Elend und Not durch Vertreibung hervorgerufen wird«. Nunmehr ohne Scham präsentieren Deutsche sich den letzten NS-Überlebenden als Opfer.
Der politische Wille zu Entschädigungszahlungen fehlt, daher besteht die einzige Möglichkeit, der deutschen Verweigerung entgegenzutreten, im Rechtsweg. In anderen Ländern ist es NS-Überlebenden in langjährigen Prozessen gelungen, die Bundesrepublik zu Reaktionen zu zwingen. Deutschland versucht nun, mit Hilfe des Internationalen Rechts das Recht des Stärkeren durchzusetzen. Vorläufiger Höhepunkt ist dabei ein Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, der am 12. September begonnen hat: Deutschland führt Klage gegen Italien, weil italienische Gerichte, genauso wie griechische, geurteilt haben, dass den Opfern von Verbrechen gegen die Menschheit und ihren Angehörigen Entschädigungen zustehen (Jungle World 33/2011). Sollte der Internationale Gerichtshof den deutschen Versuch, sich der Haftung zu entziehen, zurückweisen, könnten auch die slowenischen Überlebenden der Eindeutschungspolitik vor Gericht erkämpfen, »wenigstens einmal jährlich 14 Tage Urlaub in einem Kurort oder Thermalbad« zu machen, so Kristan.