Über Krise und Inflation

Gold beruhigt die Nerven

Nach der Krise kommt die Inflation. Während Wohlhabende versuchen, ihr Vermögen mit dem Kauf von Gold zu sichern, leiden Geringverdiener unter den steigenden Kosten für Lebensmittel und Heizöl.

Wer häufiger in Luxushotels, Privatbanken oder dem Kaufhaus Galeries Lafayette in Berlin verkehrt, könnte schon auf die neueste Attraktion für die Upper Class gestoßen sein: die »Gold-to-go«-Automaten der Firma Ex Oriente Lux. Rund um die Uhr können sich Kunden an diesen Automaten mit kleinen Mengen des Edelmetalls zwischen einem Gramm und einer Unze, also etwas mehr als 31 Gramm, versorgen. »Ein Gramm Gold in einer Geschenkbox für die Freundin ist sicherlich origineller als ein Blumenstrauß«, sagte der Geschäftsführer Thomas Geissler bei der Präsen­tation der Goldautomaten. Ob sich der schnelle Goldkauf durchsetzen und in bestimmten Kreisen den Blumenstrauß ersetzen wird, bleibt abzuwarten. Der Griff zum Edelmetall als Vermögensanlage liegt aber auf jeden Fall im Trend.
Gold werde derzeit gehandelt »wie eine Währung«, sagte Michael Blumenroth, der bei der Deutschen Bank als Analyst für den Edelmetallhandel zuständig ist. Im vorigen Jahr erwarben ­allein deutsche Anleger 127 Tonnen Gold, diese Menge entspricht einem Gesamtwert von etwa fünf Milliarden Euro. Hinzu kommen noch goldgedeckte Wertpapiere oder Zertifikate, die auf eine Erhöhung des Goldpreises spekulieren. Den jüngst veröffentlichten Zahlen des World Gold Council zufolge flossen im vergangenen Jahr fast 13 Prozent aller von Deutschen getätigten Inves­titionen in das Edelmetall, dessen Wert im Vergleich zu anderen am stabilsten ist. Es ist kaum verwunderlich, dass der Goldpreis pro Feinunze schon im vergangenen Dezember einen bisherigen Höchststand von 1 431 US-Dollar erreichte. Nach einem kurzen Einbruch zu Beginn des Jahres ist er mittlerweile auf über 1 500 Dollar gestiegen, und ein Ende dieser Entwicklung ist auch weiterhin nicht in Sicht. Wenn man bedenkt, dass bis 1971 ein fester Wechselkurs von 35 Dollar pro Unze Gold galt und noch Ende der neunziger Jahre der Goldpreis knapp über 250 Dollar lag, dann erscheinen diese Kurssteigerungen tatsächlich außergewöhnlich. Auch der Preis für Silber stieg im vorigen Jahr um 60 Prozent. Anfang Mai kam es jedoch zu einem Einbruch, der Preis des Edelmetalls sank um elf Prozent.

Während Silber, ebenso wie Platin oder an­dere Edelmetalle, auch in der Industrie Verwendung findet und daher konjunkturabhängigen Kursschwankungen ausgesetzt ist, wird Gold fast ausschließlich als Vermögensanlage genutzt. Die Ursache für den derzeitigen Goldrausch ist die Inflationsgefahr, die allseits präsent ist. »Aus Angst vor der großen Inflation flüchten sich die Anleger in Gemüsegärten und Sachwerte«, sagte Blumenroth der Zeit. Derzeit wird vor allem in die Landwirtschaft, in Rohstoffe und Edelmetalle investiert. Eine Studie des World Gold Council legt den Eindruck nahe, dass zwischen der Angst vor der Inflation und dem Interesse an Gold ein Zusammenhang besteht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine einprozentige Steigerung der Gesamtgeldmenge normalerweise zu einem Preisanstieg des Goldes um 0,9 Prozent führt. Mittlerweile liegt der Kurs allerdings teilweise deutlich höher. Vor allem die Zentralbanken Chinas, Indiens und Russlands kaufen Gold, während die US-Notenbank und die deutsche Bundesbank ihre Goldreserven horten. Sie verfügen weiterhin über den größten Goldschatz der Welt.
Trotz der offensichtlichen Überbewertung des Goldes ist die Inflation in fast allen Ländern in den vergangenen Monaten bittere Realität geworden. In den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern hat man sich längst an zweistellige Inflationsraten gewöhnt, aber auch in den Industrienationen besteht die Gefahr der Inflation wieder, aufgrund der teuren Konjunkturmaßnahmen und der staatlichen Subvention der Banken. In China liegt die Inflation bei deutlich über fünf Prozent, und in Russland, das schon im vorigen Jahrzehnt eine hohe Inflationsrate hatte, lag sie im Februar sogar bei 9,5 Prozent. Die Bank of England meldete kürzlich die höchste Inflations­rate seit 28 Jahren: Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Preise um 4,4 Prozent. In den USA erhöhten sich die Verbraucherpreise zwischen Februar und März um 0,5 Prozent, die Inflationsrate stieg auf 2,1 Prozent. Der Präsident der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke, sah dennoch keinen Grund für eine Erhöhung des Leitzinses, um der Inflation entgegenzuwirken. 13 Bundesstaaten wollen nun prüfen, ob Gold oder Silber als alternative Zahlungsmittel akzeptiert werden sollten. Am weitesten wagte sich dabei das als Mormonenstaat geltende Utah vor. Dessen Landesparlament verabschiedete kürzlich mit großer Mehrheit ein Gesetz, demzufolge Gold und Silber zu Zahlungsmitteln erklärt werden und die Einführung anderer »alternativer Währungen«, wie des auf dem Goldstandard beruhenden »Liberty Dollar«, der vor drei Jahren von der Fed als Zahlungsmittel verboten wurde, geprüft wird.

Abgesehen von solchen exzentrisch anmutenden geldpolitischen Maßnahmen stellen sich die Verhältnisse in der Euro-Zone ganz ähnlich dar. Trotz der Anhebung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank (EZB) um 0,25 Punkte auf 1,25 Prozent Anfang April hat das europäische Statistikamt Eurostat in der vergangenen Woche die Teuerungsrate auf 2,7 Prozent beziffert. Der Preisanstieg sei so stark wie seit Oktober 2008 nicht mehr, als die Rate 3,2 Prozent betrug. In den Ländern der Europäischen Union, die nicht zur Euro-Zone gehören, lag die Inflation noch höher, Eurostat nannte einen Anstieg von 2,9 auf 3,1 Prozent. In Rumänien (8,0 Prozent), Estland (5,1 Prozent) sowie Ungarn und Bulgarien (je 4,6 Prozent) lag die Rate besonders hoch.
Trotz aller Panikmeldungen – für den Euro-Raum sieht die EZB währungspolitische Stabilität eigentlich nur bei einer Rate von maximal zwei Prozent als gewährleistet an – sollte man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die Inflation in begrenztem Maße derzeit offensichtlich überall erwünscht ist. Der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, hat den Leitzins entgegen den Berechnungen seines Instituts, das eine Anhebung um 0,75 Prozentpunkte zur Preisstabilität für notwendig hielt, lediglich um 0,25 Punkte erhöht. Die Fed erweckt nicht den Eindruck, dass sie sich darum bemühen möchte, der Inflation entgegenzuwirken, und die chinesische Regierung scheint nicht bereit zu sein, die Dollarbindung des Yuan und dessen Unterbewertung aufzugeben. Die gegenwärtige internationale Tendenz zur Inflation erscheint so als Fortführung des »Währungskriegs« mit anderen Mitteln. Den Begriff »Währungskrieg« hatte Dominique Strauss-Kahn, der Direktor des Internationalen Währungsfonds, verwendet, um das Bemühen um die Abwertung der jeweils eigenen Währung wegen der damit einhergehenden Verbesserung der Exportbedingungen zu beschreiben (Jungle World 42/2010).
Auch deutsche Manager hätten vermutlich wenig gegen einen weiteren Anstieg der Inflationsrate einzuwenden. Anlässlich der Umfragen des Münchener Instituts für Wirtschaftforschung (Ifo), die im monatlichen »Geschäftsklimaindex« zusammengefasst werden, zeigten sich die Manager zwar weiterhin in »bester Laune«, aber im Hinblick auf die Zukunftsaussichten der export­abhängigen Industrie war ihre Stimmung weniger euphorisch als noch in den Monaten zuvor. »Der starke Euro wird in Zukunft die Exporttätigkeit dämpfen«, kommentierte Klaus Abberger vom Ifo-Institut gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters das Ergebnis. Denn in den vergangenen Monaten ist der Wert des US-Dollars im Vergleich zum Euro stärker gesunken. Die Gemeinschaftswährung kostet erstmals seit Dezember 2009 wieder mehr als 1,46 Dollar und macht so deutsche Waren in anderen Währungsräumen teurer.
Hinzu kommt, dass eine steigende Inflation auch immer die Gelegenheit zu Lohnsenkungen beschert. »Weil die Lohnbewegungen schwerfäl­liger sind als die der Warenpreise, führt die Inflation zu höheren Profiten.« Das stellte der marxis­tische Krisentheoretiker Paul Mattick bereits in den fünfziger Jahren fest. Lediglich in den Siebzigern gelang es den deutschen Beschäftigten, Lohnzuwächse zu erkämpfen, die über der damaligen achtprozentigen Inflationsrate lagen. Derzeit ist eine solche Streikbewegung nicht in Sicht. Die letzten Tarifabschlüsse, etwa bei den Beschäftigten der Bundesländer, lagen zumeist unter der Inflationsrate. Durch die Steuerprogression sinken zudem die Nettolöhne.

Die Bezieher von geringen Einkommen und Transferleistungen sind von der steigenden Inflation besonders betroffen, denn die Preissteigerungen sind keineswegs bei allen Waren gleich.Eine Analyse der Bank Unicredit kam zu dem Ergebnis, dass vor allem Energie und Lebensmittel derzeit hohe Teuerungsraten aufweisen. Bei den Stromkosten wurde ein Anstieg von 7,6 Prozent verzeichnet, die Preise für Benzin erhöhten sich im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent und beim Heizöl wurde eine Preissteigerung von 33 Prozent festgestellt. Die Preise für Butter stiegen im vorigen Jahr um 28,4 Prozent, Obst kostete etwa zehn Prozent mehr und der Preis für Kaffee erhöhte sich um fast 15 Prozent.
Die Inflationsrate wird aus einem Warenkorb berechnet, der 750 Güter enthält. Weil die ärmsten Haushalte fast 36 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Lebensmittel und Energiekosten ausgeben müssen, sind sie weitaus stärker von der Inflation betroffen. Für sie dürfte es nur ein schwacher Trost sein, dass Jim Rogers, einer der größten Edelmetallinvestoren der Welt, mittlerweile das Platzen der »Gold-Spekulationsblase« prophezeit. Davon wären dann diejenigen betroffen, die derzeit versuchen, ihr Vermögen mit der Investition in Gold zu sichern.