Debatte um den Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline in Frankreich 

Keine Party für Céline

Nach kurzer und heftiger Debatte ist der Name Louis-Ferdinand Céline aus dem Jahrbuch der nationalen Gedenktage in Frankreich gestrichen worden.

Ende Januar hatte der Historiker und Vorsitzende der Vereinigung »Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten aus Frankreich« Alarm geschlagen. Serge Klarsfeld hatte entdeckt, welche Ehre dem 1961 verstorbenen Schriftsteller und Antisemiten Louis-Ferdinand Céline zuteil werden sollte. In einer Hochglanzbroschüre mit dem Titel »Nationale Gedenkfeiern 2011« waren jene Persönlichkeiten aufgelistet, derer im laufenden Jahr gedacht werden sollte. Aus Anlass seines 50. Todestages am 1. Juli 2011 war Louis-Ferdinand Céline als Jubiliar aufgeführt worden. Die Broschüre war das Werk eines bis dahin weitgehend unbekannten Hohen Komitees für die nationalen Gedenkfeiern.
Kulturminister Frédéric Mitterrand gab schnell nach. Am 21. Januar alarmierte zunächst eine Leserin die Onlinezeitung Rue89: Céline sei soeben von der Website des Nationalarchivs – wo die großen Persönlichkeiten des Jahres 2011 aufgelistet waren – verschwunden, nachdem der erste Zeitungsartikel über die einsetzende Polemik veröffentlicht worden war. Kurz darauf trat Frédéric Mitterrand vor die Presse und verkündete offiziell seine Entscheidung: Céline sei von der Liste des Gedenkens für das Jahr 2011 entfernt worden. In der Nacht zuvor habe er noch einmal das Buch »Bagatelles pour un massacre« aus dem Jahr 1937 gelesen. Es handelt sich um das erste manifest antisemitische Werk Célines, das nahezu auf jeder Seite Hasstiraden enthalte. Diese Lektüre habe ihm genügt, seine Entscheidung zu treffen. Das schriftstellerische Talent Célines, das »bis hinein in seine abscheulichsten Schriften unbestreitbar« sei, stehe nicht in Abrede. Aber ein offizielles Gedenken erfolge im Namen »der Werte der Republik«. »Man kann im Namen republikanischer Werte keinen Kranz auf den Grabstein Célines legen«, erklärte er. Zuvor hatte Serge Klarsfeld mit politischen Konsequenzen gedroht, falls Céline nicht aus dem Jahrbuch der nationalen Gedenktage gestrichen werde.
Zu denen, die die Entscheidung Mitterrands begrüßten, gehört der Filmemacher Claude Lanzmann, der sie im Wochenmagazin Le Point energisch verteidigte, während Bernard-Henri Lévy und Alain Finkielkraut sie kritisierten. Lévy vertrat die Auffassung, man dürfe sich »bloß nicht dem Gedenken an Céline widersetzen«, denn dieses sei eine gute Gelegenheit, aufzuzeigen, »dass man gleichzeitig ein großer Schriftsteller und ein absoluter Schweinehund sein kann«.
Der Ex-Maoist Alain Finkielkraut erklärte, es sei falsch, wenn sich ausgerechnet Vertreter des Judentums gegen eine Auseinandersetzung mit Céline aussprächen, dies nähre lediglich den Verdacht, dass die »jüdische Lobby in Frankreich bestimmt«. Prinzipiell ist er der Auffassung, dass Nazis und andere Rechte heute eine zu vernachlässigende Gefahr darstellten. Eine antisemitische Bedrohung gehe vielmehr von Linken und dem Islam aus.
Natürlich rief die Entscheidung Mitterrands auch schnell diverse Antisemiten auf den Plan. So auch den Schriftsteller Marc-Edouard Nabe, dem das konservative Wochenmagazin Le Point reichlich Platz einräumte. Er bezeichnete Céline als »größten Schriftsteller aller Zeiten« und beschwerte sich darüber, der Kulturminister habe »auf Befehl eines einzigen Bürgers, Serge Klarsfeld«, hin gehandelt. Allerdings habe Céline schon immer die Ehrungen des Establishments verabscheut und wäre deswegen wohl auch zufrieden gewesen.
Der Schauspieler Fabrice Luchini, der antisemitischer Auffassungen völlig unverdächtig ist, aber früher vor ausverkauften Sälen aus den Werken Célines rezitierte, zeigte sich ebenfalls »konsterniert« und fragte: »Wird man ›Le voyage au bout de la nuit‹ aus den Buchhandlungen nehmen?«
Luchini berührt damit einen sensiblen Punkt, denn tatsächlich beruht die Reputation Célines als »literarisches Genie« zu großen Teilen auf dem Roman »Reise ans Ende der Nacht«, den er im Jahr 1932 publizierte. Darin schildert er die Schlächterei des Ersten Weltkriegs in extrem grellen Farben und malt apokalyptische Szenen. Zu jener Zeit tritt er auch als Kritiker des französischen Kolonialismus in Erscheinung. Der Arzt und Autor, der im Ersten Weltkrieg zeitweise zur Leitung einer Plantage in Kamerun abgestellt worden war, schildert das qualvolle und würdelose Sterben einer Schiffsbesatzung. Dabei spart er nicht an anatomischen Details und despektierlichen Betrachtungen. Dieser bis dahin unbekannte und unerhörte Stil, aber auch das Spiel mit der Interpunktion und der Gebrauch von Umgangssprache oder Fäkalausdrücken bedeuteten einen Bruch mit bis dahin herrschenden literarischen Standards und begründeten seinen Ruf als Schriftsteller. Aber die Wortspiele mit Namen, die Reduzierung von Menschen auf ihre Physis und ein oft abgrundtiefer Zynismus schlugen nur wenig später in sprach­liche Gewalt um, als er ab 1937 und in den Zeiten der Kollaboration offen gegen Juden hetzte.
Lanciert wurde das Thema bei ihm im Kontext der Weltwirtschaftskrise, einer allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung und dem heraufziehenden Zweiten Weltkrieg, den in Frankreich viele dem Drängen jüdischer Kreise, gegen Hitlerdeutschland tätig zu werden, geschuldet sahen. Célines antisemitische Tiraden waren oft so schrill und heftig, dass selbst der Mitarbeiter des deutschen Propagandadienstes für das besetzte Frankreich, Bernard Payr, mitunter gegen ihre Veröffentlichung eingetreten ist. Es handele sich um »Obszönitäten« und »hysterische Schreie«, die eher abstoßend wirkten denn propagandistische Wirkung erzielten. Andere Kollaborateure arbeiteten mit Céline zusammen und veröffentlichten seine Artikel. 1944 floh er zusammen mit den Nazis ins süddeutsche Sigmaringen und ging später nach Dänemark. Er kehrte wegen eines in der Nachkriegszeit gegen ihn ausgesprochenen Urteils erst nach einer Amnestie nach Frankreich zurück. Zuvor hatte er Briefkontakt zu dem antisemitischen Ideologen Albert Paraz gehalten. Später stellte Céline sich stets als Opfer einer unwürdigen Behandlung im Nachkriegsfrankreich dar.
Doch aufgrund des anfänglichen Ruhms, der seinem literarischen Schaffen zuteil wurde, bleibt Céline im französischen Establishment weithin als »schriftstellerisches Talent« anerkannt, wobei man stets zwischen dem genialen Literaten und dem Verfasser schäbiger Pamphlete unterschied.
Auch Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat Céline noch in jüngerer Zeit als »seinen Lieblingsschriftsteller« bezeichnet. Allerdings dürfte ihn auch dabei die Geschichte seines Aufstiegs mehr interessiert haben als der Inhalt seiner Bücher. Im Jahr 1996 erklärte der damals aufstrebende Jungpolitiker einem Prominentenmagazin: »Nehmen wir Céline als Beispiel. Da haben wir einen Mann, der nur ein mittelmäßiger Vorstadtarzt war. Eines Tages schreibt er ›Voyage au bout de la nuit‹. Das fasziniert mich! Diese Aktion, die darin besteht, mehr zu geben; dieser Elan, der Sie dazu bringt, sich selbst zu übertreffen, aus Leidenschaft zu schaffen und zu handeln. Daran hängt alles!« Auch später noch führte Sarkozy Céline als positives Beispiel an. Im Jahr 2008 rechtfertigte er dies gegenüber Journalisten, die ihn auf einem Flug nach Indien begleiteten, mit den Worten: »Man kann Céline schätzen, ohne Antisemit zu sein, wie man Proust schätzen kann, ohne homosexuell zu sein.«
Die organisierten Rechtsextremen mochten nicht nachstehen, als in den vergangenen Tagen Kritik an der Entscheidung des Kulturministers gegen das Gedenken an Céline geübt wurde. Sie nutzten die Gelegenheit, um gegen ein »Diktat« der angeblich herrschenden »Gedankenpolizei der politischen Korrektheit« zu wettern.
Auf der Website von Bruno Gollnisch, des im Januar unterlegenen Anwärters auf den Parteivorsitz des Front National (FN), wurde die Affäre am 24. Januar aufgegriffen: »Serge hat es verlangt: Céline ist eines Platzes in der Sammlung beraubt.« Der despektierliche Tonfall gegenüber Serge Klarsfeld ist selbstverständlich beabsichtigt. Céline wird als Opfer einer »antirassistischen politischen Korrektheit« bezeichnet, der demnächst auch andere Schriftsteller von Shakespeare bis Voltaire geopfert werden würden.