Über die Lage von LGBT-Flüchtlingen in Europa

Homo-Prüfung für Migranten

Ein britisches Gericht zweifelt die sexuelle Orientierung der lesbischen Uganderin Brenda Namigadde an, nun droht ihr die Abschiebung aus Großbritannien. Ihr Fall sorgte für Aufsehen in den europäischen Medien, er ist aber keine Ausnahme in Europa. Welche Asylchancen bestehen derzeit für LGBT-Flüchtlinge in der EU?

Lesbische Magazine, Bücher über Gender-Theorie, vielleicht noch ein paar Queercore-CDs – das ­alles fehlte Brenda Namigadde, um in Großbritannien Asyl zu bekommen. So jedenfalls legt es die Begründung nahe, mit der die Berufung der 29jährigen Uganderin gegen die Ablehnung ihres Asylantrags vor einigen Wochen abgewiesen wurde. Namigadde, die 2002 nach Großbritannien geflohen war, habe »scheinbar kein Interesse an Medien, Zeitschriften, Büchern oder anderer Information bezüglich ihrer sexueller Orientierung«. Dies sei zwar keine Voraussetzung, wirke aber seltsam. »Auf der Basis der vorliegenden Beweise war und ist die Klägerin keine Lesbe«, lautete das Urteil des Gerichts.
Dank einer einstweiligen Verfügung konnte Namigaddes Abschiebung nach Uganda Ende Januar im letzten Moment verhindert werden. In dieser Woche entscheiden die Royal Courts of Justice über ihren Folgeantrag. Namigadde sagte, sie müsse in Uganda um ihr Leben fürchten. Nur zwei Tage vor ihrer geplanten Rückführung wurde in Uganda David Kato Kisule ermordet, einer der bekanntesten Aktivisten für die Rechte Homosexueller (Jungle World, 5/11). Er war unter den 100 Personen, die im Oktober von der ugandischen Boulevardzeitung Rolling Stone mit Namen und Foto als homosexuell geoutet worden waren, darunter stand die Aufforderung: »Erhängt sie!«
Auf Homosexualität steht in dem zentralafrikanischen Land eine Haftstrafe bis 14 Jahre. Der ugandische Abgeordnete David Bahati sagte der britischen Zeitung The Guardian, Namigadde sei willkommen, wenn sie »bereut und sich ändert«. Sollte sie jedoch bei »illegalen Praktiken« ertappt werden, werde sie bestraft. Bahati ist bekannt für einen Gesetzesvorschlag, der für homosexuelle Handlungen bei Erwachsenen lebenslange Haftstrafen vorsieht. Von seiner Forderung nach der Todesstrafe für Menschen mit HIV, »serielle« Homosexuelle und Sex mit Minderjährigen ist Bahati inzwischen aus Sorge vor internationalen Protesten abgerückt. Aktivisten aus der britischen LGBT-Szene werten seinen Kommentar zum Fall Namigadde als deutliches Zeichen ihrer Gefährdung.

Die Situation von LGBT-Flüchtlingen in Europa ist zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit Gegenstand der internationalen Debatte. Erst Anfang Dezember sorgte der sogennante phallometrische Test für Aufsehen, den die tschechische Regierung bis einschließlich 2010 anwandte. Dieser sollten zeigen, ob männliche Asylbewerber, die Verfolgung wegen ihrer Homosexualität als Fluchtgrund angaben, tatsächlich schwul waren. Den Antragstellern wurden heterosexuelle Pornos gezeigt, dabei wurde der Blutfluss im Penis gemessen. War dieser vermeintlich zu stark, konnte der Betreffende nach Meinung der Behörden nicht wirklich homosexuell sein. Die EU-Grundrechteagentur kritisierte die tschechische Regierung, nachdem in vielen europäischen Medien über diese bizarre Praxis berichtet worden war.
Beide Fälle machen deutlich, dass die staatliche Homophobie in Ländern wie dem Iran oder Uganda durchaus eine europäische Dimension hat. Einerseits kann, wer aus solchen Gründen sein Herkunftsland verlässt, in der EU offiziell Anspruch auf Schutz geltend machen. Das geht aus der gemeinsamen Charta der Grundrechte der Union hervor, die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung ausdrücklich verbietet. Auch auf nationaler Ebene bestätigt sich das, etwa in zwei Urteilen des britischen Supreme Court vom Juli, wonach homosexuelle Flüchtlinge nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden dürfen, wenn ihnen dort wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgung droht. Eine Existenz, die diese Orientierung verleugnet, wie sie Brenda Namigadde unter Androhung von Gewalt nun nahe gelegt wurde, sei nicht akzeptabel, da sie die Persönlichkeitsrechte verletze. Untergeordnete Gerichte hatten in zwei Fällen ein solches »diskretes« Leben für zumutbar erklärt.
Doch andererseits stellt der Fall Brenda Namigadde keineswegs eine Ausnahme dar in Europa. Nach Einschätzung des lesbischen Blogs lezgetreal.com werden 99 Prozent aller Asylanträge von Homo- und Bisexuellen sowie Transgendern in Großbritannien abgewiesen. Diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit bringt auch Sabine Jansen, Mitglied der niederländischen Homosexuellenorganisation »Kultur- und Entspannungszentrum« (COC), in einem Essay über die Situation von LGBT-Flüchtlingen auf den Punkt. In Hinblick auf die Niederlande lobt sie, dass iranische LGBT-Antragsteller seit einigen Jahren anerkannt würden. Flüchtlinge aus Pakistan, Afghanistan oder dem Irak dagegen gelten zwar als Risikogruppe, könnten jedoch nicht ohne weiteres auf eine Anerkennung rechnen. Jansen erwähnt, dass 2009 noch der Antrag eines Pakistani abgelehnt wurde, weil er der Asylbehörde nicht schwul genug erschien.

Ein Vergleich der Situation in den 27 Mitgliedsstaaten der EU offenbart sehr unterschiedliche Befunde. Während die Niederlande erstmals 1981 einem Homosexuellen aus Polen Asyl gewährten, geschah dies in Spanien erst 2009 nach einer Änderung der Asylgesetzgebung. Um aus diesen vielfältigen Bedingungen politische Handlungsanleitungen zu gewinnen, rief das COC im vergangenen Jahr in Kooperation mit der Freien Universität Amsterdam das Forschungsprojekt »Fleeing Homophobia. Seeking Safety in Europe« ins Leben. Beteiligt sind auch die ungarische Abteilung des Helsinki-Komitees für Menschenrechte und eine italienische Anwaltsorganisation, die auf LGBT-Rechte spezialisiert sind. An der Finanzierung beteiligen sich der European Refugee Fund und das niederländische Justizministerium. Experten sollen für alle EU-Länder Berichte verfassen, die in einem internationalen Report zusammengestellt werden sollen. Im September wird in Amsterdam eine Abschlusskonferenz stattfinden.
Letztlich erweist sich das Thema als ein besonders komplexer Teil in der grundsätzlichen Frage, wie sich die nationalen Asylgesetzgebungen der Mitgliedsstaaten zu einer einheitlichen umwandeln lassen. Die EU macht dabei nicht zum ersten Mal einen ambivalenten Eindruck. Während sie einerseits darauf drängt, die Armutsflüchtlinge aus aller Welt immer früher abzufangen, kann sie gerade Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden, ihre Hilfe nicht verweigern – zumindest, wenn sie sich nicht mit ihrer Menschenrechtsrhetorik lächerlich machen will. Damit hat die EU die Möglichkeit, zumindest intern, gewisse Mindeststandards zu setzen und auf ihre Einhaltung zu drängen. Dass es dabei erhebliche Mängel gibt, hat jedoch gerade der Fall Brenda Namigadde erneut bewiesen.