Über die Rolle von Kleinbauern in der globalen Agrarpolitik

Weniger Fleisch, mehr Gartenbau

Bei der Welternährung geht es um mehr als ein Verteilungsproblem. NGO und Vereinte Nationen fordern eine Änderung der weltweiten Agrarpolitik und setzen auf den Kleinbauern.

Die globale Gesellschaft verfüge, da ist sich der einschlägige »Attac-Basistext« sicher, »über die notwendigen Mittel, um Hunger und Armut abzuschaffen. Das Problem ist die Verteilung.« Der Attac-Autor Steffen Stierle formuliert damit eine seit Jahrzehnten zum linken Glaubenskanon gehörende Überzeugung – und hat damit Recht. Noch. Für 2050, wenn etwa neun Milliarden Menschen auf der Erde leben werden, kann man sich da nicht mehr so sicher sein.
So stellt Manfred Zeller, der Leiter des Food Security Center an der Universität Hohenheim, fest: »In den vergangenen fünf Jahrzehnten gab es ausreichend Nahrungsmittel für die gesamte Weltbevölkerung. Hunger war eine Folge ungleicher Verteilung.« Doch in den kommenden Jahrzehnten, befürchtet Zeller, könnte es sein, dass »weltweit tatsächlich nicht mehr genug Nahrungsmittel produziert werden«.
Die Prognose ist leicht nachzuvollziehen. Die Weltbevölkerung wächst schneller als die Getreideerträge, die weltweiten Anbauflächen lassen sich kaum noch erweitern, in vielen Regionen wird das Wasser knapp, und gerade in armen Ländern in Afrika und Asien beginnt der Klimawandel, die Produktion noch zusätzlich zu erschweren. Im Fall von Reis etwa lagen schon von 2002 bis 2004 die Erntemengen unter dem Verbrauch. Damals wurden die Vorratsspeicher leergegessen. Wenn die Entwicklung weitergeht wie bisher, dann übersteigt beim Reis schon 2015 der Bedarf die Produktion. Aber erst 2050 könnte sich die Zahl der Menschen auf dem Planeten stabilisieren. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) geht davon aus, dass bis dahin die landwirtschaftliche Produktion um 70 Prozent gesteigert werden muss. Die Zahl ist gewaltig, aber mit Vorsicht zu genießen, denn dabei wird davon ausgegangen, dass der Fleischkonsum weiter ansteigt und so große Flächen für Futtermittel gebraucht werden. Der Anbau von Mais, Raps und Zuckerrohr für Agro-Kraftstoffe verschärft den Kampf um fruchtbares Land zusätzlich.

Vor diesem Hintergrund sichern sich beispielsweise China, Ägypten oder die Golfstaaten zunehmend Flächen im Ausland, um ihre Nahrungsversorgung sicherzustellen. So hat Kuwait 130 000 Hektar Land in Kambodscha für den Reisanbau gepachtet. Libyen hat sich 250 000 Hektar für den Getreideanbau in der Ukraine gekauft und die sudanesische Regierung hat 1,5 Millionen Hektar Farmland den Golfstaaten, Ägypten und Süd­korea überlassen.
Ähnliche Deals werden in anderen afrikanischen Ländern eingefädelt. Oft müssen die Kleinbauern weichen, die bisher das Land bebauen. Auch Agrarkonzerne und Investmentfonds sichern sich Land und lassen die Familien vertreiben, die es zuvor bebauten. Erst Anfang November veröffentlichte die Menschenrechts­organisation »Food First Information and Action Network« (FIAN) den Fall einer thailändischen ­Zuckerfirma, die in Kambodscha Kleinbauern vertreiben ließ. An der Firma, die Zucker für den europäischen Markt produziert, sind auch Investmentfonds der Deutschen Bank beteiligt. Die vertriebenen Familien konnten sich vorher von dem Land ernähren, jetzt wird dort billiger Zucker für Europa produziert. Auch so entsteht das »Verteilungsproblem«.
Organisationen wie Via Campesina, ein internationales Netzwerk von Kleinbauern-Organisationen, mobilisieren gegen solchen Landraub, und auch die UN versuchen inzwischen, Regeln für ausländische Investitionen in die Landwirtschaft aufzustellen. Aber wie könnte eine Zukunft aussehen, in der nicht nur die Staaten ihre Bevölkerung versorgen können, die sich rechtzeitig fruchtbares Land gesichert haben? Mit welchen Anbaumethoden können genug Nahrungsmittel hergestellt werden, ohne dass mehr Wald gerodet werden muss? Und wie kann sich die Landwirtschaft gleichzeitig an den Klimawandel anpassen und selbst weniger zur Erderwärmung beitragen? Via Campesina hat klare Antworten: »Kleinbauern können die Welt ernähren!« Oder: »Kleinbauern kühlen die Erde!«

Gewagte Thesen. Doch überraschenderweise gibt es viele mehr oder weniger plausible Strategien, wie der Hunger bekämpft werden kann, und fast immer spielt dabei auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft eine Rolle. Potentiell sind Kleinbauern pro Hektar tatsächlich produktiver als große Monokulturen. Sie erreichen zwar geringere Erträge für ein Getreide, nutzen aber das Land in der Regel nicht nur für verschiedene Getreide, sondern bauen oft auch Gemüse oder Obst an und halten einige Tiere, die Reste verwerten können und Dünger liefern. Statt Maschinen wird die Arbeitskraft der ganzen Familie eingesetzt und dabei oft schonender und sorgfältiger mit dem Land umgegangen. Die Kosten für Vorarbeiter können sich Kleinbauern auch sparen. Im Idealfall reichert eine solche Bewirtschaftung den Boden an und speichert so Kohlenstoff, statt weitere Klimagase freizusetzen. Im Idealfall.
Die Realität sieht heute meistens anders aus. Etwa 70 Prozent der 900 Millionen Hungernden – so die Schätzung der FAO für 2010 – leben auf dem Land und viele davon sind Kleinbauern, die nicht genug anbauen, um sich selbst zu ernähren. Und nur zum Teil liegt das daran, dass Monokulturen sie von fruchtbarem Land verdrängt haben. Wenn die FAO oder Wissenschaftler wie Manfred Zeller mehr Aufmerksamkeit für Kleinbauern fordern, dann geht es deshalb zunächst darum, den Hunger der Bauern selbst zu bekämpfen.
In die gleiche Richtung weist auch der 2008 veröffentlichte Weltagrarbericht. Das über 2 000 Seiten dicke Dokument, geschrieben von einem Gremium aus 500 Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen, das Weltbank und UN 2003 ins Leben gerufen hatten, ist ein Aufruf zur Änderung der weltweiten Agrarpolitik und Agrarforschung. Er kommt zu dem Schluss: »›Weiter so!‹ ist keine Option mehr.« Der Bericht ist, ähnlich wie der Weltklimabericht, eine Mischung aus wissenschaftlicher Bestandsaufnahme und Aushandlung politischer Ziele. An der Erarbeitung waren auch NGO und Agrarunternehmen beteiligt. Der Agrarkonzern Syngenta und die Agrarindustrievereinigung Croplife zogen allerdings ihre Mitarbeit kurz vor der Verabschiedung der Endfassung zurück. 58 Staaten stimmten schließlich den Schlussfolgerungen aus dem Bericht zu. Seither hat die Forderung nach einer Agrarwende und der Unterstützung von Kleinbauern an dip­lomatischem Gewicht gewonnen, und Organisationen wie Brot für die Welt oder FIAN berufen sich gern auf ihn.
Eine wichtige Schlussfolgerung des Berichts ist es, dass für die Hungerbekämpfung nicht mehr vor allem auf Produktivitätssteigerungen in der industriellen Landwirtschaft gesetzt werden dürfe. Stattdessen solle die Wissenschaft in Kooperation mit Kleinbauern und Indigenen lokal und kulturell angepasste Produktionsmethoden entwickeln. Der Bericht fordert für die kleinbäuerlichen Betriebe einen besseren Zugang zu Land und Produktionsmitteln.
In diesem Punkt liegt der Bericht ganz auf der Linie von Via Campesina und ihren urbanen Unterstützern. Im Detail gehen die Vorstellungen freilich weit auseinander. Während hybride Pflanzensorten, eine Errungenschaft der »grünen Revolution«, für Via Campesina Teufelszeug sind, weil die Bauern nicht mehr selbst ihr Saatgut gewinnen können, gelten solche Pflanzensorten für viele als unverzichtbar für die Welternährung. Manfred Zeller führt als gelungenes Beispiel kleinbäuerlicher Produktion Vietnam an, wo Kleinbauern ertragreiche Hybridsorten anbauen.

Die Vision von Via Campesina – »Kleinbäuerliche nachhaltige Landwirtschaft: Die Zukunft des Planeten« – klingt dagegen so, als gäbe es ein »Weiter so« für die Kleinbauern oder gar ein Zurück in eine glückliche Vergangenheit. Das Modell der kleinbäuerlichen Landwirtschaft habe, so heißt es in dem programmatischen Papier der Organisation, »tausende von Jahren die Welt ernährt«. Dieses Modell gelte es zu verteidigen.
Aus dem Weltagrarbericht lässt sich dagegen he­rauslesen, dass es auch für die kleinbäuerlichen Betriebe kein »Weiter so!« geben darf. Ein Beispiel ist die Rolle von Bäuerinnen. Der Bericht stellt fest, dass dort die größten Fortschritte in der Hungerbekämpfung erreicht werden, wo Frauen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Land und Geld haben. Schon immer leisten Frauen einen großen Teil der Arbeit in der Landwirtschaft, fällen aber nicht die Entscheidungen.
Statt Rückbesinnung fordert der Weltagrarbericht zur Entwicklung neuer Techniken auf und vor allem zum intelligenten Einsatz vorhandener Techniken. Die Wissenschaft müsse dabei »die Bedürfnisse kleinbäuerlicher Betriebe in ganz unterschiedlichen Ökosystemen im Auge haben«. In vielen Fällen sind es ganz einfache Maßnahmen, die die Erträge steigern und Hunger verhindern könnten. Dazu gehören Straßen und funktionierende Getreidespeicher, damit in guten Jahren die Bauern ihre Überschüsse verkaufen oder einlagern können und nach Missernten die Nahrungsmittelvorräte auf dem Land ankommen. Dazu gehören auch Bewässerungssysteme, die weniger Wasser verschwenden, und traditionelle oder neu entwickelte Getreidesorten, die mit weniger Wasser auskommen.

In Deutschland bemüht sich unter anderem Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft um die Verbreitung der Botschaften des Weltagrarberichts. Haerlin vertrat europäische und nordamerikanische NGO im Aufsichtsrat für den Bericht und engagiert sich in der Initiative »Save our seeds« gegen genverändertes Saatgut. Er spitzt den Bericht auf den Satz zu: »Wir brauchen eine agrar-ökologische Revolution.« Dabei komme es entscheidend auf die Kleinbäuerinnen und -bauern an. Bei Haerlin ist der Kleinbauer zwar keine wundertätige Figur mit 1 000jähriger Vergangenheit. Trotzdem fragt man sich, ob er dem Kleinbauern bzw. der Kleinbäuerin nicht zu viel zumutet, wenn er sagt: »Der gärtnerisch wirtschaftende Kleinbauer ist das Modell der Zukunft.«
Aber auch wenn nicht alle Hoffnung auf dem kleinbäuerlichen Familienbetrieb liegt, eines ist klar: Bei der Welternährung geht es um mehr als ein Verteilungsproblem. Wer sich nicht mit einem darwinistischen Kampf um die Ressourcen abfinden will, der kann sich schon mal Gedanken darüber machen, ob es vielleicht sinnvoll ist, als städtischer Kleinbauer urban farming zu betreiben (Jungle World 36/2010) oder die Ernährung auf Algen, Quallen und Heuschrecken umzustellen. 2050 ist nah.