Sascha Lobo: »Strohfeuer«

»Suuuuuuupi! Wirklich!«

Sascha Lobo hat sich von großen Werken inspirieren lassen und einen Roman über die Epoche der New Economy verfasst. ­Herausgekommen ist eine Lausbubengeschichte, die nicht annähernd so unterhaltsam ist, wie es der Autor gern hätte.

New Economy, Dotcom-Hype, Dotcom-Crash – das klingt heutzutage so aufregend wie Altpleistozän, Holozän oder ähnlich lange zurückliegende Erdzeitalter. Die Krise der IT-Branche ist zehn Jahre her, mittlerweile schlägt sich die ganze Welt mit einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise herum. Dass in den Jahren 2000 und 2001 zahlreiche Webdesigner, Grafiker, Marketing­spezialisten, Werbedesigner und in ähnlichen Sparten tätige Menschen ihre schicken Mittelklasseautos gegen nicht ganz so repräsentative Kleinwagen eintauschen mussten, wirkt angesichts des Elends, das die derzeitige Krise mit sich bringt, doch eher harmlos.
Nun gut, mag man sich denken, auch wenn das Setting nicht sonderlich aufregend klingt: Vielleicht hat Sascha Lobo ja eine famose, unterhaltsame, unglaubliche und vollkommen überraschende Geschichte aus der Zeit der New Economy zu erzählen. Doch kurz gesagt: Das hat er nicht. In »Strohfeuer«, seinem ersten Roman, kommt alles, wie es kommen muss: Ein Mittzwanziger mit ausgeprägtem Hang zur Aufschneiderei gründet mit anderen Personen seines Schlags eine auf das Internet spezialisierte PR-Agentur und schwatzt seinen vom Dotcom-Boom benebelten Kunden überteuerte Werbekampagnen auf. Der Erfolg kommt, bleibt ein Weilchen und geht wieder. Als die Belegschaft den Einsturz der New Yorker Twin ­Towers im Fernsehen verfolgt, fällt auch – wie einfallsreich – das Unternehmen endgültig in Trümmer. Ende der Geschichte. Als Dekor hat sich Lobo noch eine scheiternde Liebe und Ausflüge in die Kindheit des Ich-Erzählers ausgedacht. Ohne weiter aufzufallen, fügen sich diese Elemente in die erzählerische Ödnis ein: Firmenkonferenz folgt auf Firmenkonferenz, Vertragsabschluss auf Vertragsverhandlung, zwischendurch: Party.
»Felix Krull« von Thomas Mann habe ihn in seiner »Arbeit an diesem Roman« beeinflusst, sagt Lobo, ebenso wie »Gottes Werk und Teufels Beitrag« von John Irving, »Der ewige Spießer« von Ödön von Horváth und die Bibel. Sehr große Vorbilder hatte der Autor also für seine Geschichte über einen Dotcom-Opportunisten, der »erbärmlich ist, weil das Einzige, was an ihm besonders ist, sein Größenwahn ist«. Statt einer bösen Satire hat es aber nur für eine recht langweilige Lausbubengeschichte gereicht.
Von der ganz besonders bräsigen Witzigkeit, die dem Genre der Lausbubengeschichte eigen ist, bleibt man dann auch auf kaum einer Seite verschont. Wenn kondensiertes Wasser von der Decke tropft, heißt das »Indoor-Regen«. Ein schöner Innenhof wird zu einer »Hof gewordenen Aufforderung zum Grillen«, die Abneigung gegen alte Autos zur »Altautoallergie«. Kein Schenkelklopfer ist zu schlecht: »Das Kind war nicht nur in den Brunnen gefallen, sondern auch ertrunken und schon in Aufquellung begriffen.« Oder: »Aus dem Browserverlauf, aus dem Sinn.«
Mag sein, dass Lobo sich auf diese Weise bemüht, den Jargon des Milieus zu parodieren. Es gelingt ihm aber nicht. Wenn der Ich-Erzähler Stefan spricht, wirkt es stets so, als würde es schnurstracks und unverblümt aus Lobo selbst herausplappern. Keine ironische Distanz, kein satirischer Bruch lässt sich erkennen. Deshalb sind auch die unzähligen Dialoge geradezu unerträglich. »Wie ist die Stimmung so? Ich meine, hier in der Agentur?« – »Suuuuuuupi! Wirklich! Alle sind so froh, hier zu arbeiten, echt, hab ich noch nie erlebt. Wenn du Samstagabend halb acht gehst, sitzen noch alle da und worken. Toll, ne?« So schnattern sie vor sich hin, die Figuren in diesem Klamauk. Ebenso missglückt Lobo der Versuch, die männlichen Allmachtsphantasien der Dotcom-Hochstapler satirisch darzustellen. »Die beiden verschwitzten Girls umarmten sich und versanken in einem Zungenkuss. Ich drückte mich dazu, als schon ein paar feuchte Kleidungsstücke auf dem Boden lagen, und wurde ohne größeren Widerwillen aufgenommen. Wir gerieten ins Vögeln.« Oder auch: »Ich fasste mit der einen Hand ihren Nacken wie bei einer jungen Katze, diesem Griff konnte sie kaum widerstehen. Dann vögelten wir unserem neuen Reichtum entgegen.«
»Natürlich soll das Buch unterhaltsam sein«, sagt Lobo. Wer sich von gepflegtem Herrenwitz unterhalten fühlt, dürfte tatsächlich eine große Freude an »Strohfeuer« haben. Doch dem Schreiber geht es nicht nur um banale Erheiterung. Er möchte »dem Leser Erkenntisreichtum andienen«. Schnell stellt sich während des Lesens auch eine Erkenntnis ein: Nicht nur an der Handlung und dem Humor hapert es, auch mit der Sprache hat Lobo so seine Probleme. Ganz raffiniert sollen manche Formulierungen klingen, heraus kommen jedoch Unfälle wie dieser: »Ich hatte den Mann im Verdacht, zwei bis vier sehr ähnliche Männer zu sein. Aber da er immer die gleiche Brille trug und immer gleich freundlich grüßte, kam ich nicht dahinter.« Oder es endet in aufdringlicher, rhetorischer Schaumschlägerei: »Sie erwiderte den Kuss zu ungefähr einem Drittel. Das Telefon klingelte in ihre Drittelherzigkeit hinein.« Nicht einmal halbherzig möchte man deshalb »Strohfeuer« zur Lektüre empfehlen. Diese Erkenntnis wollte Sascha Lobo sicher nicht befördern.

Sascha Lobo: Strohfeuer. Rowohlt, Berlin 2010, 288 Seiten, 18,95 Euro