Spur der Tomaten

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Für Joe Cocker muss das hier das Paradies auf Erden sein. Der Mann ist nämlich verrückt nach Tomaten, angeblich bringt er von jeder Tournee Samen aus aller Welt mit und züchtet daheim in Colorado in seinem Garten alle möglichen Sorten. Ob er mit seiner neuen Platte auch nach Lissabon kommen wird, wissen wir nicht, aber wenn, dann wird er schnell den richtigen Ort finden für seine Leidenschaft. Auch wir sind förmlich darüber gestolpert.
Man könnte fast sagen: Der Weg zu unserem Ferienhaus war gepflastert mit Tomaten. In den Rinnsteinen entlang der N 118, der Nationalstraße, die aus der Tejo-Ebene hochführt nach Benavente, liegen sie herum, fast wie Perlen aufgereiht, eine rot leuchtende Spur auf dem Asphalt. Wie es zu dieser ungewöhnlichen Rinnsteinablagerung kommt, bleibt nicht lange ein Geheimnis, wenn man nördlich von Lissabon auf den Straßen unterwegs ist. Lastwagenweise werden die Tomaten herangekarrt, unzählige riesige Transporter, auf denen die kleinen roten Früchte sich türmen und von denen sie massenweise während der Fahrt herunterpurzeln. Ganz offensichtlich kommt es hier auf die eine oder andere Tomate nicht an.
Folgt man den Lastwagenkolonnen, steht man plötzlich kurz hinter Benavente auf einem staubigen Parkplatz. Bestimmt 100 LKW oder auch Traktoren mit enormen Anhängern voller Tomaten stehen hier in der glühenden Sonne und warten darauf, ihre Fracht zu entladen. Tag für Tag zwischen Juli und Ende September dasselbe Bild. Denn hier befindet sich die Guloso-Fabrik. »Guloso« ist nicht nur der Markenname, sondern bedeutet auf Portugiesisch auch so viel wie »gefräßig«. Wir sind an Portugals Tomaten-Hotspot, wo Tomaten zu ­Ketchup, Mark, Suppen, Saft und Soßen weiterverarbeitet werden. Die Fabrik gehörte einst zum US-amerikanischen »Heinz«-Konzern, ist jetzt aber in portugiesischer Hand. In den Supermärkten hier wird allerdings vor allem spanischer Ketchup angeboten.
Früher bekamen die Bauern für ihre Tomaten 30 Pfennig pro Kilo von der Fabrik, jetzt sind es noch sechs bis sieben Cent. Vor ein paar Jahren kam die Mehrheit der Tomaten noch von Kleinbauern, inzwischen aber nur noch ein geringer Teil. Nur die großen maschinell bestellten und geernteten Flächen im sonnigen Delta des Tejo sind wirklich rentabel. Die Masse macht’s.
Geschmacklich können wir über die portugiesische Tomate aus dem Tejo-Tal trotzdem nur das Beste sagen. Fruchtig ist sie und saftig, aber nicht wässrig, also in jeder Hinsicht das Gegenteil der sogenannten Tomate, wie man sie aus holländischen Gewächshäusern kennt. Die aus der Guloso-Fabrik stammende Flasche mit passierten Tomaten erfüllte ebenfalls all unsere Erwartungen. Aber wer weiß, vielleicht interessiert Joe Cocker die kulinarische Seite der Tomate gar nicht, sondern nur die gärtnerische. Wir sind uns sicher, irgendein Bauer wird ihm für sechs oder sieben Cent ein paar Samen überlassen. Wenn Cocker denn den Weg hierher findet.