Eine Club-Nacht in Porto

Keine Story vor Vier

In Berlin fragen portugiesische Easyjetter ständig nach dem Weg zum Berghain. Aber nach welchem Club fragt man, wenn man aus Berlin nach Porto jettet? Berlin feiert zurück, das hatten wir jedenfalls vor.

Als Berliner ist man verwöhnt. Auf der Club-Rangliste des Online-Magazins Resident Advisor rangiert der »Tresor« auf Platz 40, die »Bar 25« auf Platz 19 und das »Watergate« auf Rang 3. Zum besten Club der Welt wurde das »Berghain« gekürt, das bei Europas Jugend mittlerweile bekannter ist als das Brandenburger Tor. Nach dem »Berghain«, dem »Watergate« oder dem »Cassiopeia« wird man in Berlin von portugiesischenen Easy­jettern schließlich gefühlte fünfmal pro Nacht gefragt. Wenn man das Easyjetten aber umdreht und von Berlin nach Porto reist, wonach fragt man da?
London hat die »Fabric«, New York hatte das »Studio 54« und Düsseldorf hat den »Ratinger Hof«. Aber was hat Porto? Dort soll es rocken, denn Lissabon, so haben wir gehört, sei »übereta­b­liert«, da ginge nicht viel. Also auf nach Porto. Drei Stunden Schlaf müssen reichen, um Viertel nach Sechs startet das Flugzeug in Tegel. Es folgen vier Stunden Aufenthalt in Brüssel, und nach der Ankunft in Lissabon muss noch die für die Zeitungs­produktion benötigte Hardware eingeladen und in unser Luxusdomizil gebracht werden. Mittlerweile ist Tagesschau-Zeit, und die Versuchung, einfach am Pool zu bleiben statt 300 Kilometer mit dem Auto nach Porto zu fahren, ist groß. Bis wir da sind, ist es Mitternacht. Eine »Schnapsidee«, sagt der Chef vom Dienst.

Um nicht völlig orientierungslos durch die Gassen Portos zu streifen und junge Portugiesen mit Fragen nach dem besten Club zu nerven, haben wir uns mit dem DJ und Comic­zeichner Pedro Augusto verabredet. Wir treffen ihn im »Passos Manuel«. »Das war bis vor ein paar Jahren das letzte Kino in der Innenstadt«, sagt Pedro, der in Porto Kunst studiert hat. Dank seiner überdimensionierten Brille sieht er aus, als käme er direkt aus Friedrichshain. »Mittlerweile gibt es nur noch Multiplex-Tempel am Stadtrand«, sagt er. Immerhin liegt hinter der hippen Bar noch der alte Kinosaal, und wenn man kapiert, wo man durchgehen muss, findet man ihn hinter einer gepolsterten Tür. Auf der Bühne improvisiert ein verzweifelt aussehender Mensch auf einer verstimmten Akustikgitarre, auf der Leinwand hinter ihm fahren LKWs auf einer Autobahn. Wir fragen uns, was das für Musik ist. Chicago hat Acid House hervorgebracht, Techno stammt aus Detroit, Drum’n’Bass aus London, und aus Porto kommt – klar, der Fado! Wir fragen Pedro, aber nein: Die melancholisch-psychedelischen Improvisationen, die in einem die Lust auslösen, tief im Kinosessel zu versinken, um endlich mal zu entspannen, stammen vom Gitarristen der Band Dead Combo. Er heißt Tó Trips, was übersetzt angeblich bedeutet: »Antonio, der sich gerne prügelt«. Was er da spielt, ist kein Fado.

Fado soll es gegenüber im »Maus Habitos« geben. »Klar hören die Jungen hier noch Fado«, sagt Neida, die den Eintritt kassiert. Aber das Fado-Konzert, zu dem es auch etwas zu essen gab, sei schon vorbei. Außer ihr, einem süßen Türsteher im schwarzen Anzug und der freundlichen Chefin des Clubs ist leider kaum jemand da. »Doch, Fado läuft eigentlich ganz gut«, sagt sie. Offenbar steht die Jugend Portos auf noch viel traditionellere Musik als den Funk, der jetzt im hinteren, leider fast leeren Saal läuft. Ob die Fado-Tristesse irgendwie mit dem Nachtleben der Stadt korreliert? Nein, sagt Neida, »es gibt auch fröhlichen Fado«, und so traurig sei es hier gar nicht, auch wenn sie kaum noch ausgehe. Soweit wir sie verstehen, ist es ihr zu gefährlich: »Too much Mafia«. Der junge Türsteher lacht. Wenn es hier wirklich gefährlich wäre, stünde wohl nicht so ein herziger Kerl wie er in der Tür.
Einen doppelten Wodka später suchen wir in der Straße weiter unten den »Pitch Club«. Vielleicht ist das ja der aufregendste Club der Stadt, immerhin soll hier später unser Freund Pedro Augusto alias GhunaX seinen neuesten Elektrobastelkram präsentieren. Und wir wollen uns amüsieren, aber der rote Teppich vor der Tür dämpft unsere Hoffnung. Schwarz livrierte Türsteher drücken uns eine Art Flyer in die Hand. Gerade noch rechtzeitig finden wir heraus, dass man diese Karte auf keinen Fall verlieren oder wegwerfen darf. Das könnte 300 Euro kosten, denn auf der Karte ist Platz für ungefähr 50 ankreuzbare Drinks, und wenn die davon tatsächlich konsumierten nicht am Schluss als brav bezahlt markiert sind, lassen einen die Herren in Schwarz nicht mehr raus. Symphatisches Prinzip.
Die Betreiber des Clubs befürchten wohl, dass sonst nicht genug Geld in die Kasse kommt. Die Lounge im ersten Stock, die so aussieht, als habe sie ein Innenarchitekt vom Lande mit dem allerneuesten Großstadtschick dekorieren sollen, ist um drei Uhr immer noch fast leer, der einzige Sympath im Laden ist ein junger Grafik-Designer, der uns einen Club namens »Plan B« empfiehlt. Wir sind mittlerweile schon bei Plan D, aber der Vorschlag hört sich gut an. »You go to the other side of the city and then left and at the big place you go right and then left. And then always straight ahead.« OK, bevor wir auf Weltreise gehen, gehen wir erst mal in den Keller.
Der DJ, der unten auflegt, hat mehr Spaß als wir. Die Lüftungsanlagen sind großartig, solche wünscht man sich in Berliner Clubs. Mangels schwitzender Massen ist es hier einfach nur saukalt. Wir warten auf GhunaX. »Vielleicht muss man sich einfach mal auf einen Club einlassen«, sagt der schlaue Kollege und gähnt. Nach fünf weiteren Takten der mit Gitarrensoli verschnörkelten Malle-Beats sind wir draußen. So locker wie die trunkenen portugiesischen Jungs, die sich hier prächtig amüsieren, sind wir leider nicht. Wenn man sich für eine Story amüsieren muss, ist es nicht leicht, locker zu sein. Und bis GhunaX auflegt, kann es noch Stunden dauern.
Das »Theatro« ist ein Laden, in dem Männer noch echte Männer und Frauen noch echte Frauen sind. Drinnen läuft Eurotrash. Euro­trash für 15 Minuten ist witzig. Aber Eurotrash für 15 Euro? In einem rein weißen Hetero-Ambiente mit Gästen bis Anfang Zwanzig? Wir suchen lieber den »Tunnel«, den man uns empfohlen hat, den »Gare-Club«, wie der Laden am Bahnhof heißen soll. Ein nettes, etwas abgerocktes Pärchen erklärt uns den Weg: »Is very difficult to find«. Wir sind etwas nüchterner und finden den Club. Doch wir finden vor der Tür auch eine beachtliche Schlange vor.

Es kommt zur Spaltung. »Ich geh’ jetzt mal ins Bett«, sagt ein schlauer Kollege, der andere schlaue Kollege schließt sich ihm an. »Ausgerechnet jetzt, ihr Schlappmacher, wollt ihr mich alleine lassen?« Ich bin entsetzt. Nach drei Stunden Schlaf und 24 Stunden unterwegs stehen wir um vier Uhr vor dem ersten Club, der wenigstens voll ist, und jetzt wollen die schon ins Bett? »Leckt mich, ich geh’ alleine rein.«
Wer älter als 16 oder weiblich ist, darf durch die Tür, alle anderen stehen sowieso auf der Gästeliste. Ich hatte einen echten Tunnel erwartet, aber das Ding ist eher ein großer gemauerter Gewölbekeller. An der Bar wedeln gepiercte Teenager mit irgendwelchen Bons. Noch so ein spezielles Bezahlsystem. Die Bons bekommt man an einer einzigen Kasse, vor der sich eine ganze Herde junger Männer drängt. Zum Glück haben die jede Menge Drogen und wirklich gute Laune. Am besten gelaunt ist der Typ an der Kasse, die schon vor Scheinen überquillt. Dumm di dum di du dum di dum di. Rigidgin Oah Ohoh. »Mööp«, tönt eine Presslufthupe, das Publikum tobt, als seien Drum’n’Bass und dieser Ragga-Jungle-Kram gerade erst erfunden worden.
»Berlin – ah, I heard of the Buaorghaim«, schreit mir Luis morgens um sieben Uhr ins Ohr, während er mitten auf der Tanzfläche für seine Freundin eine Line auf einem Flyer zurechtschiebt. Ein paar mehr und ein paar weniger trainierte Jungs ziehen sich ihre T-Shirts über den Kopf, einer von ihnen stolpert gegen Luis’ Hand. Jetzt klebt das Pulver an einem schweißnassen, behaarten Männerrücken.

»Lick his back«, lacht Luis. Seine Freundin verdreht die Augen, streckt die Zunge raus und quiekt: »Fucking disgusting«. Sie schnieft sowieso noch von der letzten Nase, aber Luis macht sich nochmal auf die Suche nach dem Mann mit dem Koks. Und ich gehe lieber mal nach Hause. Um GhunaX noch im Pitch Club zu hören, ist es mittlerweile wohl zu spät, den habe ich vor lauter Ungeduld verpasst.
Leider fällt mir weder der Name des Hostels ein noch der Name der Straße, in der es liegt. Hätten mir die Kollegen doch Namen und Adresse auf den Unterarm geschrieben. So macht man das mit Easyjettern, die sich in fremden Städten ohne Sinn und Verstand vergnügen wollen. Der CvD hatte Recht, wie so oft. Was für eine Schnapsidee. Immerhin ist es mittlerweile hell. Einige Stunden später kenne ich Portos Innenstadt ganz gut, und irgendwann finde ich auch das Hostel. Als ich mich ins Dorm taste, um noch zwei Stunden zu schlafen, bevor wir die Betten frei machen müssen, dröhnt richtig guter House durchs Fenster. Das Berghain Portos liegt wahrscheinlich genau hier unten im Hinterhaus.