Über streikende Polizisten

If the cops are united

Eine Polizeigewerkschaft in Portugal übt sich im Ungehorsam und möchte während der Nato-Tagung streiken.

Darf man als Linker Sympathien für Polizisten bekunden? Pier Paolo Pasolini applaudierte bekanntlich der Polizei, wenn diese auf aufmüpfi­­ge Studenten einprügelte, die er für »Bürgersöhnchen« hielt. Solch Zynismus ist es jedoch nicht, weswegen Linke in Portugal recht wohlwollend von der Polizei erzählen, mit der Hausbesetzer angeblich in friedlicher Koexistenz leben. Ein gestandener Autonomer aus dem fernen Friedrichshain dürfte darüber nur den Kopf schütteln. Doch wenn er sich in diesen Tagen in Portugal genauer umschaut, dann könnte auch ihn womöglich ein Anflug von Sympathie für manchen Polizisten überkommen. Denn zum ersten Mal hat dort eine Polizeigewerkschaft gedroht, in einen Streik zu treten – ausgerechnet während der Nato-Tagung Ende November in Lissabon. Unverzüglich erklärte das portugiesische Innenministerium den Streik für »illegal«, er könne unter keinen Umständen toleriert werden. Die Polizeigewerkschafter beklagen sich nun – man höre und staune – über »Repressalien«, und halb Portugal fragt sich: Haben Polizisten ein Recht auf Ungehorsam?

Als eine Geste der Solidarität mit den Demonstranten, die gegen die Nato-Politik protestieren werden, ist der geplante Streik freilich nicht zu verstehen. Das wäre dann doch der Kuriosität zu viel. Den Streik mit dem großen Stelldichein westlicher Regierungschefs zusammenfallen zu lassen, gilt der Polizeigewerkschaft Sinapol anscheinend als gewichtiges Druckmittel. »Die Entscheidung über den Zeitpunkt eines Streiks ist immer eine strategische Frage«, äußerte sich dazu Armando Ferreira im Gespräch mit der Jungle World. Genauer wollte der Sinapol-Vorsitzende dann aber doch nicht werden. Die zweitgrößte Gewerkschaft bei der städtischen Polizei hofft, mit diesem Streik der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen etwas entgegensetzen zu können. So beklagen die Polizisten unter anderem einen Beförderungsstopp, vorenthaltene Löhne, Gehaltskürzungen und überladene Schichtpläne. Bemerkenswert ist zudem, dass die Gewerkschaft der Polizeidirektion eine »diktatorische Tendenz« vorwirft, der die Tradi­tion zugrunde liege, keinen Widerspruch dulden zu dürfen. Die Direktion weigere sich deshalb, mit der Gewerkschaft zu verhandeln, und halte sich nicht an die »demokratischen Regeln des sozialen Dialogs«, heißt es in der Streikdrohung. Letztlich gehe es auch um das Recht auf Streik und die Anerkennung der Polizisten als Arbeitnehmer mit entsprechenden Rechten, wie Ferreira bestätigte.
Tatsächlich muss die 2004 gegründete Sinapol hart um ihre Anerkennung kämpfen. Bereits im April wies sie während eines Besuchs des Papstes öffentlich auf Repressalien gegen Polizeigewerkschafter hin. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 30 Disziplinarverfahren gegen Polizisten wegen gewerkschaftlicher Betätigung im Gange. Noch im Juli klagten Sinapol-Gewerkschafter über Lohnkürzungen, die ihnen als Disziplinarmaßnahmen auferlegt worden seien. Anfang September folgte schließlich der große Eklat. Dafür, dass Ferreira im Namen seiner Gewerkschaft die Streikdrohung veröffentlichte, erntete der nur partiell vom Polizeidienst freigestellte Gewerkschafter prompt eine dreimonatige Suspendierung – und ein Disziplinarverfahren obendrein.
Die Maßnahmen gegen Ferreira lösten heftige Empörung aus. Namhafte Juristen übten Kritik daran, während zahlreiche Gewerkschafter ihre Solidarität bekundeten. So bezeichnet die sozialdemokratische TSD die Maßnahme der Polizeidirektion gar als »extremistisch«. Pikant ist die Angelegenheit zudem, weil der Gewerkschaftsvorsitzende nur der Überbringer der Streikdrohung war. Schließlich werden bei der Sinapol derartige Entscheidungen ausschließlich auf der Hauptversammlung beschlossen. Ferreira betonte später in der Presse, dass er selbst sich sogar gegen den Streik ausgesprochen habe, er sei aber satzungsgemäß verpflichtet, den fast einstimmigen Beschluss der Versammlung zu vollziehen. Die Mitglieder seiner Gewerkschaft zeigten sich über den Fall dermaßen empört, dass unter ihnen eine Ketten-SMS die Runde machte, in der zu einem wilden Streik aufgerufen wurde. Der Sinapol-Vorsitzende wiederum beruhigte daraufhin die Mitglieder, indem er sie in einem offenen Brief bat, keine übereilten Aktionen durchzuführen.

Nun tobt in der Politik und den Medien ein Streit um die Interpretation eines Gesetzes, aus dem die Sinapol ihr Recht auf Streik ableitet. Denn mit dem Gesetz 12-A wurden im Jahr 2008 die städtischen Polizeibehörden in den öffentlichen Dienst inte­griert. »Wir waren eigentlich gegen dieses Gesetz«, sagt Ferreira der Jungle World, »da es aber nun Tatsache ist, stehen uns dieselben Rechte wie allen öffentlich Beschäftigten zu.« Unterstützung erhält die Sinapol vom renommierten Arbeitsrechtler Garcia Pereira, der ebenfalls dieser Auslegung folgt und die Legalität eines Polizei­streiks nur an die Bedingung knüpft, dass der »notwendigste Mindestbetrieb« aufrechterhalten wird. Auch die regierenden Sozialisten mussten eingestehen, dass mit dem Gesetz eine Lücke geschaffen worden sei, wonach ein Polizeistreik zulässig sein könnte. Dies sei aber nicht beabsichtigt gewesen und einer Unachtsamkeit in der Gesetzgebung geschuldet, schließlich untergrabe es die staatliche Autorität, wenn Polizisten streiken dürften. Die Polizeidirektion schafft indes Tatsachen und geht gegen die Gewerkschaft vor – ganz im Sinne der vom Innenministerium angekündigten zero tolerance.
Auch andere Polizeigewerkschaften sind zwischenzeitlich aktiv geworden und haben vor zwei Wochen eine eintägige symbolische Belagerung des Innenministeriums durchgeführt – womöglich, um der Konkurrenz durch die Sinapol entgegenzuwirken, die auf ihrer Webseite von einem deutlichen Mitgliederzuwachs spricht. Infolge dieses Protests war das Innenministerium zu Konzessionen bereit. So sollen nun 3,5 Millionen Euro an vorenthaltenen Gehältern freigegeben und der Beförderungsstopp für etwa 1 500 Polizisten aufgehoben werden. Mehrere Polizeigewerkschaften, so etwa die größte, die ASPP, haben dem Kompromiss zugestimmt. Die Sinapol und eine weitere Polizeigewerkschaft, die SUP, sehen aber nur einen Bruchteil der Probleme gelöst, zumal die Konzessionen nur für eine kleine Gruppe unter den Polizisten gemacht würden. Deshalb wollen die beiden Gewerkschaften täglich vor dem Innenministerium protestieren und haben eine Mahnwache auf dessen Vorplatz eingerichtet. Sollte die Regierung den Forderungen nicht bald nachkommen, will man den Protest verschärfen: Mehrere Polizisten seien »opferwillig« und bereit, in einen Hungerstreik zu treten, ließ die Sinapol wissen. Auch an ihrer Streikdrohung hält sie unbeirrt fest.
Dieses ungewohnte Vorgehen von Polizisten ist auch ein Resultat der Wirtschaftskrise. Ähnlich wie in Griechenland galt in Portugal bisher der öffentliche Dienst als wichtigster und sicherster Arbeitgeber – nun soll vor allem hier gespart werden. Wäre die Regierung abgebrüht, würde sie – konträr zu den allgemeinen Kürzungen im öffentlichen Dienst – die finanziellen Mittel der Polizei nicht antasten oder diese sogar erhöhen, um sich ihre Loyalität für den Fall sozialer Konflikte zu sichern. Stattdessen wächst nun auch bei den Ordnungshütern der Unmut. Mit der 2008 entstandenen Gesetzeslücke sehen nun einige von ihnen die Möglichkeit, ihren sozialen Abstieg zu verhindern. So sehr der Arbeitskampf der ­Polizisten auch von beruflichen Partikularinteressen geleitet ist, der Einzug von etwas Ungehorsam in die staatlichen Drillstuben wird der Gesellschaft sicherlich nicht schaden.