Blickt zurück auf die linke Debatte über Europa und den Euro

Zwei Seiten des Euro

Rückblick auf eine linke Debatte über den Euro, lange vor dessen Einführung.
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Das Jahr 1997 ist lange her. Was waren das für Zeiten! Helmut Kohl war Kanzler, Oskar Lafontaine SPD-Vorsitzender, die RAF gab es noch, Google noch nicht, Prinzessin Diana starb, ein Crash an der Hongkonger Börse sorgte für ein Absacken des Dax um 311,9 Punkte, und in Deutschland wurden neue fälschungssichere 100-D-Mark-Scheine ausgegeben. Ja, D-Mark! Bis zur Einführung des Euro sollten noch fünf Jahre vergehen. 1997 ist auch das Jahr, in dem die Jungle World gegründet wurde. Die allererste Veranstaltung, die das Redaktions­team damals vor 13 Jahren im August organisierte, hatte den Titel: »Der Euro: Ein neoliberales Projekt – oder ein antinationales?« Über das Verhältnis der Linken zur Währungsunion diskutierten auf dem Podium im Berliner Kato Jürgen Trittin, damals Vorstandssprecher der Grünen, und Lothar Bisky, damals Bundesvorsitzender der PDS.

Von Anfang an hat sich die Jungle World intensiv mit den Chancen und Risiken des europäischen Einigungsprozesses beschäftigt und die diversen Ansätze linker Kritik diskutiert. Da war zum Einen die Befürchtung, die EU gerate zu einem System des Sozialabbaus, in dem eine unaufhaltsame Abwärtsspirale der sozialen Standards einsetzen werde. Es gab die Sorge, die EU werde zwar die Mobilität innerhalb Europas verbessern, dafür nach außen komplett zur »Festung« gegenüber Migranten werden. Drittens wurde kritisiert, die EU werde einen neuen Euro-Nationalismus hervorbringen, der die EU als Weltmacht zu etablieren versuche und womöglich auch den Aufbau einer Euro-Armee betreibe. Außerdem gab es Kritik an einem neuen Zentralismus und einer unkontrollierbaren Bürokratie. Auch vor der Dominanz Deutschlands und Frankreichs in Europa wurde gewarnt. Eine gemeinsame Währung, also die Einführung des Euro, werde das Projekt Europa und alle damit befürchteten Entwicklungen forcieren.
Lothar Bisky erklärte bei der Jungle-World-Veranstaltung, weshalb er die Einführung des Euro ablehne: »Mit dem Euro gewinnt die neoliberale Philosophie materielle Gewalt in Europa.« Er befürchte die Entstehung eines Kerneuropa: »Europa soll rein fiskalisch zusammengeschweißt werden, und ich bezweifle, dass das möglich ist. Wer ein Europa will, das nicht an der Oder endet, der muss sich auch Gedanken darüber machen, was aus den anderen osteuropäischen und mittel­europäischen Staaten wird.« Bisky verglich die geplante europäische Währungsunion mit der deutschen. »Es gibt einen Anpassungsschock, wenn die gemeinsame Währung kommt, so wie damals bei der Einführung der D-Mark im Osten auch – einen Anpassungsschock für den Arbeitsmarkt und auch für die Kapitalmärkte. Damit zusammenhängend werden die Zinsen weiter steigen, mit voraussehbaren Folgen. Dieses neoliberale Modell wird dann für Europa insgesamt bestimmend sein.«
Bisky erklärte, was aus Sicht der PDS die Alternative zum Euro sei: »Rückkehr zum Europäischen Währungssystem (EWS) mit engen Bandbreiten und Interventionspflicht der Zentralbanken und ständigen Konsultationen und Anpassungen; Begrenzung von Spekulationen durch eine differenzierte Spekulationssteuer von einem Prozent innerhalb dieses EWS und in doppelter Höhe für Transaktionen zwischen EWS und Währungsgebieten außerhalb des EWS, eine erweiterte Tobin-Steuer also; Integration Europas durch eine Sozial-, Umwelt- und Beschäftigungsunion.«
Trittin widersprach der Behauptung, der Euro sei ein neoliberales Projekt, und dem Vergleich mit der deutschen Wiedervereinigung: »Wer aus der deutschen Einheit eine Lehre ziehen will, der muss ja nun gerade sagen: ›Ich halte die Maas­tricht-Kriterien hoch, höher geht’s gar nicht.‹ Denn was ist bei der deutschen Einheit passiert? Ist sie einnahmefinanziert worden? Wurde auf niedrige Zinsen geachtet und darauf, dass die jährliche Staatsverschuldung nicht drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt – zwei der Maastricht-Kriterien? Das ist nicht passiert. Sondern der angeblich neoliberale Helmut Kohl hat das größte keynesianische Projekt in der Geschichte der Bundesrepublik, oder vielleicht der Geschichte Deutschlands überhaupt, aufgelegt.«

Trittin widersprach auch Biskys Ansicht, mit dem Euro werde es zu einem Zinsanstieg kommen: »Der Vertrag von Maastricht hatte europaweit die Angleichung der Zinsen nach unten zur Folge – das ist ja eines der Euro-Kriterien. Das Absinken des Zinsniveaus hat gerade in den südlichen Ländern, wo man ein sehr hohes Zinsniveau gehabt hat, positive realwirtschaftliche Effekte gehabt.«
Bisky sprach sich für die »Durchführung eines Volksentscheids« über die Einführung des Euro aus. Die PDS stehe für die Parole: »Ja zu Europa, nein zu Maastricht.« »Damit«, so Bisky, sei »etwas Doppeltes ausgedrückt: Einerseits die Ablehnung der neoliberalen Konzeption der Maastrichter Verträge mitsamt des Euro, andererseits wollen wir zum Ausdruck bringen, dass wir kein Zurück zu einem Europa der Nationalstaaten anstreben.« Gegen ein Referendum argumentierte Trittin: »Ich habe 1993 vor Asylbewerberheimen gestanden. Ich habe versucht, den Bundestag mitzublockieren, obwohl das Volk Deutschlands zu drei Vierteln wollte, dass das Asylrecht abgeschafft wird. Ich stehe dazu, dass es Punkte gibt, wo ich mich im offenen Dissens zur Mehrheitsmeinung dieses Volkes bewege.«
Das war die Debatte 1997. Seitdem ist viel passiert: Google wurde gegründet, Frankreich Weltmeister, die Expo war in Hannover, ein Terroranschlag in New York und Washington brachte die politischen Koordinaten durcheinander, eine Finanzmarktkrise die ökonomischen. Die Europäische Kommission wurde gegründet, der Euro als Währung eingeführt, eine europäische Verfassung wurde erarbeitet und verworfen, zwölf weitere Staaten sind der EU beigetreten, die PDS ist in der Partei »Die Linke« aufgegangen, und Jürgen Trittin war sieben Jahre lang Bundesumweltminister und ist heute wieder in der Opposition.

Die Debatte vom August 1997 im Online-Archiv: