Über Sarrazins Genetik-Phantasien

Sarrazins Bildungsburg

Thilo Sarrazin, der Sprecher der Elite, hält Intelligenz für erblich.

Letzten Donnerstag behauptete das Vorstandsmitglied der Bundesbank Dr. Thilo Sarrazin vor einer schmunzelnden Versammlung der Unternehmensverbände Südhessen, bestimmte Zuwanderer besäßen nicht nur weniger Bildung als andere, sie seien auch weniger intelligent. Intelligenz werde zu »fast 80 Prozent« vererbt. Bei der raschen Vermehrung der Ungebildeten müsse befürchtet werden, dass »wir auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer« werden. Wir werden dümmer, weil sie mehr werden. Kanzlerin Angela Merkel, die sich wohl freute, dass sich ausnahmsweise kein Koalitionär, sondern ein Sozialdemokrat entblößt hat, nannte seine Äußerungen »dumm und nicht weiterführend«. Der Fall erinnert an den des niederländischen Politikers Geert Wilders, dessen Polemik von vielen zwar für ketzerisch, aber bedenkenswert gehalten worden ist, bis er erklärte, der Prophet Mohammed sei »ein Massenmörder, ein Barbar und ein Kinderschänder« gewesen. Da verschlug es einigen doch die Sprache. Aber auch für solche Äußerungen werden sich, ebenso wie für Sarrazins Idee der vererbten Bildung, Rationalisierer finden lassen. Sarrazins Gegner haben mit der Rationalisierung bereits begonnen. So räumte die Kanzlerin ein, »dass die Bildungsabschlüsse von Schülern mit Migrationshintergrund verbessert werden müssen«. Das wirkt so, als hätte Sarrazin auf wenn auch grobianische Weise ein tatsächlich existierendes Problem aufwerfen wollen. Selbst wahnhafte Projektionen müssen, wenn sie ein Politiker vorbringt, irgendeiner Debatte als Beiträge eingeordnet werden. Man wundert sich dann, dass sie »nicht weiterführen«. Der rationale Diskurs steht hilflos vor dem rassistischen Wahn. Die Ratio sieht nur schlechte Argumente, wo gar keine mehr sind. Sarrazin hat nicht davon gesprochen, dass Migranten bessere Abschlüsse machen sollten, sondern davon, dass Intelligenz vererbt werde. Schon im vorigen Jahr plädierte er im Bildungsbürgerblatt Lettre International dafür, nur noch Hochqualifizierte ins Land zu lassen. Damals behauptete er, osteuropäische Juden hätten einen höheren »IQ«. Der Chefredakteur des Blattes ergänzte, das sei nichts, »was man nicht sagen darf«. Über derlei Thesen à la »The Bell Curve« werden sich intelligente Juden, die sich erinnern, welche Folgen die Rassenlehre gehabt hat, nicht freuen. Noch nie hat übrigens ein intelligenter Mensch an den »Intelligenzquotienten« geglaubt. Das ist etwas für Personalchefs. Bildung, sagte der Philosoph Hans-Georg Gadamer, bereitet darauf vor, sich mit Menschen zu unterhalten, die andere Erfahrungen gemacht haben und etwas anderes wissen als wir. Für Sarrazin und seine Anhänger ist Bildung eine Burg. Bildung ist für sie weniger als Ausbildung, sie soll Begegnungen verhindern und Pfründe schützen. Unterhalten wollen sie sich nur, wenn sie selbst das Niveau vorgeben dürfen. Und das fällt stets so tief aus, dass alle auf dem Bauch kriechen müssen. Eine ihrer selbst nicht mehr sichere Elite hat ihre Privilegien erst mit angeblicher Tüchtigkeit, dann mit angeblicher Intelligenz begründet, jetzt bringt ihr Sprecher das Erbgut ins Spiel. Sie sieht durch die Unteren und Anderen ihr Budget und ihren Muff gefährdet. Möge diese Furcht berechtigt sein.