Was kümmert mich der Dax

Bestellen, säen, niemals ernten

Arbeit – nicht irgendeine Arbeit, sondern Arbeit an sich – personifizierte für mich als Kind ein Onkel, der selten zu Besuch kam, weil er so viel zu tun hatte. Seine Hand fühlte sich an wie Schmirgelpapier, er sah immer leicht erschöpft aus und machte wenig Worte. Von ihm hieß es, dass er den ganzen Tag Kranführer auf einer Baustelle sei, danach, statt seinen Feierabend zu genießen, auf seinem »Wingert«, nämlich seinem Weinberg, bis spät in die Nacht weiterschufte. Wochenenden oder Urlaubstage gab es nicht für ihn. Dadurch häufte er einen für seine Klasse beachtlichen Besitz an, von dem niemand recht wusste, was damit anzufangen wäre, da ja alle im Haus von früh bis spät arbeiteten.
Als Jugendlicher dachte ich bei »Arbeit« an einen älteren Herrn mit Toupet, der jeden Tag, Punkt fünf Uhr, seine Aktentasche in der Hand, nach Hause trottete. Ein Typ wie der einsame Briefmarkenhändler von Luigi Malerba. Aber in der Erinnerung wird mir fast nostalgisch: Feierabend um fünf! Krankenversichert! Rentenberechtigt!
Heute denke ich bei »Arbeit« zuerst an die Ein-Euro-Jobber drüben auf dem Friedhof, die dort Stunde um Stunde jäten und kehren und hacken. Am Ende eines langen Tages haben sie acht Euro plus die staatlichen Zuschüsse verdient. Angeblich sind viele sogar dankbar dafür. Selbst mit lausig bezahlten Glossen wie dieser verdiene ich mehr. Harte Arbeit war immer trostlos, aber heute ist sie auch noch beschämend; für den, der arbeitet, und für den, der zuschaut.
Früher bekam einer etwas dafür, heute muss er sich zur Entschuldigung sagen: »Wenigstens bin ich an der frischen Luft.« Ich habe auch schon gehört, dass Arbeiter ihren Arbeitgeber bezahlen. Das heißt aber doch, dass Arbeit in Zeiten verschärfter Ausbeutung bloß die Absurdität offenbart, die ihr auch sonst eigen ist. Sie überbrückt leere Zeit mit sinnlosem Getue. Oder lässt sich ihr etwas Glorreiches andichten? Friedrich Engels versucht es in seinem törichten Buch »Dialektik der Natur«. Nur der Mensch, heißt es da, habe der Natur seinen Stempel aufgedrückt, derart, dass »die Folgen seiner Tätigkeit nur mit dem allgemeinen Absterben des Erdballs verschwinden können«.
Die Folgen der Tätigkeit sind allerdings beträchtlich, aber man fragt sich doch, ob für die paar Pyramiden wirklich so viele Ägypter hätten sterben müssen. Zwar gibt es Meerschweinchen, die sich in ihrem Rad zu Tode strampeln, und Insekten, die sich andern zum Fraß vorwerfen. Aber nur der Mensch käme auf die Idee, sich dafür auch noch zu bedanken. Danke für meine Schwielen. Danke für dieses unbezahlte Scheißpraktikum. Danke, dass ich diese Glosse schreiben durfte.