Die FU, eine Insel auf der Insel

Hohe Schule der Taxifahrer

Die 1948 im Zeichen des des Kalten Krieges gegründete Freie Universität Berlin (FU) war eine Insel auf der Insel. Und das Philosophische Institut der FU war nochmals eine ganz besondere Insel. Ende der achtziger Jahre ging sie unter.

Als der Philosoph Karlfried Gründer Anfang der achtziger Jahre dem amerikanischen Stadtkommandanten anbot, eine Pershing-Rakete in seinem Institutsgarten an der Freien Universität in Berlin-Dahlem zu stationieren, wirkte das wie ein zur Farce gewordener Nachhall des Kalten Krieges. Die achtziger Jahre waren eigentlich die Zeit der Friedensbewegung, das Foyer des gerade eingeweihten Philosophischen Instituts der FU wurde von den Ankündigungen und Aktionen der »Friedensinitiative Philosophie« beherrscht. Aber Gründer, Herausgeber des groß angelegten »Historischen Wörterbuchs der Philosophie«, residierte etwas abseits vom Hauptgebäude der FU in einer Villa mit schönem Garten.
Er war der ruhende Lehrer der Philosophiegeschichte. Seine Seminare zeichneten sich dadurch aus, das er jede philosophische Position ernst nahm. Von Ockham bis Lenin. Nur galt es, ein paar gängige Platitüden zu vermeiden. Wer etwa glaubte, der Erkenntnis anhängen zu müssen, dass die fünfziger Jahre der BRD restaurativ gewesen seien, erfuhr freundliche, aber entschiedene Ablehnung. Gründer kam aus der so genannten Ritterschule, die sich in den fünfziger Jahren um den Hegelinterpreten Joachim Ritter gebildet hatte und die so etwas wie das Gegenunternehmen zur Frankfurter Schule war.
In Gründers Berufung an die FU sahen viele Linke dann auch eine Wiederholung der Berufung Schellings im 19. Jahrhundert. Schelling war damals aus München auf den verwaisten Lehrstuhl Hegels nach Berlin berufen worden, um ausdrücklich »die Drachensaat der Hegelianer« zu beseitigen. Ähnliches unterstellte man nun Peter Glotz, der als Wissenschaftssenator neue Berufungen nach Berlin betrieb, nur dass es diesmal die Marxisten aus der Studentenbewegung treffen sollte. Viel war da aber nicht mehr zu zerstören, weil sich die Apo-Linken ganz von allein gegenseitig lahmgelegt hatten auf ihrem Marsch durch die Institutionen – etwa mit Aktionen wie einem 1976 an Erich Honecker gerichteten Klagebrief, in dem es hieß, dass der Biermann-Rauswurf geeignet sei, jene zu stärken, die »alle Unmenschlichkeiten des monopolkapitalistischen Systems gegen die Arbeiterbewegung und gegen die DDR verteidigen wollen«.

Gründers selbstverständliche Einverleibung Lenins in den Corpus der Philosophie, in dem er Lenin allerdings strikt belassen wollte, wirkte dagegen wie frischer Wind in der Mauerstadt. Und tatsächlich sollten mit seiner Berufung an die FU die wenigen goldenen Jahre der Philosophie beginnen. Es konnte in diesen Jahren passieren, dass in einem Seminar von Michael Theunisssen ein Papier zum Vortrag kam, in dem akribisch bis zur Selbstqual nachgewiesen wurde, was Alexandre Kojeve in seiner »Introduction a la lecture de Hegel« alles nicht richtig interpretiert hatte. Nur einige Schritte entfernt, im kleinen Haus der Hermeneutik in der Thielallee 43, wurde derselbe Kojeve von dem jüdischen Religionsphilosophen Jacob Taubes lapidar als »der bedeutendste Philosoph und Hegelinterpretet« seiner Generation vorgestellt.
Das markierte zwei extreme Haltungen zur Philosophie. Wenn Theunissen sich Gedanken über Psychiatrie und Philosophie machte, konnte man sicher sein, dass er das alles bis zur ent­legensten Marginalie selbst gelesen hatte. Taubes dagegen hatte wenig Respekt vor abgegrenzten Terrains und installierten Departements und war stets stolz darauf, »Generationen von Taxifahrern« ausgebildet zu haben. Es ging um Hegel, das Ende der Geschichte, den Anderen und in der Folge natürlich um die Frage: Was tun? Taubes, der charmant damit kokettieren konnte, nur ein Buch von Hegel gelesen zu haben, die »Phänomenologie des Geistes«, »das aber richtig«, war ein Meister des mündlichen Disputs und konnte seine Angreifer in diesem Fall schon mit der »Weltseele zu Pferde« aushebeln. Hegel hatte nämlich in Napoleon nicht den »Weltgeist« gesehen, das »war er doch selbst«, sondern nur die Weltseele.
Taubes bestand sein ganzes Denkerleben darauf, dass man der Frage nach dem Anderen, dem Feind, nicht ausweichen kann. Die von Carl Schmitt stammende Definition, der Feind sei die eigene Frage in Gestalt, wurde zu einem bestimmenden Theorem der Seminare am Institut dieser Jahre.
Mit Taubes zusammen lehrte noch der Mittelalterspezialist Wolfgang Hübener, in dessen Seminaren fließend Latein gesprochen wurde und der – unübertroffen – ungefähr eine halbe Stunde brauchte, um nachzuweisen, dass Umberto Eco vom Mittelalter keine Ahnung habe. Das war zu einer Zeit, als auf dem Weg zur Universität die halbe U-Bahn mit Leuten besetzt war, die Ecos Mittelalter-Bestseller »Im Namen der Rose« lasen, eine schöne Erinnerung an die alte Aufgabe der Philosophie, nämlich Wahrheit in die Welt zu setzen.
Diese Wahrheit wurde dann aber auch an der FU ganz langsam in den Jahren 1986 bis 1989 von Effizienz, Studienordnungen und -gebühren auf den Weg der endgültigen Vernichtung der freien und offenen Universität getrieben. Zuerst verschwanden die Zigaretten aus den Seminaren, dann die Langzeitstudenten und Taxifahrer, und dann auch die Professoren, für die die Universität ein Ort der geistigen Auseinandersetzung war. So konnte der FU-Gründungsstudent und Religionsphilosoph Klaus Heinrich 1987 nur noch »die Geistlosigkeit der Unversität heute« feststellen, und an der hat sich seither nichts geändert.