Kreationismus an schwedischen Schulen

Darwins nordische Konkurrenz

In christlichen und muslimischen Schulen in Schweden wird die Evolutionslehre in Frage gestellt. Der Staat tut sich schwer damit, dies eindeutig zurückzuweisen.

»Schöpfungskonspiration« heißt ein Buch, das in Schweden seit Anfang April für lebhafte Diskussionen sorgt. Geschrieben hat es der Biologielehrer Per Kornhall. 17 Jahre lang war er Mitglied der christlichen Freikirche »Livets Ord« (»Wort des Lebens«) in der mittelschwedischen Universitätsstadt Uppsala. An der Schule der Gemeinde, die auch als »Sekte« bezeichnet wird, war er als Lehrer angestellt. Vor ein paar Jahren bekam er jedoch Zweifel, trat aus Livets Ord aus und kündigte seinen Job. Heute arbeitet Kornhall an einem regulären kommunalen Gymnasium im nahe gelegenen Enköping. In seinem Buch fordert er nun, religiöse Schulen zu verbieten, wenn sie im Biologie- oder Naturkundeunterricht über den Ursprung des Lebens auf der Erde etwas anderes lehren als wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse.
Kornhalls Kritik richtet sich vor allem gegen »Intelligent Design« (ID), eine Schöpfungsvorstellung, die sich an christlichen Schulen in Schweden, aber auch in anderen Ländern, zunehmender Beliebtheit zu erfreuen scheint. (Jungle World 51/05) Die Anhänger von ID finden sich nicht damit ab, dass das Universum und das Leben auf der Erde »nur« durch eine Kette von Zufällen und durch Evolution entstanden sein soll. Sie behaupten, es gebe »nicht erklärbare Lücken und Sprünge« in der Evolution, bzw. sie gehen davon aus, die Natur habe so unwahrscheinlich komplexe Lebensformen hervorgebracht, dass dabei ein »intelligenter Designer« seine Hände im Spiel gehabt haben müsse. Innerhalb der ID-Bewegung gibt es unterschiedliche Strömungen. Gemeinsam ist ihnen, dass ihnen zufolge als »Designer« letztlich nur ein göttliches Wesen in Frage kommt, ein Schöpfer.

Aus Kornhalls Sicht sind die ID-Anhänger in Schweden nicht einfach harmlose Abweichler, die Charles Darwins Theorien in Frage stellen und gerne ein wenig spekulieren, sondern gefährliche Fundamentalisten. »Die religiösen Gruppen, die glauben, dass die Bibel oder der Koran buchstäblich wahr sind, und deshalb die Evolutionstheorie ablehnen, versuchen seit einigen Jahren, eine neue Variante ihres Glaubens anzupreisen«, nämlich ID, schreibt Kornhall in seinem Buch. Als Gymnasiallehrer treffe er immer wieder auf christliche, manchmal auch muslimische Schüler, die der Evolutionslehre misstrauen. Kornhall sieht sie als Opfer einer »bewusst in Szene gesetzten Kampagne«, deren Ziel es sei, eine auf fundamentalistischen Glaubenssätzen gegründete Gesellschaft zu errichten. Da sich ID bislang nicht über die »normalen Wege der Wissenschaft« Geltung verschaffen konnte, also über Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, wendeten sich die Anhänger der Schöpfungslehre direkt an junge Menschen, Medien, Schulen und Politiker.
»In einer Schule, die ihren Namen verdient hat, muss es möglich sein, über alternative Sichtweisen auf den Ursprung aller Dinge zu diskutieren«, behauptete Krister Renard, Mathematik- und Physiklehrer am Livets-Ord-Gymnasium in Uppsala, in den Abendnachrichten. Vor gut zwei Jahren hatte er bereits in einem Zeitungsartikel geschrieben, die Wissenschaft könne die Entstehung des Universums und der Lebensformen nicht erklären. Deshalb deute vieles darauf hin, dass ein »überlegener Intellekt« dahinter stehe. Als Kronzeugen seiner Auffassung führt er in dem Zeitungsartikel und auf seiner privaten Homepage den antiken Philosophen Aristoteles an oder auch Zeitgenossen wie den Physiknobelpreisträger Charles Townes. US-Präsident George W. Bush sorgte 2005 für Schlagzeilen, als er forderte, ID in den amerikanischen Schulen »neben der Evolution als konkurrierende Theorie« zu lehren.
Renard und einige Kollegen wünschen sich dies auch für schwedische Schulen. Noch sind ID und christlich-fundamentalistische Schöpfungslehren dort Randerscheinungen, doch die Entwicklung des Schulwesens in den letzten Jahren kommt den ID-Anhängern entgegen. 1991 gab es in Schweden neben den traditionellen, von den Kommunen verwalteten Grundschulen und Gymnasien nur rund 90 freie Schulen. 1992 wurde das Bildungssystem liberalisiert, und seither können auch Stiftungen, Aktiengesellschaften oder Privatpersonen Grundschulen oder Gymnasien gründen. Wenn sie von den Schülern keine Gebühren verlangen, grundsätzlich jedem offen stehen und sich an die landesweiten Lehrpläne halten, werden sie in der Regel staatlich anerkannt und bekommen für jeden Schüler, den sie »anwerben«, Geld von der zuständigen Gemeindeverwaltung.

Viele der mittlerweile fast 900 »Freischulen« profilieren sich auf dem Markt mit alternativen pädagogischen Konzepten, besonderen fachlichen Spezialisierungen oder auch damit, dass jeder Schüler aus den Überschüssen des Schulbetriebs ein kostenloses Laptop bekommt. Religionskritiker sehen jedoch mit Skepsis, dass es unter den 900 Freischulen mittlerweile auch über 60 gibt, die eine religiöse Ausrichtung haben und von muslimischen oder christlichen Stiftungen getragen werden.
Auch solche Schulen sind an Lehrpläne gebunden und werden in unregelmäßigen Abständen von der staatlichen Schulbehörde kontrolliert. Dies verhindert jedoch nicht, dass dort Intelligent Design oder andere Schöpfungsauffassungen verbreitet werden. Nicht wissenschaftlich akzeptierte Theorien über die Entstehung des Lebens dürften einerseits nicht als »Alternative zur wissenschaftlichen Theorie über die Evolution« gelehrt werden, heißt es in einem Dokument der Behörde. Andererseits sei es aber »natürlich«, dass man sich beispielsweise im Religionsunterricht mit verschiedenen Schöpfungsvorstellungen befasse. Vor diesem Hintergrund sehen die ID-Anhänger kein Problem darin, ihre Vorstellungen über die Entstehung des Lebens an »die kommende Generation weiterzugeben«, wie Renard auf seiner privaten Homepage schreibt. An wie vielen Schulen dies bereits geschieht, kann niemand mit Sicherheit sagen.
Renard kann sich sogar auf einen Präzedenzfall berufen. Das christliche Andreas-Gymnasium in Stockholm, das vor zwei Jahren von der Schulbehörde kontrolliert wurde, u.a. weil dort ID unterrichtet worden sein soll, überstand die Inspektion ohne Beanstandungen. »Wenn eine konfessionelle Schule die wissenschaftliche Theorie von der Evolution mit ihrem eigenen Glauben vereinbaren kann, gibt es kein Problem«, stellte die Schulbehörde klar. Der ID-Anhänger Mats Selander hält als Philosophielehrer weiterhin Vorlesungen über Intelligent Design am Andreas-Gymnasium. Weil er es vermeidet, die Evolutionslehre als »Mehrheitsmeinung« in Frage zu stellen, fühlt er sich dabei auf juristisch sicherem Boden.